Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz. Ralph Höfliger

Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz - Ralph Höfliger


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      Agilität und Resilienz entstehen, wenn ein System in der Lage ist, sich an verändernde Umweltbedingungen rasch anzupassen. Dazu muss es sich selbst, d.h. die Art und Weise wie es funktioniert, verändern können («State Management»). Es muss Strukturen und Prozesse besitzen, die AM System arbeiten. Ein agiles System kennt und nutzt deshalb die Unterscheidung von Arbeit IM System versus Arbeit AM System.

      Arbeit IM System ist System erhaltend, sichert die kurzfristige Existenz («survival system»), wird geführt vom operativen Management, der EXEKUTIVE.

      Arbeit AM System ist System transformierend, sichert die langfristige Existenz («advancement system»), wird geführt von der strategischen Führung, der LEGISLATIVE.

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      Arbeit IM System ist oft nicht simpel, aber meistens relative einfach im Verhältnis zur Arbeit AM System, die fast immer komplex ist.

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      Einfache, komplizierte und komplexe Systeme unterscheiden sich fundamental voneinander. Komplexe Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass eine hohe Unsicherheit, Volatilität und Unvorhersehbarkeit vorherrscht bei gleichzeitig hoher Varietät (viele Elemente, die vielfältig miteinander vernetzt sind). Solche Systeme sind prinzipiell nicht steuerbar, da keine fixe Koppelung von Ursache und Wirkung vorliegt. Sie sind auch nicht regulierbar, da Regulation bedingt, dass alle Systemzustände im Regelwerk abgebildet sind5, was bei einer hohen Varietät aber nicht mehr möglich ist.

      Die geeignete Governance für ein komplexes System ist die Selbstorganisation.

      Das Führungsparadigma in Selbstorganisation ist «vernetze und ermächtige» – das Gegenteil von «command & control» bzw. «teile und herrsche»!

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      Direkte Demokratie trägt auf geniale Weise genau diesen Zusammenhängen Rechnung. Sie ermöglicht zwei unterschiedliche Systeme: Regelung und Hierarchie für Arbeit IM System, die Exekutive, und Selbstorganisation für Arbeit AM System, die Legislative.

      Dieses Buch möchte diesen wichtigen Unterschied aufzeigen und die bewährte, erfolgreiche Governance der direkten Demokratie der Schweiz in Wirtschaftsorganisationen bringen. Die Absicht ist, sie agiler, resilienter und attraktiver für Mitarbeitende zu machen, damit sie auch in einer disruptiven, volatilen und unsicheren Welt überleben.

      In der CEO Studie «Unternehmensführung in einer komplexen Welt» schrieb IBM bereits 2010: «Die Komplexität wird künftig weiter zunehmen, und mehr als die Hälfte der CEOs hat Zweifel, ob sie diese Komplexität beherrschen können. […] 79 Prozent der CEOs rechnen damit, dass die Welt noch komplexer wird.»6 Seither ist ein Jahrzehnt vergangen, und wir können sagen, dass die Voraussage zutrifft. Und alles weist darauf hin, dass dies erst der Anfang ist.

      Und nicht nur das Umfeld ist komplexer geworden, sondern auch die Organisationen selbst. Eine Analyse der Boston Consulting Group, ebenso aus dem Jahr 2010, errechnete, dass Organisationen in den letzten 55 Jahren 35-mal komplizierter und sechsmal komplexer geworden sind.7

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      Auch dieser Trend der Verkomplizierung hat sich in den letzten zehn Jahren durch die Regulatorien weiter verschärft.

      Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich an der Führungskultur und den Machtstrukturen in all dieser Zeit wenig geändert hat. Man führt Organisationen immer noch mehrheitlich nach dem gleichen Paradigma wie vor 100 Jahren. Das Paradigma heisst: «Teile und regle». Aber Regulierung führt bei hoher Komplexität direkt in die Sackgasse, denn Regulierung erhöht die Kompliziertheit des Systems und verschärft damit das Problem, das sie zu lösen versucht. «Teile» ist genauso wenig zielführend, weil die erhöhte Aussenvernetzung durch Globalisierung und Digitalisierung intern abgebildet werden muss, damit die Organisation sie verarbeiten kann. «Teile» verhindert genau diese notwendige interne Vernetzung.

      Das Gesetz der erforderlichen Varietät (engl. Law of Requisite Variety) gehört zu den zentralen Erkenntnissen der Kybernetik. Es wurde von W. R. Ashby formuliert und wird daher auch Ashby’s Law genannt.8 Das Gesetz lautet: «Die Varietät eines Steuerungssystems muss mindestens ebenso gross sein wie die Varietät der auftretenden Störungen, damit es Steuerung ausführen kann.»

      Die Varietät einer Machthierarchie ist verhältnismässig klein, denn es ist geradezu ihr Zweck, die Varietät zu verringern, um dadurch Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Dies geschieht nach dem Leitsatz von «teile und regle»: Durch Abteilungen und Departemente wird die Organisation in kleinere Einheiten eingeteilt und verwaltet («gemanaged»). Dies ist zielführend, solange die äussere Varietät tief ist. Ist diese aber hoch wie in der VUCA-Welt, dann versagt ein solch gesteuertes System, weil es die erforderliche Varietät intern nicht aufbringt. Mikropolitik und Symptombekämpfungen sind die Folgen.

      Diese Gefahr wurde schon in den 70er Jahren erkannt9 und man versuchte, die Binnenvarietät durch die Einführung der Matrixorganisation zu erhöhen (zwei Vorgesetzte). Später wurde sie nochmals erhöht, indem über die Matrix noch eine Projektorganisation gelegt wurde (drei Vorgesetzte). Jeder, der in einer solchen Organisation gearbeitet hat, kann ein Lied über die Nachteile einer solch komplizierten Struktur singen.

      Demokratisierung ist der viel elegantere und einfachere Weg, die Binnenvarietät zu erhöhen und damit die Fähigkeit zu stärken, hohe Aussenvarietät zu verarbeiten.

      Es braucht ein neues Paradigma, um in der VUCA-Welt zu überleben. Das Gegenteil von «teilen» ist «vernetzen», Verbundenheit. Das Gegenteil von «regeln» ist «ermächtigen», Selbstverantwortung. Ein VUCA taugliches Führungsparadigma muss also heissen «vernetze und ermächtige»!

      Dies bedeutet nicht, das Kind mit dem Bad auszuschütten. «Teile und herrsche/regle» hat auch in der VUCA-Welt durchaus seine Existenzberechtigung, denn obwohl die Welt immer volatiler, unsicherer, komplexer und ambiger wird, gibt es immer Aufgaben und Kontexte, die Nicht-VUCA sind, sprich relativ stabil, vorhersehbar, einfach und eindeutig. Für solche Aufgaben und Kontexte ist «teile und regle» nach wie vor ein hilfreiches und zielführendes Führungs- und Organisationsparadigma.

      Es geht also nicht darum, «teile und regle» zu ersetzen, sondern mit «vernetze und ermächtige» zu ergänzen. Und genau dieses Sowohl-als-auch ermöglicht die direkte Demokratie: Selbstorganisierende, dem Paradigma «vernetze und ermächtige» folgende Netzwerke in der Legislative und gemäss «teile und regle» funktionierende Hierarchien in der Exekutive. Darauf wird detailliert im Kapitel Gewaltenteilung eingegangen.

      Bewusst zu machen, dass direkte Demokratie genau dieses Sowohl-als-auch nutzt, ist Absicht dieses Buches. Es zeigt auf, dass es ein wohl erprobtes und sehr erfolgreiches Führungs- und Organisationssystem gibt, das in der VUCA-Welt ausserordentlich gut funktioniert, gerade weil es beide Paradigmen, «teile und regle» und «vernetze und ermächtige», in sich vereint: die direkte Demokratie der Schweiz.

      Zusammengefasst ist die Absicht dieses Buches aufzuzeigen, wie direkte Demokratie in Wirtschaftsorganisationen eingeführt werden und funktionieren kann, um sie zu befähigen, erfolgreicher in der VUCA-Welt zu operieren, indem das Potenzial der Menschen freigesetzt und das Bewusstsein und Engagement gefördert wird für die Gestaltung der eigenen Organisation, ganz nach dem Motto: Direkte Demokratie ist die Freiheit und Verantwortung, das eigene Paradies zu erschaffen.

       E.Die Zielgruppe

      Das Buch richtet sich an alle, die an «New


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