Future Angst. Mario Herger
erwies sich als fatal. Das angesammelte Gas explodierte und setzte die Bühnentechnik in Brand, von wo sich das Feuer auf die Bühne und dann auf den Zuschauersaal ausbreitete. Gleichzeitig fiel damit das restliche Gaslicht aus und es wurde dunkel.
Erst verspätet begann man, die Zuschauer zum Verlassen des Wiener Ringtheaters aufzufordern. Doch die Türen der Ausgänge gingen nur nach innen auf und die mittlerweile verständigte Polizei war der Meinung, das Theater sei schon vollständig evakuiert worden. Deshalb hielt sie Helfer davon ab, das in Vollbrand stehende Gebäude zu betreten. Eine Verkettung weiterer unglücklicher Umstände – so wurde erst nur ein Dachbrand gemeldet und ein einziger Löschzug geschickt, der dann wiederum aus den abgedrehten Hydranten kein Wasser ziehen konnte – führte zur vollständigen Zerstörung des Theaters.
Nachdem im Inneren des Gebäudes kein Laut mehr zu hören war, vermeldete der zuständige Polizeirat: „Alles gerettet!“ Erst am nächsten Tag wurde das Ausmaß der Katastrophe bekannt, als man die verkohlten Leichen im Schutt fand. Offiziell waren 384 Tote zu beklagen, inoffiziell sprach man aber von 1.000 Toten. Um die 500 Personen hatten sich durch Fenster- und Balkonsprünge ins Freie retten können. Der Großteil der Opfer war bereits innerhalb der ersten 15 bis 20 Minuten an den Rauchgasen erstickt.
Gaslaternen stellten einen großen Fortschritt in der Beleuchtungstechnik dar und hatten die Öllaternen abgelöst, die wiederum die Kerzenbeleuchtung ersetzt hatte. Öllaternen rußten weniger als Kerzen und machten damit den Beruf der Lampenputzer hinfällig, deren Aufgabe es war, mehrmals bei einer Vorstellung die Spiegelreflektoren zu reinigen, den Docht zu kürzen – auch als „putzen“ oder „schneuzen“ bekannt – und abgebrannte Kerzen auszutauschen.27 Der Auftritt der Lampenputzer in den Pausen und während der Vorstellung wurde vom Publikum unterschiedlich bewertet. Machten sie ihre Aufgabe gut, wurden sie mit Beifall überschüttet. In England hingegen wurden die „candlesnuffer“ oft übel behandelt. Doch immer wieder durften sie in kleinen Rollen in den Theaterstücken selbst auftreten oder sprangen für sich unpässlich fühlende Schauspieler ein. Was sie nicht verhindern konnten, war der unangenehme Geruch der Kerzen, den die Zuschauer, speziell die in den oberen Reihen, einatmen mussten, was bei Schauspielern, Sängern und Musikern, die den Dämpfen jeden Abend ausgesetzt waren, sogar zu berufsbedingten Krankheiten führte. Lichtputzer schienen auch so eine Art Universaljob gehabt zu haben.28
Aus Hamburg ist bekannt, daß man die Lichtputzer „die Acteurs und Actrizen richten, puzzen und schneuzen“ ließ.
Die Gasbeleuchtung wiederum machte die Öllaternen obsolet, deren Öl immer wieder nachgefüllt werden musste. Sowohl Kerzen als auch Öllaternen hatten den Nachteil, dass sie wenig geeignet waren, offenen Raum zu beleuchten. Ab dem Jahr 1807 wurden Gaslaternen im Londoner Westminster zum ersten Mal als Straßenbeleuchtung eingesetzt. Im zwischen Chemnitz und Dresden gelegenen Freiberg wurde im Jahr 1811 vom Chemiker Wilhelm August Lampadius die erste Gaslaterne in Betrieb genommen. Mit der Gaslaterne, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts in allen Städten Einzug finden sollte, wurden nicht nur die Städte sicherer und den kriminellen Elementen ihre Arbeit erschwert, die sich nun nicht mehr so einfach verstecken, ihren Opfern auflauern und in der Dunkelheit unerkannt verschwinden konnten, es wurden auch neue Berufsgruppen geschaffen. Der Laternenanzünder wurde so zu einem anerkannten Beruf, dessen Aufgabe es war, jeden Abend in den Straßenzügen auf einer Leiter die Laternenmasten hochzuklettern, den Gashahn aufzudrehen und mit einer Dochtstange das Feuer zu entzünden. Am Morgen wurde dann das Gas wieder abgedreht. Zu den Aufgaben der Laternenanzünder gehörte es auch, dass den Laternen „von muthwilligen Frevlern und betrunkenen Leuten kein Schaden zugefügt“ wurde.
Die Anforderungen an Laternenanzünder waren verhältnismäßig hoch. So schrieb Kurt Tucholsky über die Berliner Voraussetzungen, um das Laternenanzünderhandwerk zu ergreifen:
Die Anforderungen an den Beruf sind hohe; der Mann, der sich als Aspirant vorstellt, muß über tadellose Papiere verfügen, aus politisch unbelasteter Familie stammen, eine freiwillige Übung bei einer Reichswehrbrigade mitgemacht haben und die Primareife eines Oberrealgymnasiums besitzen. Die Ausbildung erfolgt auf den Technischen Hochschulen, die Teilnahme an den dortigen Leibesübungen ist für den künftigen Verwaltungsbeamten absolut unerläßlich (Rumpfbeugen, Geschmeidigkeit des Körpers). Die Vorlesungen umfassen: Wesen und Begriff der Lichtwissenschaft; Geschichte des Beleuchtungswesens, unter besonderer Berücksichtigung des betreffenden Bundesstaates; Theorie der Lichtgebung; Ablicht und Anlicht; zur Soziologie der Beleuchtungswissenschaften. Dem Studium folgt ein Staatsexamen. Nach zehn bis zwölf Jahren Wartezeit erfolgt gewöhnlich die Ernennung zum Laternenanzünder, nach weiteren zwanzig bis dreißig Jahren die Beförderung (nicht: Ernennung) zum Chef-Laternenanzünder.
Die Einführung der Gaslaterne im öffentlichen Raum ging nicht ohne Widerstand vonseiten einer anderen Berufsgruppe, der Laternenträger, einher. Diese waren eine Art mobile Lichtquelle, die man mieten konnte, wenn man in der Dunkelheit unterwegs war. Die Pariser Laternenträger verdienten sich oft noch ein Zubrot, weil sie als Polizeispitzel tätig waren und am nächsten Morgen der Polizei alles Auffällige aus der Nacht zuvor meldeten. Die Londoner Laternenträger hingegen waren häufig der anderen Seite, also der Unterwelt zuzuordnen, und führten ihre Aufraggeber häufig auflauernden Straßenräubern zu, bevor sie sich selbst durch Löschen ihre Laterne unerkannt aus dem Staub machten.
Noch heute befinden sich Gaslaternen im Einsatz. In Berlin waren es im Jahr 2018 immer noch 30.000 Gaslaternen, auch wenn deren Tage aus Kostengründen gezählt sind und sie ersetzt werden sollen.29 Ebenso sind in Düsseldorf, Frankfurt, Dresden, Mainz, Warschau und Prag Gaslaternen noch im Einsatz und verteilen ihr warmes Licht.
Auch in diesem Fall setzte natürlich die Kritik ein, als die Gaslaternen durch elektrisches Licht ersetzt wurden. In Buffalo und auf New Yorks Straßen wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Kohlebogenlampen aufgestellt, die die Kreuzungen und Straßen in gleißendes Licht hüllten. Sie waren sogar so grell, dass die Nacht zum Tage wurde, die Menschen bleich aussahen und die Umgebung kalt wirkte – und Kritiker begannen den gelblichen Schein der Gaslaternen zu verherrlichen. Die Kohlebogenlampe, die nur von einer zentralen Stelle aus eingeschaltet werden konnte und keine lange Ausbildung benötigte, begann, den Beruf des Laternenanzünders zu verdrängen. Zwar mussten wöchentlich die langsam abbrennenden Kohlestäbe der Lampe nachjustiert werden, aber kamen auf 50 Gaslaternen noch ein Laternenanzünder, so konnte nun ein Elektriker gefahrlos, ohne irgendwo hinaufklettern oder jede einzelne Laterne abgehen zu müssen, diese einfach mit dem Umlegen eines Schalters ein- und ausschalten.
Die Unruhe unter den Laternenanzündern wurde durch die Gefahren des elektrischen Lichtes noch verstärkt. Am 12. März 1888 hatte ein Schneesturm in New York die Straßen unpassierbar gemacht. Dicke Eiszapfen hatten sich auf den Stromkabeln gebildet, die in den vergangenen Jahren auf Masten und Häusern eiligst von unterschiedlichen Stromgesellschaften errichtet worden waren. Viele dieser Pioniere gingen auch gleich wieder pleite und mehr und mehr Kabel waren funktionsuntüchtig geworden und teilweise heruntergerissen, sehr zum Leidwesen der New Yorker. Der Schneesturm hatte das Seine dazu beigetragen und bis zum April fanden sich herunterhängende Kabel auf den Straßen. Am 15. April 1888 berührte ein spielender Junge eines dieser herunterhängenden Kabel. Funken sprühten, der Körper des Jungen wurde auf die Straße geschleudert und Umstehende eilten zu Hilfe. Es konnte aber nur mehr der Tod des Jungen festgestellt werden.30 Todesfälle, die von der unsichtbaren Gefahr von Elektrizität ausgingen, häuften sich. Sechs Jahre lang waren die vielen oberirdisch angebrachten Kabel vor allem ein öffentlicher Schandfleck gewesen, nun trugen sie den Ruch tödlicher Gefahr in sich. Als weitere Unfälle publik wurden und die Presse darauf ansprang, befahl die Stadt, Stromkabel von nun an unterirdisch zu verlegen.
Schon früher hatte Elektrizität Brände verursacht und das hatte mit der anfänglich mangelnden Isolierung der Kabel zu tun. Blanke Drähte wurden unter den Tapeten und Fußböden verlegt und es genügte eine Kleinigkeit, dass es zu Kabelbränden und Stromschlägen kam. So wurde im Jahr 1883 im Anwesen von J. P. Morgan, dem Banker, der die Erfindungen von Thomas Edison finanzierte und als erster Haushalt elektrisches Licht installiert hatte, der Schreibtisch und der Teppich in der Bibliothek angesengt und es musste der Boden herausgerissen werden. Tatsächlich machte sich Edison an die Arbeit, geeignetes