Future Angst. Mario Herger
berichtet. Ein vierjähriger Knabe namens Edward N. Hackett war aus einem Fenster im dritten Stock in Brooklyn gekippt und auf eine darunterliegende Markise gefallen. Von der war er abgerollt. Weil er sich dabei die ganze Zeit an seinen Teddybären festgeklammert hatte, hielt er diesen auch noch, als er am Boden ankam. Beim Aufprall bremste das Plüschtier seinen Sturz und der kleine Edward kam unversehrt davon. Während diese gute Teddybärennachricht im Blattinneren versteckt war, befand sich auf der Titelseite derselben Ausgabe aber Espers Predigt unter der Schlagzeile: „Die Teddybär-Modeerscheinung zerstört den mütterlichen Instinkt und führt zum Rassenselbstmord!“ Schon damals galt das Motto „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“.
Und das war der Auftakt zu einer großen Kontroverse um die knuddeligen Teddybären, die als so gefährlich angesehen wurden, dass sie eine ganze Zivilisation ins Verderben stürzen können. Nur, woher kam dieser Widerstand?
Dazu muss man wissen, dass Kinder als Miniaturversionen von Erwachsenen betrachtet wurden. Es war selbstverständlich, dass man sie zur Arbeit heranzog und Spielzeug und Kinderbücher einen moralischen und erzieherischen Unterton hatten. Wir bemerken das, wenn wir alte Kinderbücher und Märchen lesen. Alles war darauf ausgelegt, Kinder auf ihre zukünftige Rolle in der Gesellschaft und Arbeitswelt vorzubereiten. Mädchen erhielten Spielzeug, das Fähigkeiten vom Bügeln, Nähen bis zum Aufziehen von Kindern vermittelte. Knaben machten sich mit dem Schießgewehr vertraut. Kinderbücher sollten erwünschte und „richtige“ Verhalten aufzeigen.
Genau deshalb war ein Teddybär so kontrovers. Während Puppen Mädchen auf ihre Rolle als Mutter vorbereiteten – also somit erzieherisch „wertvoll“ waren –, stellten Teddybären ein abstraktes, unnatürliches Wesen dar, das gemäß den Moralaposteln dieser Zeit auf keine gesellschaftlich nützliche Aufgabe vorbereitete. Und die jungen Damen, die in Teddybärenbegleitung Pariser Restaurants besuchten oder einen als Beifahrer in ihren Elektroautos in New York ausführten, bestätigten nur die Befürchtungen. Gebärfähige Frauen, von denen erwartet wurde, dass sie den Fortbestand der Zivilisation sicherten, indem sie endlich heirateten und Kinder gebaren, widmeten sich lieber einem monströsen Plüschtier. Und das kam noch dazu aus Deutschland.
Wir als moderne Menschen sind selbstverständlich darüber erhaben, dank des Fortschritts schmunzeln wir nur mehr über die Rückständigkeit und den Eifer dieser Frömmler. Wer sieht heute noch Teddybären als Gefahr für den Erhalt der Rasse und Symbol des Niedergangs unserer Zivilisation?
Aber die Dämlichkeit der Teletubbies, die Gewaltorgien bei „Tom und Jerry“, die Spinnereien von Pippi Langstrumpf, die einen Aufstand gegen die Erwachsenenwelt macht, Videospiele, die Kinder einsam und gewaltbereit machen, das sind heute selbstverständlich absolut berechtigte Sorgen vor dem Zusammenbruch unserer Zivilisation. Das ist etwas ganz anderes!
Von Weinfässern, Napoleon und dem Stethoskop
So wie die Melone und der Regenschirm für den Engländer und die Baskenmütze und das Baguette unter dem Arm für den Franzosen stereotypisch sind, ist es für den Arzt der weiße Kittel und das Stethoskop um den Nacken. Dieses heute nicht wegzudenkende und so einfache medizinische Gerät fand nicht von Anfang an Anklang bei der Ärzteschaft.
Selbst der weiße Kittel war bis ins 19. Jahrhundert eigentlich schwarz und üblicherweise völlig verdreckt gewesen. Die Ärzte waren stolz auf das getrocknete Blut, den Eiter und andere Verunreinigungen, die von ihrer Arbeit und ihren Heilkräften zeugten. Erst durch den österreichisch-ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis, der erkannt hatte, dass Ärzte, die in einem berüchtigten Wiener Krankenhaus aus der Pathologie kommend zur Geburtenstation wechselten und wegen fehlender Desinfektion zur erhöhten Sterblichkeit bei Gebärenden beitrugen. Verursacht durch den sogenannten Kindbetttod und durch die Entdeckung der Keimtheorie durch Louis Pasteur wurde man sich so langsam bewusst, dass verschmutzte schwarze Kittel ein schlechtes Zeichen für Hygiene waren.
Auf die Idee zum Stethoskop war der französischen Landarzt René Marie Théophile Hyacinthe Laënnec durch den österreichischen Arzt und Librettisten Johann Leopold Auenbrugger gekommen. Letzterer hatte die Perkussion als medizinische Technik zur Untersuchung von Lungenkrankheiten erfunden. Die Inspiration dazu erhielt er aus seiner Kindheit. Der Vater schickte den Grazer Gastwirtssohn immer in den Weinkeller und trug ihm auf, den Füllstand der Weinfässer durch Klopfen auf das Fass zu bestimmen. Daran erinnerte er sich, als er als Arzt in Wien begann, die Brustkörbe seiner Patienten abzuklopfen. Dabei gelang es ihm, die ersten Diagnosen bei Lungenkrankheiten zu stellen. Wie musikalischer und damit wienerischer kann man eine solche Untersuchungsmethode benennen, die als Perkussion Eingang in das medizinische Werk finden sollte? Kein Wunder: Auenbrugger hatte nicht nur ein Libretto für das Singspiel „Der Rauchfangkehrer“ von Antonio Salieri geschrieben, sondern war im Jahr 1775 auch dessen Trauzeuge gewesen.
Die Übersetzung von Auenbruggers Behandlungsmethode aus dem Lateinischen ins Französische durch Jean-Nicolas Corvisart, niemand Geringerem als der Leibarzt Napoleons, aus dem Jahr 1808 fiel Laënnec in die Hände. Er las die Schrift Auenbruggers mit Interesse und sie kam ihm im Jahr 1816 bei der Visite einer stark übergewichtigen jungen Patientin mit Herzproblemen wieder in den Sinn. Die übliche Methode, sein Ohr an den Brustkorb zu legen und abzuhören, kam aufgrund der starken Beleibtheit und der Keuschheit der jungen Frau nicht infrage.
Er entsann sich Auenbruggers Schrift, rollte ein Blatt Papier und schnürte es zusammen. Diese Rolle legte er mit einer Öffnung an die Brust der Patientin. An das andere Ende presste er sein Ohr und konnte somit den Atemgeräuschen und dem Herzrhythmus lauschen. Das war die erste primitive, aber nützliche Version des Stethoskops, das Laënnec zuerst einmal „Pectoriloque“ taufte.
Ich erinnerte mich zufällig an eine einfache und bekannte Tatsache in der Akustik … die große Deutlichkeit, mit der wir das Kratzen einer Stecknadel an einem Ende eines Holzstücks hören, wenn wir unser Ohr an das andere Ende anlegen. Auf diese Anregung hin rollte ich sofort eine Papierrolle zu einer Art Zylinder und brachte ein Ende davon im Bereich des Herzens und das andere Ende an meinem Ohr an. Ich war nicht wenig überrascht und erfreut, als ich feststellte, dass ich dadurch die Tätigkeit des Herzens in einer Weise wahrnehmen konnte, die viel klarer und deutlicher war, als ich es je durch das unmittelbare Anbringen meines Ohres hätte tun können.
Abbildung 5: Laënnecs hölzernes Stethoskop, wie es sich im Science Museum in London befindet.
Laënnec hatte die Bedeutung seiner Erfindung erkannt und verwendete sehr viel Zeit darauf, sie weiterzuentwickeln, bis er die praktischere und heute bekannte Form des Stethoskops vor sich hatte. Sein neues medizinisches Gerät bot einige Vorteile. Neben dem Abhören des Brustkorbs erlaubte es auch seinen weiblichen Patienten, ihre Keuschheit zu bewahren. Laënnec musste nicht mehr sein Ohr auf die Brust seiner Patientinnen pressen, um Lungenuntersuchungen durchzuführen, mit dem Stethoskop hielt er sie auf Distanz. Auch konnte ein Arzt die Ansteckungsgefahr verringern, indem er nicht selbst den Patienten berühren musste. Und so nebenbei wurde damit die bisher alternativ eingesetzte Methode der Uroskopie abgelöst. Das war nichts andere als das Lesen aus einer Urinprobe durch einen „Experten“. Die Harnschau galt übrigens schon bei den alten Griechen als Scharlatanerie, dank der Arbeit von Auenbrugger und Laënnec zog die physische Diagnose in den medizinischen Alltag ein.
So viele Vorteile, die diese Erfindung brachte, und so viele Probleme, die auf einen Schlag gelöst wurden, führten sicher unweigerlich zu einem Begeisterungssturm unter den Ärzten dieser Zeit? Nicht so schnell. Wir können bereits vermuten, dass dem sicher nicht so gewesen war. Doch welche Gründe waren wohl gegen den Einsatz des Stethoskops gefunden worden?
Es sollte 20 Jahre dauern, bis das Stethoskop Anklang bei der Ärzteschaft finden sollte. Die verzögerte Akzeptanz spiegelte die konservative Natur der älteren Ärzte wider, die dagegen waren, Herztöne lernen zu müssen. Sie wollten auch kein Instrument zwischen ihre „heilenden Hände“ und den Patienten kommen lassen. Ein Zitat des englischen Arztes John Forbes aus dem Jahr 1821 zeigt das deutlich:
Dass es ungeachtet seines Wertes jemals