Future Angst. Mario Herger
eine Tracht Prügel mit dem vielseitig einsetzbaren Parapluie.20
Abbildung 4: Jonas Hanway (1712 – 1786) im Londoner Regen mit Parapluie. Illustration von Richard Caton Woodville (1825 – 1855)
Warum der Regenschirm ausgerechnet in Großbritannien, wo man doch eigentlich erwarten könnte, dass aufgrund des Klimas eine solche Erfindung mit offenen Armen aufgenommen werden müsste, auf Ablehnung stieß, ist heute nur mehr schwer nachvollziehbar. Nichts sieht für uns heute britischer aus als ein Gentleman mit Melone auf dem Kopf und Schirm unter dem Arm. Jeder Schauspieler mit Baskenmütze und einem Baguette unter dem Arm geklemmt wird sofort als Franzose erkannt. Setzt er eine Melone auf und klemmt sich einen Schirm unter den Arm, ist er Brite. So verankert sind diese Stereotypen für uns, dass wir darüber gar nicht mehr nachdenken. Doch im 18. Jahrhundert sah die Welt anders aus.
Formen des Parasols waren schon mindestens 2.000 Jahre früher in China, im alten Ägypten, bei den Griechen und Römern und auch im Aztekenreich bekannt, um vor Sonne zu schützen. Vor allem adelige Frauen benutzten ihn, um ihre weiße Haut zu bewahren. Als Brite mit dem Selbstverständnis, (bald) einen Großteil des Erdballs zu beherrschen, war das Wetter ein Bestandteil, der die „echten“ Engländer und Schotten erst ausmachte und abhärtete. Die Insellage und das Wetter formten den Körper und den Geist und führten dazu, dass Briten robust, unabhängig und einfach anders waren als andere Völker. Die Verwendung eines Regenschirms bedrohte diese Körper- und Charakterbildung.
Die Regenschirmskeptiker hatten – genauer betrachtet – noch umfassendere Gründe vorzubringen. Von Wind und Wetter umgeben zu sein schien das Natürliche. Alle Anstrengungen, diese vom Körper abzuhalten und ihn vor der Natur zu isolieren, indem man wind- und wetterfeste Kleidung schuf und anzog, ließ die „Luft“ außen vor. Das schien unnatürlich. Selbst damalige Krankenschwestern in Krankenhäusern weigerten sich, Frischluft durch Ventilatoren in die Patientenzimmer zu pumpen, weil die „Kontrolle von Luft“ als blasphemisch galt. Eine gab zu Protokoll, dass sie „die allmächtige Luft bevorzuge, nicht die künstliche“.21 Aufmerksamen Beobachtern fällt dazu sofort der moderne Widerstand konservativer Fanatiker in den USA ein, die Schutzmasken während der Coronakrise mit der Begründung ablehnten, dass das „gottgegebene Atmungssystem“ nicht behindert werden solle.
Nicht nur im regnerischen Britannien stieß der Parapluie auf Ablehnung. Waren die Gründe in London eher geschäftlicher Natur und darüber hinaus der stark im englischen Selbstverständnis verankerten Feindschaft zu den Franzosen geschuldet, so fiel es in anderen Ländern mehr unter die Kategorien „Status“ und „Macht“. Während Ludwig XIV. kein Problem damit hatte, dass sein Hof und seine Untertanen sich das Gerät zunutze machten, war das in Persien ganz anders: Derselbe Jonas Hanway hatte bei einem Vorbeizug eines persischen Prinzen in einer aufwendigen Prozession diesen mit einem Parasol vor der Sonne geschützt gesehen. Hanway, der später zurück in London – trotz all der negativen Erfahrungen mit seinen Mitmenschen – ein Philanthrop werden sollte, erkannte darin früh eine Möglichkeit, den Menschen in Persien Gutes zu tun und so nebenbei ein Geschäft zu machen. Er ließ eine verkleinerte Form des Parasols anfertigen und sie unter das Volk bringen. Mit einem etwas anderen Ausgang, als er sich das erhofft hatte. Ein Parasol war im persischen Reich ein Zeichen von königlichem Status und Macht. Dass nun jeder Standeslose auch so ein Ding besitzen sollte, kam einer Majestätsbeleidigung gleich. So sehr hatte sich Hanway verschätzt, dass er überstürzt Persien verlassen musste, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Selbst heute noch kann ein Regenschirm zu politischer Aufregung führen. So echauffierten sich die konservativen Pundits in den USA, als im Jahr 2013 der amerikanische Präsident Barack Obama bei einer Ansprache im Freien sich und seinen Staatsgast, den türkischen Premier Recep Tayyip Erdoğan, von Marinesoldaten durch Regenschirme schützen ließ.22 Das hatte dem Uniformprotokoll der Marinesoldaten widersprochen, die in Uniform keinen Regenschirm benutzen dürfen.
Ausgenommen sind interessanterweise Frauen in Uniform. In den Uniformprotokollen fast aller Armeen der Welt spiegelt sich hier ein nach wie vor gültiges Männlichkeitsverständnis wider und das deutet implizit an, dass Regenschirme unmännlich seien. Oder eben französisch, wie schon Jonas Hanway im Jahr 1750 erfahren musste. Und dabei wollen wir einmal außer Acht lassen, dass Regenschirme von Agenten immer wieder eingesetzt werden – nicht, um sich vor Regen zu schützen, sondern um unerkannt einem Staatsfeind eine Giftmischung durch die Regenschirmspitze zu verabreichen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn Teddybären Nationen bedrohen
Der Teddybär ist eng mit deutscher Wirtschaftsgeschichte verbunden. Margarete Steiff, eine ihr Leben lang an Kinderlähmung leidende Schwäbin, hatte damals für eine Frau – noch dazu für eine behinderte Frau – etwas Ungewöhnliches getan: Sie wurde Unternehmerin und schenkte den Kindern der Welt den Teddybären. Im Jahr 1902 hatte ihr Neffe Richard den ersten Teddybären entwickelt, bereits im Jahr 1907 wurden fast eine Million davon gekauft. Speziell in den USA war das Plüschtier, das seinen Namen dem amerikanischen Präsidenten Theodore „Teddy“ Roosevelt, einem leidenschaftlichen Bärenjäger, verdankte, ein Riesenerfolg.
Die Zeitungen berichteten ausführlich darüber. Eine ganze Seite des The San Francisco Sunday Call vom 18. November 1906 widmete sich reich illustriert dem Teddybärphänomen. Viel öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die Omnipräsenz von Teddybären in Kinderhänden. Vor allem überraschen uns aber Berichte, dass Teddybären offenbar bei erwachsenen Frauen der letzte Schrei waren.
Sommerbesucher in einem bestimmten Pariser Hotel waren es gewohnt, ein oder zwei besonders schöne Französinnen mit Teddybären als Begleiter ins Restaurant kommen zu sehen, die an den Seiten der Damen platziert waren, während der einstige Lieblingshund, die französische Bulldogge, mit Fledermausohren oben allein seine Gefühle pflegte. Seine arme kleine Nase – oder was es davon noch gibt – ist ziemlich beleidigt, und er fragt sich, wie lange sein lächerlicher Rivale noch regieren wird.
Auch über eine der neuesten Mode nach elegant gekleidete junge Dame wird berichtet, die von einem Knuddelbären als Kompagnon begleitet wurde, der mit ernster Miene auf dem Beifahrersitz ihres elektrisch angetriebenen Columbia Victoria saß, während sie mit „äußerster Unbekümmertheit“ durch den Central Park in New York preschte.
Das Mädchen sah völlig ahnungslos aus, dass sie irgendetwas Ungewöhnliches oder Erstaunliches tat, als sie an den Scharen von Fußgängern vorbeirollte und sich ihren Weg durch das Gewirr von Fahrzeugen bahnte, die sich in einer langen Prozession bewegten. Sie wurde augenblicklich zum Mittelpunkt für jedes Augenpaar, und der Gedanke, der in den Köpfen derer aufblitzte, für die dieser Anblick eine Neuheit war – hat der Teddybär nun sowohl den Platz des Pudels als auch den der Puppe eingenommen?
Was uns die offizielle Geschichtsschreibung des Steiff’schen Plüschtierimperiums verheimlicht, ist die Kontroverse, die Teddybären in den USA auslösten. So erschien in den Zeitungen des Landes ein Abdruck einer Predigt, die Pfarrer Michael G. Esper am Sonntag, dem 7. Juli 1907 in der katholischen Pfarrei St. Joseph in Michigan gehalten hatte:23
Rassenselbstmord, die größte Gefahr, der sich diese Nation heute gegenübersieht, wird von der Marotte gefördert und ermutigt, die guten alten Puppen unserer Kindheit durch das schreckliche Ungeheuer namens Teddybär zu ersetzen. Die eigentlichen Mutterinstinkte eines heranwachsenden Mädchens werden abgestumpft und oft zerstört, wenn dem Kind erlaubt wird, ein unnatürliches Spielzeug dieser Art mit der liebevollen Zuwendung zu überhäufen, die so schön ist, wenn sie einer Puppe zuteilwird, die ein hilfloses Kind darstellt. Mir bot sich noch nie ein ekelhafterer Anblick als das Schauspiel eines kleinen Mädchens, das diese Pseudo-Tiere streichelt, liebkost und sogar küsst. Es ist eine Schande für das amerikanische Volk, das unter der Verkümmerung des Mutterinstinkts der zukünftigen Frauen leiden wird, durch diesen Ausbund an Abscheulichkeiten, die schädlichste und abstoßendste Naturfälschung, die je begangen wurde.
Diese Predigt wurde in den nächsten Wochen in sämtlichen US-Zeitungen abgedruckt,