Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext. Группа авторов
(engl. telephone interpreting, over-the-phone interpreting) bekannt2. Das TelefondolmetschenTelefondolmetschen, als älteste Form des Ferndolmetschens, ist aufgrund seiner weiten Verbreitung und einfachen Handhabung, bei der nur minimale technische Voraussetzungen erforderlich sind, flexibel einsetzbar. Folglich wurde der erste Telefondolmetschdienst bereits 1973 in Australien (vgl. Ozolins 1991), später in den USA und Großbritannien (vgl. Ozolins et al. 1999, Ko 2006) eingeführt und ist bis heute in den öffentlichen Einrichtungen dieser Länder etabliert.
Langer & Wirth (2014) untersuchten den Einsatz des Telefondolmetschens in einer deutschen Kinderklinik im Rahmen einer Pilotstudie mittels quantitativer Fragebogenbefragung (2010–2011). Dabei wurde die Zufriedenheit bzw. das Interesse an einer Telefondolmetschung erhoben (n=479). Obwohl das medizinische Personal mit der spontanen Verfügbarkeit und die befragten Eltern mit der hohen Kommunikationsqualität durch das Telefondolmetschen zufrieden waren, gaben nur 8,7 % der Befragten konkretes Interesse am Telefondolmetschen an. Dabei kann das Telefondolmetschen im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort den Einsatz von qualifizierten Dolmetscher:innen ermöglichen, die nicht nur die sprachliche Verständigung gewährleisten, sondern auch die Einhaltung der Therapie unterstützen und dazu beitragen können, dass Untersuchungen und lange Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen vermieden werden (vgl. Langer & Wirth 2014:279).
Bedingt durch die starken Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 war die medizinische Versorgung in Deutschland sowie die damit verbundene notwendige sprachliche Verständigung, mitunter auch wegen der unklaren Kostenübernahme, überlastet. In der Erstversorgung der Migrant:innen wurden unterschiedliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der SprachbarrierenSprachbarriere eingesetzt. Neben dem Dolmetschen vor Ort wurden in zeitknappen Situationen sowie nachts das Videodolmetschen und webbasierte Übersetzungsprogramme eingesetzt (vgl. Heer 2016:336).
In zehn ErstaufnahmeeinrichtungenDolmetschenim Gesundheitswesen Hamburgs wurde neben dem Dolmetschen vor Ort auch das Videodolmetschen eingesetzt. Die Studie von Mews et al. (2017) zur ambulanten Versorgung in Hamburg zeigt anhand einer quantitativen Querschnittserhebung wie unterschiedlich die Strategien zur Bewältigung der sprachlichen Barrieren ausfallen können. Niedergelassene Ärzt:innen (n=178) gaben in der Onlinebefragung an, dass sprachliche Probleme in medizinischen Gesprächssituationen mehrheitlich über Familienangehörige (n=94), bzw. auch über die Fremdsprachenkenntnisse der Praxisangestellten (n=59), den Einsatz nonverbaler Kommunikation (n=40) sowie mit Übersetzungsapps oder anderen technischen Mitteln (n=14) gelöst werden (vgl. Mews et al. 2017:463). Der Einsatz von Videodolmetschen wäre für 61 % der befragten Ärzt:innen (n=108) vorstellbar, auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken bestehen.
Derzeit sind in Deutschland qualifizierte Sprach- und Integrationsmittler:innenDolmetschenals Sprach- und Integrationsmittlung telefon- und videobasiert in medizinischen und sozialen Einrichtungen über den Verein SprInt gemeinnützige eGenossenschaft im Einsatz (vgl. SprInt 2020, siehe auch Iacono in diesem Band). Die angestellten Sprach- und Integrationsmittler:innen arbeiten in eigens dafür eingerichteten internen DolmetschhubsFerndolmetschenDolmetschhubs (vgl. Havelka 2018a). Mit den pandemiebedingten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Covid-19-Virus wurden neben dem Video- und Telefondolmetschen auch Mehrpunktschaltungen zwischen drei Standorten durchgeführt. Aufgrund der alltäglichen Sprachbarrieren im medizinischen Setting wird in Deutschland und Österreich auch der Telefondolmetschdienst Triaphon gemeinnützige UG (vgl. Triaphon 2020) angeboten. Das Konzept der Sprachmittlung im medizinischen Setting basiert jedoch auf überwiegend nicht professionellen, ehrenamtlich tätigen Zweisprachigen.
Aus Österreich stammen zwei Primärstudien zum VideodolmetschenVideodolmetschen im Gesundheitswesen.Dolmetschenim Gesundheitswesen
Korak (2010) beschreibt die Machbarkeit des Skype-Dolmetschens in einem österreichischen Landeskrankenhaus. Die qualitative Untersuchung umfasst die leitfadengestützte Befragung von Dolmetscher:innen und Ärzt:innen. Das österreichische Pilotprojekt „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ (2013–2014) untersuchte, inwiefern sprachliche Barrieren in medizinischen Gesprächssituationen durch professionelle Videodolmetscher:innen abgebaut werden können. Am Pilotprojekt nahmen elf österreichische Gesundheitseinrichtungen teil. Die dolmetschwissenschaftliche Untersuchung (vgl. Havelka 2018b) zeigte anhand einer Analyse von fünf authentischen Videodolmetschungen sowie einer Befragung der Dolmetscher:innen, dass das videovermittelte Dolmetschen angepasste Dolmetschstrategien erfordert und vielfache Belastungen für die Dolmetscher:innen verursacht. Nach Ablauf des Pilotprojektes wurde das Videodolmetschangebot über das Unternehmen SAVD Videodolmetschen GmbH (vgl. SAVD 2020) fortgesetzt, das mittlerweile das video- und telefonvermittelte Dolmetschen in zahlreichen sozialen und medizinischen Einrichtungen sowie in Justizanstalten in Österreich und Deutschland anbietet.
In Deutschland sind Ärzt:innen aufgrund des Patientenrechtegesetzes verpflichtet, die sprachliche Verständigung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patient:innen zu sichern. Bei sprachlichen BarrierenSprachbarriere ist jedoch die Kostenlast für die Dolmetschung nicht geklärt. Als Konsequenz dieser Ungewissheit und des allgemeinen strukturellen Mangels an professionellen Dolmetscher:innen im Gesundheitswesen werden zweisprachige Angehörige der Patient:innen oder nicht-medizinisches Krankenhauspersonal im Patient:innengespräch für die Dolmetschung eingesetzt. Dabei könnte das Video- und Telefondolmetschen eine Alternative für das Dolmetschen vor Ort darstellen. Die von Langer & Wirth (2014) vorgeschlagene Implementierung eines strukturellen Dolmetschangebots als Teil der notwendigen Gesundheitsversorgung bleibt weiterhin aktuell.
3.2 GerichtDolmetschenbei Gericht und Behörden
In Einwanderungsländern wie den USA, Australien und Großbritannien ist das audio- und videobasierte Dolmetschen in Behörden und Gerichten zu einem großen Teil etabliert. Als Folge des hohen Mobilitätsgrades innerhalb der Europäischen Union sehen sich die Gerichte mit einer ständig wachsenden Zahl mehrsprachiger Verfahren konfrontiert, die Anhörungen erfordern (vgl. van der Vlis 2012:15). Die Richtlinie 2010/64 EU des Europäischen Parlamentes und des Rates über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren ermöglicht den Einsatz von internet-, audio- und videobasierten Kommunikationstechnologien in europäischen Gerichten, solange die Unmittelbarkeit des Verfahrens gewährleistet ist. Anders als beim Dolmetschen in medizinischen Settings ist in strafrechtlichen Verfahren die für die Betroffenen kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscher:innen gesetzlich vorgesehen (vgl. Kadrić 2019:26).
Beim videovermittelten DolmetschenVideodolmetschen (engl. video-mediated interpreting) werden über die synchrone Übermittlung von Ton und BildFerndolmetschenRealisierungsbedingungen sowohl auditive als auch visuelle Daten der Gesprächssituation übertragen. Je nach Standort der DolmetscherIn beim Dialogdolmetschen wird daher zwischen Videokonferenzdolmetschen (engl. videoconference interpreting) und Videodolmetschen (engl. remote interpreting via video link) unterschieden (vgl. Braun & Taylor 2012:32f.). Im Rahmen der Videokonferenzschaltung im Gerichtswesen befinden sich zumindest eine Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter und der/die DolmetscherIn an einem gemeinsamen Standort, z.B. im Gerichtssaal oder in der Justizanstalt, während sich mindestens eine weitere Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter an einem zweiten Standort befindet.
Ursprünglich wurde der Einsatz von Videokonferenzschaltungen zum Schutz von gefährdeten Opfern eingesetzt, um eine Konfrontation im Gericht zu vermeiden. Der Einsatz von Fernkommunikation schafft neue Möglichkeiten, z.B. können potenzielle Fluchtgefahren und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Überstellung von Gefangenen minimiert werden (vgl. van der Vlis 2012:12). Insgesamt hat sich der Zugang zur Justiz durch den TechnikeinsatzTechnologieEinsatz in Form von Gerichtssaaltechnologie, Videokonferenzanlagen und des elektronischen Rechtsverkehrs (elektronischer Akt) gewandelt. Diese technischen Maßnahmen ermöglichen eine Effizienzsteigerung in Gerichtsverfahren bei gleichzeitiger Kosten- und Zeitersparnis (vgl. Koulu 2018:6).
In Deutschland und Österreich sind GerichteDolmetschenbei Gericht mit Videokonferenzanlagen ausgestattet, um die Zuschaltung von Zeug:innen, Sachverständigen oder Angeklagten aus einer anderen Justizanstalt, Stadt oder einem anderen Land in den Gerichtssaal zu ermöglichen. Bis März 2011 wurden in allen österreichischen Gerichten, Staatsanwaltschaften