Handbuch Gender und Religion. Группа авторов
haben solche Diskurse bezüglich Gender und Religion maßgebenden Einfluss auf gesellschaftliche Ansichten und Grundlagen: Sie beeinflussen die politischen Meinungsbildungen und Gesetzeswerke; sie tangieren medizinische Diskurse und das alltägliche soziale Zusammenleben. Und nicht zuletzt verändern diese Debatten die medialen Repräsentationen von Frau, Mann und anderen Geschlechtern.26 Die »Macht« der Medien – und auch der Unterhaltungskultur – darf für gesellschaftliche Debatten über Gender und Religion nicht unterschätzt werden. Mediale Diskurse formen alltägliches Wissen über Gender und bilden »Repräsentationsregime«, die durch Reiteration und Verbreitung von Stereotypen Vorstellungen und Praktiken prägen.27
Diese Relevanz des Zusammenspiels von Gender und Religion für öffentliche, politische und mediale Debatten, die wir hier nur mit wenigen Beispielen illustriert haben, hat für eine wissenschaftliche Beschäftigung verschiedene Implikationen, von denen wir zwei betonen möchten:
Erstens sind wir auch als Fachleute in einen sozialen Genderdiskurs und ein Genderregime eingebettet. Wir sind also als Lehrende und Forschende immer Teil dieser öffentlichen Debatten über Gender und Religion, sie prägen uns im Alltag und im Berufsleben maßgebend mit. Sie formen unsere Forschungsfelder und ermöglichen aufgrund ihrer Aktualität Finanzierungen von Projekten.
Zweitens versuchen wir, trotz aller Verfangenheit in Genderrollen, als Wissenschaftler*innen auch Distanz zu diesem Forschungsfeld zu generieren. Dies geschieht unter anderem dadurch, dass wir ein metasprachliches Instrumentarium entwickeln und zur Verfügung stellen, um solche öffentlichen Debatten aufzugreifen. Ein solches Instrumentarium sollte geeignet sein, um synchrone und diachrone Prozesse zu erfassen, es erklärt Verbindungen zwischen historischen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Fragen und Unsicherheiten. Des Weiteren hilft es, Zugänge zu Geschlechterfragen zeit- und kulturgeschichtlich zu kontextualisieren. Solche metasprachlichen Konzepte können dann wiederum Mittelpunkt öffentlicher Debatten werden, wie es beim Begriff »Gender«, zum Beispiel im Antigenderismus, geschehen ist.28 Damit wird Wissenschaft selbst wieder Teil dieser gesellschaftlichen Diskurse. Sie oszilliert zwischen Nähe und Distanz und sucht nach Reflexionsmöglichkeiten der eigenen Vorannahmen und Zugänge.
4 Inhalte und Aufbau des Handbuchs
In dieser Einleitung haben wir drei Dimensionen des Verhältnisses von Gender und Religion als wissenschaftliche Konzepte überblicksmäßig vorgestellt: die theoretische Dimension und ihre Verbindungen zu einer kulturwissenschaftlichen Annäherung an Religion; die Relevanz dieser Art von konzeptuellen Reflexionen für die Erforschung von religiösen Symbolsystemen, Gemeinschaften und Traditionen in unterschiedlichen Epochen und gesellschaftlichen Konstellationen, und schließlich wurde auf die enge Verbindung mit politischen und medialen Debatten hingewiesen. Die Komplexität der Erforschung von Geschlechtsbestimmungen, -rollen, -wertungen und ihrer Transformationen ergibt sich nicht zuletzt aus dieser Verflechtung von wissenschaftlichen, empirischen und öffentlichen Annäherungen an das Verhältnis von Gender und Religion und aus den vielfältigen, kontroversen und divergierenden Sichtweisen, die die involvierten Subjekte in diese verflochtene Konstellation einbringen.
Dieser Band kann diese Vielfalt nicht abdecken, sondern möchte mögliche Verfahren aufzeigen und mit relevanten Fallstudien dazu motivieren, sich in der Religionsforschung intensiv mit Gender zu beschäftigen. Die Beiträge folgen ausgewählten Leitfragen, die zu Beginn jedes Teils in einem einleitenden Text vorgestellt werden.
Wir steigen mit hermeneutischen Fragen der Religionsforschung ein und thematisieren die notwendige (selbst-)kritische Reflexion des Standpunktes, aus dem eine Analyse der Wechselwirkung von Gender und Religion betrieben wird. Es folgt die Auseinandersetzung mit Schlüsselkonzepten der Religionsforschung, die für das Verhältnis von Religion und Gender weiterführend sind. Im dritten, forschungshistorischen Teil werden ausgewählte Klassikerinnen der Erforschung von Religion mit Fokus auf den sozio-politischen und intellektuellen Kontext, in dem sie gewirkt haben, vorgestellt. Fallbeispiele aus unterschiedlichen religiösen Traditionen und Kulturen prägen die letzten zwei Teile des Handbuchs. Im vierten Teil ist die Aufmerksamkeit auf Tradierungsprozesse gerichtet, in denen das Verhältnis der Geschlechter artikuliert ist, während im fünften Teil das Augenmerk auf der Medialität von Religion und Mediatisierungsprozessen liegt. Das Buch wird mit einem Beitrag geschlossen, in dem Erkenntnisse aus allen fünf Teilen verbunden werden, um ein multimediales Werk zu untersuchen. Das von Margaret Atwood inspirierte dystopische Narrativ The Handmaid’s Tale inszeniert künstlerisch eine einzigartige Wechselwirkung von Gender und Religion – beide als wissenschaftliche, mediale und emische Konzepte verstanden. Die Religion in diesem Werk der speculative fiction bietet einen Rückblick auf die Religionsgeschichte, verbunden mit einer Reflexion über unsere Zeit und über Zukunftsszenarien, die Bedrohung und Hoffnung auf erstaunliche Weise verbinden.
Literatur
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Foucault,