Handbuch Gender und Religion. Группа авторов
vielleicht üblicher in der Terminologie der hermeneutischen Tradition: mit dem Thema der Weltanschauungen, auseinandergesetzt. Dies kann ganz einfach bei Rudolf Bultmann belegt werden: Für seine Hermeneutik spielt das Thema der Weltanschauung eine entscheidende Rolle, auch in seinem Versuch, das Urchristentum religionsgeschichtlich in die antike Welt einzuordnen (eine neuere Beschäftigung dazu findet sich in Christian Berners Buch Qu’est-ce qu’une conception du monde?). Dabei setzt sich die Hermeneutik kritisch mit der Geschichtsvergessenheit der traditionellen Metaphysik auseinander, die ihre Weltanschauung als geschichtslose, objektive Wahrheit vertrat, ohne zu berücksichtigen, dass diese immer schon historisch und gesellschaftlich vermittelt ist. Die Hermeneutik hingegen betont die Geschichtlichkeit der Weltbilder oder Weltanschauungen und deshalb auch ihre Relativität, ihre Veränderlichkeit und dadurch ihre Interpretierbarkeit. Bultmanns heftig diskutiertes Programm der Entmythologisierung versucht über die Geschichtlichkeit der Weltbilder in Hinsicht auf unseren Umgang mit den biblischen Texten Rechenschaft abzulegen.
Wie steht es nun aber in Hinsicht auf »die Religionswissenschaft als Vermittlung von Weltbildern«? Könnte es sein, dass auch hier manchmal die Vermittlung als »blinder Fleck« behandelt wird, Weltbilder also auch objektiviert, als unmittelbare Wahrheit betrachtet werden? Zunächst muss hier zwischen der Religion selbst und der Religionswissenschaft unterschieden werden. Es ist klar, dass Religionen auf vielfältige Weise Weltbilder entwickeln und deren Vermittlung auch sehr unterschiedlich auffassen. Aufgabe der Religionswissenschaft wäre es dann, auf solche »Weltbilder der Religionen«, wie es beispielsweise der Religionswissenschaftler Fritz Stolz in seinem gleichnamigen Buch von 2001 formuliert, aufmerksam zu machen und sie also in diesem Sinne zu vermitteln. »Vermittlung« könnte hier also im Sinne von »Bekanntmachen, Auslegen« verstanden werden. Auf einer Metaebene gibt es aber noch ein anderes Vermitteln von Weltbildern in der Religionswissenschaft, das dieses Handbuch kritisch reflektieren will: das Vermitteln von Weltbildern, die sich mit den methodischen Voraussetzungen der Disziplin verbinden. Diese methodischen, epistemologischen Weltbilder können sich dann auch auf die Wahrnehmung der religiösen Weltbilder auswirken. Kritische Stimmen sagen sogar: Je weniger bewusst sie reflektiert werden, je stärker können sie sich auswirken!
Achtet man auf die Vermittlung dieser Weltbilder oder -anschauungen, wie es die Hermeneutik wünscht, stellt sich unmittelbar das Gefühl einer starken Ambivalenz ein. Weltbilder können sehr unterschiedlich wirken, erklärend oder verdunkelnd, befreiend oder erdrückend, öffnend oder verschließend. Paul Ricœur hat in seinem Werk L’idéologie et l’utopie von 1997 versucht, diese Ambivalenz mit dem Gegensatz von Ideologie und Utopie zu reflektieren: Ideologisch – hier im positiven Sinne zu verstehen – ist ein Weltbild, wenn es den gegebenen Zustand bestätigend aufnimmt und rechtfertigt, warum er so sein soll, wie er ist; utopisch hingegen ist ein Weltbild, das den gegebenen Zustand hinterfragt und subversiv eine Gegenwelt entwickelt.
Diese Polarität von bestätigenden und brechenden Weltbildern ließe sich leicht im Bereich der Religionen beobachten. Im vorliegenden Band wird diese Ambivalenz in den religionswissenschaftlich vermittelten Weltbildern zu thematisieren sein, und zwar indem die Gender-Perspektive als kritischer Maßstab angelegt wird. Es gehört zur Kontextbedingtheit der Hermeneutik, dass sie die Gender-Thematik noch relativ wenig aufgenommen hat. Eine bedeutende Ausnahme bildet die Hermeneutik, wie sie in den feministischen Theologien entwickelt wurde. Ein Beispiel hierfür wären ein Aufsatz mit dem Titel Die Bibel verstehen, den ich zusammen mit Elisabeth Schüssler Fiorenza veröffentlich habe, oder im religionswissenschaftlichen Kontext der Beitrag von Erin White von 1995 mit dem Titel Religion and the Hermeneutics of Gender.
In diesem Handbuch wird sie bewusst thematisiert, und zwar in diesem ersten Teil als hermeneutische Frage: Welches Licht wird auf die Weltbilder der Religionswissenschaft und deren Vermittlung geworfen, wenn man stärker, bewusster auf die Geschlechterdifferenz achtet? Welche dieser Weltbilder wirken ideologisch und welche utopisch? Wie löst man sich von erstarrten, einengenden Gender-Auffassungen? Wie entwirft man in Hinsicht auf religionswissenschaftliche Wahrnehmung der Gender-Thematik inspirierende Gegenwelten? An solchen Fragen arbeiten unsere vier Texte.
Ursula King steigt bei der Beobachtung ein, dass die Entdeckung der Gender-Perspektive einen radikalen Paradigmenwechsel in den Geistes- und Sozialwissenschaften ausgelöst hat, der sich nun, wenn auch verspätet, ebenfalls in der Religionswissenschaft breit auswirkt. Wie sich das auswirkt, wird unter drei Gesichtspunkten erörtert: die Frage nach den geschlechtsspezifischen Rollen, welche die Religionen in ihrer institutionellen Ausgestaltung Frauen und Männern zuweisen; die Frage danach, wie sich die Geschlechterdifferenz in der Symbolik und Metaphorik des religiösen Denkens und der religiösen Sprache niederschlägt; und schließlich die Frage, ob und wie in der religiösen Erfahrung geschlechtliche Spezifizierungen wahrnehmbar werden.
Daran anschließend macht U. King auf ein neues, heute stark bearbeitetes Gebiet aufmerksam, das der Spiritualität. Auf das prägnante Gendering the Spirit, das Durre S. Ahmed als Titel für ihr Buch von 2002 gewählt hat, anspielend, betont sie, dass die noch zu wenig beachtete Gender-Dimension zu einer neuen Bestimmung des Umgangs mit Geist und Transzendenz führt. So ist etwa zu beobachten, dass der Zugang zur Lese- und Schreibfähigkeit, zur »Literalität« (literacy), der den Frauen jahrhundertelang vorenthalten wurde, die Spiritualität stark verändert. Die Spannung zwischen Literalität und Oralität hat genderspezifische Aspekte, und der Durchbruch zu einem unabhängigen Lesen und Interpretieren der kanonischen Texte und zur Aneignung von Wissen über Religion ist für die Frauen als soziale Gruppe eine späte, auch jetzt noch nicht weltweit erreichte Errungenschaft (was Frau King mit verschiedenen Beispielen aus unterschiedlichen Erdteilen illustriert). Abschließend schlägt Ursula King vor, in diesem Sinne von einer »spirituellen Literalität« (spiritual literacy) zu sprechen, als Bezeichnung für einen neu zu entdeckenden Forschungszweig.
Einen anderen Weg geht Daria Pezzoli-Olgiati in ihrem Aufsatz: Einsteigend bei der berühmten Frage von Schneewittchens Stiefmutter: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«, thematisiert sie die Optik der Religionswissenschaft, das heißt die optischen Hilfsmittel, die sie zum Betrachten ihres Gegenstandes braucht: »Brillen, Spiegel und Spiegelungen«. Im Unterschied zur Märchengestalt verfügt die Religionswissenschaft über keinen Spiegel, der einfach die Wahrheit sagt, obschon das vielleicht lange das Ideal der Disziplin war, das Ideal einer möglichst präzisen und objektiven Beschreibung bestimmter religiöser Sachverhalte. Doch die Autorin geht gerade davon aus, dass dieses Ideal in einer radikalen Krise steckt: Die hermeneutische und postmoderne Reflexion hinterfragt die Idee einer unbeteiligten, unparteiischen Distanz; zugleich setzen die gesellschaftlich-politischen Erwartungen die Religionswissenschaft unter Druck, sodass sie sich nicht mehr in einem Elfenbeinturm verschanzen kann.
Auch die Entdeckung der Gender-Thematik hat dazu beigetragen, dass man vermehrt darauf achtete, wie stark die Religionswissenschaft mit optischen Hilfsmitteln arbeitet. Das klassische Ideal einer objektiven Sicht wurde denn auch in diesem Kontext »als typisch androzentrisch entlarvt«, in Hinsicht sowohl auf die Ausblendung der Frauen in der Geschichte der Disziplin als auch auf eine gewisse Geschlechterblindheit in der empirischen Erforschung von religiösen Gemeinschaften.
In ihrem letzten Abschnitt schlägt die Autorin vor, das Dilemma aus einer wissenschaftsethischen und hermeneutischen Perspektive anzugehen, indem der Standpunkt, die Vorverständnisse, die Werte und Normen, welche die wissenschaftliche Einstellung regeln, kritisch reflektiert werden. Solche Regulierungen müssten, so die Autorin, in einer academic community ausgehandelt werden. Damit werden entscheidende methodische Spannungen thematisiert, die sonst nicht bewusst wahrgenommen werden.
Unter dem Titel Schuld ist nur der Feminismus befasst sich Kristina Göthling-Zimpel intensiv mit dem Phänomen des Antifeminismus. Sie beschreibt seine unterschiedlichen Facetten und untersucht die Faktoren, die es dieser heftigen Gegenbewegung erlauben, sich als eine Weltsicht zu etablieren. In Hinsicht auf die in den Gender Studies erforschte Genderfrage führt er zu einem Antigenderismus: Gender wird als Genderideologie abgestempelt. Einen besonderen Fokus legt die Autorin auf die Verbindung mit der Religion, aber immer eingebettet in die breitere gesellschaftliche Dimension. In diesem Sinne unterscheidet sie vor allem drei Spektren, aus denen heraus Antigenderismus,