Handbuch Gender und Religion. Группа авторов
es keine feste Methodik gibt. Die Gender-Studien greifen vielmehr die verschiedenen Methoden in den einzelnen Disziplinen auf, arbeiten mit ihnen, modifizieren sie und entwickeln sie so weiter, dass sie für die Gender-Fragestellungen produktiv gemacht werden können.3
Die Entwicklung der Gender-Studien ist mit einem zweifachen Paradigmenwechsel verbunden.4 Der erste Wechsel geschah, als sich Frauenstudien (Women’s Studies), die sich aus der historischen Frauenbewegung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hatten und hauptsächlich phänomenologisch deskriptiv und empirisch orientiert waren, in eine stärker kritisch reflektierte, feministische Orientierung umwandelten. Diese führte wissenschaftlich zu einem neuen Durchbruch und neuem Wissen. Der zweite Paradigmenwechsel folgte, als manche feministischen Ansätze als zu eng und einseitig erkannt und gender-kritische Theorien entwickelt wurden, die sich mehr inklusiv mit den verschiedensten Geschlechterrollen, -identitäten, -beziehungen und unterschiedlichen Machtpositionen von Frauen und Männern beschäftigten. Kritische Gender-Studien über Männer und Religion sind von feministischen Theorien mitbeeinflusst und haben neue Forschungsperspektiven entdeckt, die sich zum Beispiel mit dem Verständnis männlicher Identität, dem Verhältnis zwischen männlicher Sexualität und Spiritualität oder mit dem männlich überdeterminierten traditionellen Gottesbegriff im Judentum und Christentum auseinandergesetzt haben. Doch trotz allem Fortschritt sind Gender-Studien über Männer viel weniger weit entwickelt als solche über Frauen. Da letztere einen größeren gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Rückstand aufzuarbeiten haben, ist hier ein kritisches Gender-Denken viel notwendiger. Ein solches hat jedoch auch Konsequenzen für Männer. Dennoch kann es noch lange dauern, bis Männer den Vorsprung der Frauen auf dem Gebiet der Gender-Studien aufgeholt haben werden. Bis jetzt ist die Männlichkeit noch nicht in demselben Ausmaß wie die Weiblichkeit kritisch theoretisiert worden.
Wie steht es nun mit spezifischen Gender-Perspektiven in der Religionswissenschaft?
3 Gender-Perspektiven in der religionswissenschaftlichen Forschung
Religionswissenschaftliche Gender-Studien sind trotz vieler ausgezeichneter wissenschaftlicher Errungenschaften noch immer kontrovers. Sie werden von vielen Gelehrten, männlichen wie auch weiblichen, und religiös engagierten Menschen sowie religiösen Institutionen entweder einfach ignoriert oder aktiv angegriffen. Trotz solcher Schwierigkeiten und manchem Unverständnis haben sich wissenschaftliche Erkenntnisse des Feminismus und der Gender-Studien immer mehr an Universitäten und auch in der Öffentlichkeit verbreitet. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen gibt es auch in der Religion keine gender-neutralen Phänomene. Wenn Religion aus einer gender-kritischen Perspektive untersucht wird, ergeben sich verschiedene Fragestellungen, die sich mit äußeren wie inneren Charakteristiken des Religiösen beschäftigen.5 Ich möchte diese unter drei Gesichtspunkten gruppieren.
Zunächst kann gefragt werden, welche geschlechtsspezifischen Rollen und welchen Status verschiedene Religionen Frauen und Männern zuweisen. Wie sind diese zum Beispiel in den grundlegenden heiligen Schriften und Lehren bestimmt? Können Frauen genauso wie Männer am religiösen Leben teilnehmen? Haben sie Zugang zu religiöser Autorität und Führung? Haben sie ihre eigenen religiösen Gemeinschaften und Riten? Dürfen Frauen die heiligen Schriften lesen, interpretieren und lehren? Haben sie Zugang zu religiösen Ämtern? Welche religiösen Rollen haben Frauen ausgeübt, und welchen Einfluss haben sie gehabt als Schamanin, Prophetin, Priesterin, Heilige, Mystikerin, religiöse Gründerin usw.? Es ist aus religionsvergleichenden Untersuchungen ersichtlich, dass Frauen in archaischen, Stammes-, Volks- und gering institutionalisierten Religionen eher höhere Positionen innehaben als in stark ausdifferenzierten Religionen mit hierarchischen Strukturen und Organisationen. Geschichtliche Untersuchungen über den Ursprung und die Entstehungszeit neuer Religionen zeigen außerdem, dass Frauen während der Gründungszeit oft eine bedeutende Rolle spielen und eng mit dem Werk männlicher Religionsstifter verbunden sind. Als Beispiel können hier Frauen im frühen Buddhismus, Frauen um Jesus und ihr Beitrag zur Verbreitung seiner Botschaft sowie Frauen um Mohammed genannt werden. Ebenso wichtig ist der Beitrag von Frauen in den christlichen Missionsbewegungen des 19. Jahrhunderts.
Eine zweite Forschungsperspektive beschäftigt sich mit dem religiösen Denken, seinen Hauptbegriffen und seiner Sprache. Wie werden Männer und Frauen in den verschiedenen heiligen Schriften beschrieben? Welche Symbolik wird gebraucht? Welche Metaphern dominieren in der Rede über Gott, das Göttliche, den Geist und die Transzendenz? Ist die Sprache religiöser Texte vorwiegend exklusiv und androzentrisch oder schließt sie beide Geschlechter mit ein? Die geschlechtlich flektierte Sprache der Religion spiegelt sich auch in den religiösen Haltungen zum Körper, zur Sexualität und zur Spiritualität wider. Die Sakralisierung der Jungfräulichkeit sowie Askese und Mönchtum haben in mehreren Religionen stark zu frauenfeindlichen Haltungen beigetragen, deren wichtiger Einfluss auf die Geschichte der Spiritualität noch näher untersucht werden muss. Traditionelle männliche und weibliche Gender-Symbole können leicht zu einem Gefängnis des Denkens werden. Geschichtlich und gesellschaftlich begründete androzentrische Gottesbilder sind für viele Frauen zu Symbolen der Macht und Unterdrückung geworden, sodass feministische Theologinnen sie mit Recht infrage stellen. Die Suche nach weiblichen Symbolen des Göttlichen ist stark von den philosophischen Diskussionen des Postmodernismus und der Psycholinguistik beeinflusst, vor allem wie sie in den radikalen Theorien französischer Feministinnen zum Ausdruck kommt. Insbesondere die Werke von Luce Irigaray, Julia Kristeva und Hélène Cixous haben einen großen Einfluss auf gegenwärtige religionsphilosophische und theologische Diskussionen unter Feministinnen ausgeübt.6
Die dritte Forschungsperspektive fokussiert besonders auf die innere religiöse Erfahrung. Sind religiöse Erlebnisse und Gotteserfahrungen geschlechtlich differenziert? Trotz aller Anerkennung heiliger Frauen und Mystikerinnen sind die Erfahrungen solcher Frauen in den etablierten, von Männern produzierten philosophischen und theologischen Lehren und Schulen meist nicht theoretisch mitartikuliert worden. Wichtig ist auch zu hinterfragen, wie weit Religionen die traditionelle gesellschaftliche Rolle der Frau mit ihren Familienpflichten und in ihrer Abhängigkeit vom Mann legitimiert haben, anstatt Frauen anzuregen, ihre eigene Spiritualität zu entwickeln und nach höheren geistigen Idealen zu streben. Im Buddhismus und Christentum gibt es eine lange Tradition verhältnismäßig unabhängiger religiöser Frauengemeinschaften. Der Jainismus und Taoismus kennen ebenfalls Nonnen. Im Hinduismus dagegen gibt es, von wenigen geschichtlichen Beispielen unabhängiger Asketinnen abgesehen, erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts Frauenklöster. Solche Aspekte von Mönchtum und Askese werden erst seit kurzem kritisch untersucht. Ebenso sind erst jetzt gender-spezifische Erfahrungs- und Ausdrucksweisen der Mystik ins Blickfeld der Forschung und damit klarer ins Bewusstsein getreten.7 Eine religionswissenschaftlich vergleichende Untersuchung der Spiritualität zeigt, dass geistliche Ratschläge fast ausschließlich von Männern formuliert worden und hauptsächlich an Männer adressiert sind. Diese schließen oft negative Beurteilungen von Frauen mit ein. Zahlreiche religiöse Texte, die männliche Ideale der Askese, Heiligkeit und Vollkommenheit lehren, schließen eine starke Verachtung oder zumindest Ablehnung des weiblichen Körpers ein. In vielen Religionen können Texte gefunden werden, welche die Frau niedriger einstufen als den Mann und sie als unfähig betrachten, die gleichen geistigen Höhen und Dimensionen der Transzendenz zu erreichen. Zum Beispiel lehren manche Schulen des Buddhismus, dass Frauen zuerst als Männer wiedergeboren werden müssen, bevor sie selbst das Nirwana erreichen können.
Spiritualität ist ein besonders wichtiges Thema. Es verdient deshalb eine separate Behandlung.
4 Gender und Spiritualität
Große geistige Frauengestalten gibt es in vielen Religionen: Seherinnen, Prophetinnen, Mystikerinnen. Trotz männlicher Dominanz in Fragen der Spiritualität und trotz eines patriarchalen Frauenbildes, das die Frau hauptsächlich als Gattin und Mutter sieht und nahezu alle anderen Rollen ausblendet, haben zahlreiche Frauen geistige Kraft, Stärke, Autonomie und Autorität durch ihren Glauben und ihre religiöse Tradition gefunden. Dies bestärkte sie, gegen traditionelle gesellschaftliche und religiöse Normen anzugehen und manchmal eine ungewöhnliche Laufbahn einzuschlagen. Die