Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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Wie eine dieser Buddhistinnen schreibt, sind Frauen ohne Ausbildung wie »Vögel ohne Flügel«.13 Frauen müssen erst fliegen lernen, um die Gipfel des Geistes zu erreichen. Die buddhistischen Nonnen vieler asiatischer Länder kämpfen darum, die notwendige Ausbildung zu erwerben, um ihren untergeordneten Status zu ändern und eine Vollordination zu erhalten, die sie den Mönchen gleichstellt.

      Ein anderer wichtiger Aspekt hat sich im Westen entwickelt. Als buddhistische Mönche in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den Westen kamen, bekehrten sich manche westlichen Frauen zu dieser im Westen neuen Religion, die ihnen befreiender erschien als das Judentum oder Christentum. Zugleich wandten diese westlichen Frauen ein feministisches Bewusstsein auf ihr Verständnis des Buddhismus an. Dies war für die männlichen buddhistischen Lehrer, die aus Asien kamen und nur an die geistliche Autorität von Männern gewöhnt waren, eine völlig neue Erfahrung. Westliche Frauen wurden buddhistische Nonnen; manche haben eine sehr intensive Ausbildung in den traditionellen Lehren genossen und besitzen ausgezeichnete Kenntnisse der buddhistischen Schriften. In Amerika ist inzwischen fast die Hälfte aller buddhistischen Lehrer Frauen; einige genießen hohe geistige Autorität und haben viele Schüler. Eine solche Anerkennung der geistigen Führung durch Frauen ist eine in der Geschichte des Buddhismus ganz neue Entwicklung; sie ist inzwischen nicht nur im Westen, sondern auch in manchen Ländern Asiens zu beobachten. Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass inzwischen immer mehr Buddhistinnen die Geschichte buddhistischer Frauen und den Beitrag, den Nonnen in der Geschichte des Buddhismus geleistet haben, erforschen – ein bisher wenig untersuchtes Thema. Die Sakyadhitas Präsidentin Karma Lekshe Tsomo spricht von einer Gesamtzahl von 300 Millionen buddhistischen Frauen in der Welt, von denen nur 1% aus dem Westen stammen. Wenn diese große Frauenzahl mobilisiert werden könnte, für gesellschaftliche und spirituelle Befreiung und Gleichheit zu arbeiten, so könnte dies eine große Wirkung auf die Welt haben. Sakyadhita hat einen Anfang gemacht und in wenigen Jahren schon manches Ziel erreicht. Somit ist diese buddhistische Frauenbewegung ein inspirierendes Beispiel für die weibliche Kreativität auf dem Gebiet der Spiritualität.

       5 Abschließende Betrachtungen

      Über Jahrtausende hinweg sind Frauen vieler Religionen in ihrem Wesen, ihren Rollen, ihren Bildern von männlich geleiteten religiösen Institutionen definiert worden. Heute aber können sich Frauen, wenn sie aktiv sind und ein feministisch-kritisches Bewusstsein entwickelt haben, religiös selbst definieren in einer neuen Art und Weise, wie sie in der Vergangenheit nur selten möglich gewesen war. Wie ich im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Diskussionen um die Gender-Kategorie zu zeigen versucht habe, ist es vom religionswissenschaftlichen Standpunkt her wichtig zu erforschen, welchen Zugang zu Geist- und Transzendenzerfahrungen Frauen in ganz verschiedenen Religionen haben, wie das Wirken des Geistes im Spannungsfeld der Geschlechter in der Vergangenheit gesehen wurde und wie es sich jetzt zum Teil auf ganz neuen Wegen entwickelt. In Analogie zur Bedeutung der Literalität für die Entwicklung der Kultur im Allgemeinen schlage ich den Begriff der »spirituellen Literalität« vor (auf Englisch besser ausgedrückt als spiritual literacy, um einem Missverständnis mit einem »literalen« Ansatz aus dem Wege zu gehen). Darunter verstehe ich die Erfahrung des Geistes, der Transzendenz und spiritueller Autorität. Diese Erfahrungsmöglichkeit, dieses Abenteuer, steht heute Frauen offen wie nie zuvor. Damit sind wir schon im praktizierenden Bereich der Religion, der allerdings in Gender-Studien nicht streng von den wissenschaftstheoretischen Perspektiven abgetrennt werden kann. Je mehr die voneinander abhängigen Beziehungen zwischen Gender und Religion ins Bewusstsein gelangen, desto mehr wird sich die religiöse Praxis für Frauen wie Männer ändern.

      Es ist Aufgabe der Religionswissenschaft, diese grundlegenden Verwandlungen und Paradigmenwechsel wahrzunehmen, sie zu analysieren und kritisch aufzuarbeiten. Dies ist ein großes Forschungsgebiet, auf dem noch viel entdeckt werden kann. Es lohnt sich persönlich wie sachlich für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine gender-kritische Wandlung zu vollziehen und diese vielfältigen neuen Forschungsperspektiven in ihrer Arbeit fruchtbar zu machen.

       Literatur

      Ahmed, Durre S. (Hg.) (2002), Gendering the Spirit. Women, Religion and the Post-Colonial Response, London/New York: Zed.

      Haltmayer, Stephan/Eigner, Armin (Hg.) (2005), Literalität und Oralität, Frankfurt a.M.: Peter Lang.

      Hawthorne, Sîan (2005a), Feminism, Gender Studies and Religion, in: Jones, Lindsay (Hg.), Encyclopedia of Religion Bd. 5, Detroit: Macmillan Reference, 3023–3027.

      — (2005b), Gender and Religion. History of Study, in: Jones, Lindsay (Hg.), Encyclopedia of Religion, Bd. 5, Detroit: Macmillan Reference, 3310–3318.

      Jones, Lindsay (Hg.) (22005), Encyclopedia of Religion, 15 Bde., Detroit: Macmillan Reference.

      Joy, Morny/O’Grady, Kathleen/Poxon, Judith L. (Hg.) (2002), French Feminists on Religion, London/New York: Routledge.

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      Joy, Morny (2006), Divine Love. Luce Irigaray, Women, Gender and Religion, Manchester: Manchester University Press.

      Juschka, Darlene M. (Hg.) (2001), Feminism in the Study of Religion. A Reader, London/New York: Continuum.

      King, Ursula (Hg.) (1995), Religion and Gender, Oxford/Cambridge (MA): Blackwell.

      — (2005), Gender and Religion. An Overview, in: Jones, Lindsay (Hg.), Encyclopedia of Religion, Bd. 5, Detroit: Macmillan Reference, 3296–3310.

      King, Ursula/Beattie, Tina (Hg.) (2005), Gender, Religion and Diversity. Cross-Cultural Perspectives, London/New York: Continuum.

      Lanzetta, Beverly J. (2005), Radical Wisdom. A Feminist Mystical Theology, Philadelphia: Fortress.

      Mulder, Anne Claire (2006), Divine Flesh, Embodied Word. Incarnation as a Hermeneutical Key to a Feminist Theologian’s Reading of Luce Irigaray’s Work, Amsterdam: Amsterdam University Press.

      Raphael, Melissa (1996), Theology and Embodiment. The Post-Patriarchal Reconstruction of Female Sacrality, Sheffield: Sheffield Academic Press.

      Tsomo, Karma Lekshe (Hg.) (2000), Innovative Buddhist Women. Swimming Against the Stream, Richmond: Curzon.

      Van Ede, Yolande (2000), Of Birds and Wings. Tibetan Nuns and their Encounters with Knowledge, in: Tsomo, Karma Lekshe (Hg.), Innovative Buddhist Women. Swimming Against the Stream, Richmond: Curzon, 201–211.

      Van Doorn-Harder, Pieternella (2006), Women Shaping Islam. Reading the Qu’ran in Indonesia, Urbana: University of Illinois Press.

      Von Braun, Christina/Stephan, Inge (Hg.) (2000), Gender-Studien. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler.

      Walter, Willi (2000), Gender, Geschlecht und Männerforschung, in: Von Braun, Christina/Stephan, Inge (Hg.), Gender-Studien. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler, 97–115.

      Warne, Randi R. (2000), Making the Gender-Critical Turn, in: Jensen, Tim/Rothstein, Mikael (Hg.), Secular Theories of Religion. Current Perspectives, Copenhagen: Museum Tusculanum Press, 249–260.

      — (2001), (En)gendering Religious Studies, in: Juschka, Darlene M. (Hg.), Feminism in the Study of Religion. A Reader, London/New York: Continuum, 147–156.

      1 Es ist zum Beispiel aufschlussreich, dass sich die Einführung in Gender-Studien von Christina von Braun und Inge Stephan (2000) mit der Gender-Forschung in 17 verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigt, darunter auch in der Theologie, aber nicht in der Religionswissenschaft.

      2 Vgl. Jones (2005).

      3 Von Braun/Stephan (2000), 15.

      4 Für eine ausgezeichnete Übersicht über diese nicht unbedingt chronologischen, sondern manchmal parallelen Entwicklungen siehe Hawthorne (2005a und b). Siehe auch Walter (2000), 97–115.

      5 Diese und andere Themen habe ich


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