Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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Kritiken, die in »-ismen« zusammengefasst werden, wenn sie auf keine Strategien hinweisen, wie man folgendem Dilemma entweichen könnte. Denn einerseits kann man nicht mehr in der naiven Haltung der objektiven Sicht verweilen, andererseits kann man auch nicht so leicht aus einer wissenschaftlichen Tradition heraustreten, die unsere Methoden und Weltbilder – auch nach einer Auseinandersetzung mit der Kritik – nach wie vor maßgeblich formen.

      Nimmt man die Kritik an der Objektivität passiv wahr, so kann man von einem »Scheintod« dieser Art von Annäherung an religiöse Symbolsysteme sprechen. Ich möchte dieses Dilemma mit Zitaten aus zwei bekannten Handbüchern, die 1988 erschienen sind, illustrieren. Ohne zu zögern lehnt man folgende Haltung als Idealbild für den Forscher oder die Forscherin ab:

      […] Der unbeteiligte Zuschauer schaltet nämlich das beteiligte Ich ab. Das Ich begehrt, was es nicht hat, und was es hat, fürchtet es zu verlieren. Solange wir bewusst sind, bleiben wir unbeteiligt: weder Begehren noch Furcht können sich in uns ausbreiten. Dann haben wir uns selbst vergessen und sind frei, wahrhaft objektiv zu sehen, was sich uns zeigt.22

      Stattdessen neigt man eher zu Folgendem:

      Neben dem methodischen Zugang zum Phänomen der Religionen, der die eigene Verwurzelung in einer Religion zum methodischen Ausgangspunkt macht, steht die andere Möglichkeit, von Anfang an eine größtmögliche methodische Distanz zum eigenen Standort einzuführen. Methodische Distanzierung bedeutet nicht Ausschaltung. Es ist selbstverständlich, dass auch in diesem Fall die Religion des eigenen kulturellen Kontextes ein Vorverständnis von Religion überhaupt schafft, welches man nicht hinter sich lassen kann.23

      Der Verfasser des zweiten Zitats hat keine Mühe damit, die Befangenheit des eigenen Blickes einzugestehen. Problematisch ist hier allerdings, dass die »größtmögliche methodische Distanz« nicht näher umrissen wird. Nach welchen Kriterien kann man wissen, ob man den erwünschten Grad an Distanzierung erreicht hat? Liegt dies im Ermessen des Einzelnen, dann droht entweder die Rückkehr zur naiven Haltung, der man keine standfesten Alternativen entgegenzusetzen vermag,24 oder es schleicht sich eine Art methodische Willkür ein, in welcher alles, was als größtmöglich distanziert deklariert wird, auch als solches zu gelten hat.

       7 Gender als Grundkonzept einer diskursiven, hermeneutischen Religionswissenschaft

      Aus meiner Sicht kann man das Dilemma nur auf der wissenschaftsethischen und der hermeneutischen Ebene lösen.25 Es geht um die ständige kritische Reflexion über den Standpunkt und die Vorverständnisse, aus denen man sich Forschungsfeldern annähert und über die Werte und Normen, die den wissenschaftlichen Zugang überhaupt ermöglichen und regulieren.26 Solche Regulierungen ergeben sich aus dem disziplinären und interdisziplinären Austausch und werden in einer academic community ausgehandelt.27 Zur Wahrnehmung und Beschreibung eines Rahmens, in welchem eine angemessene Distanz für wissenschaftliche Beschreibungen, Analysen und Interpretationen möglich ist, scheinen mir folgende Aspekte von Bedeutung: Das Nachdenken über die Spannung zwischen wissenschaftlicher Distanz und Verankerung im eigenen historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen stellt eine erste, zentrale Ebene in diesem Zusammenhang dar. Dazu gehören tiefe Kenntnisse der eigenen (religiösen) Tradition, von deren Welt- und Menschenbild man zwingendermaßen geprägt ist. Nur so ist es möglich, die Voreingenommenheit des eigenen Blickes wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und für die wissenschaftliche Arbeit fruchtbar zu machen.28

      Zweitens stellt die Reflexion über die Spannung zwischen einem allgemeinen, globalisierten wissenschaftlichen Diskurs und den kontextuellen Verankerungen der theoretischen und methodischen Positionen, die die Vielfalt der Religionswissenschaft ausmachen, einen weiteren unverzichtbaren Schritt dar.29 Die Förderung und Unterstützung des Dialogs zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen ist das Instrument, das das Umreißen der wissenschaftlichen Distanz erst erlaubt.30

      Als Drittes möchte ich die Wahrnehmung der Spannung zwischen Distanz und Nähe sowohl in der religionshistorischen als auch in der empirisch ausgerichteten Untersuchung von religiösen Symbolsystemen hervorheben.31 Interesse und wissenschaftliche Neugier bedingen eine Annäherung an Personen und Themen: Zeitliche, sprachliche, kulturelle und religiöse Grenzen werden relativiert, man begibt sich möglichst in die Mitte des zu untersuchenden Umfeldes. Andererseits gilt es, Beobachtungen und Interpretationserfahrungen nicht unreflektiert mitzuteilen, sondern durch geeignete Analyseinstrumente die erreichte Nähe kritisch zu hinterfragen und darzulegen, sodass die wissenschaftliche, sich im Werten zurückhaltende Beschreibung und Analyse durchgeführt werden kann.32

      Schließlich sei auf das Nachdenken über die Spannung zwischen dem Erbe der »objektiven« Sicht auf Religionen und den ethischen Werten, die diese Art von Wissenschaft erst ermöglicht haben, wie die Autonomie des Individuums, die Freiheit der Forschung und das Recht auf Wissen hingewiesen.33 Wie interagieren diese Werte mit dem Anspruch, möglichst zurückhaltend zu werten?

      Dies sind Überlegungen, die die Rolle der Wechselwirkung zwischen der wissenschaftlichen Tradition und dem historischen und gesellschaftlichen Kontext, den sie geformt haben, hervorheben. Somit kann die Definition der Akteure und Akteurinnen der Forschung und der Themen, die fokussiert werden, sachlicher debattiert werden. Die Rezeption der im feministischen Umfeld gestarteten Auseinandersetzung mit androzentrischen Vorgehensweisen und ihre selbstständige Weiterführung und Erweiterung innerhalb der Religionswissenschaft hat sehr viel in diese Richtung geleistet. Diese Auseinandersetzung hat insbesondere das Nachdenken über die Unmöglichkeit einer unvoreingenommenen Brille unterstützt. Außerdem hat sie den einst als Gegenstände der Forschung Bezeichneten den Status von Subjekten eines hermeneutisch komplexen, dialogischen Interpretationsprozesses zugesprochen. Dies hat eine beträchtliche und kostbare Erweiterung in die religionswissenschaftliche Arbeit hineingebracht.34

      Sowohl die Artikulation der Geschlechterunterschiede innerhalb religiöser Symbolsysteme als auch die Interaktion zwischen den Geschlechterdifferenzen unter den Forschenden können von vielen verschiedenen Perspektiven wahrgenommen und fokussiert werden.35 Obwohl in diesem Zusammenhang bereits viel geleistet wurde,36 bedarf es noch einiges an Engagement und Arbeit, um diese clusters von Fragen der religionswissenschaftlichen Forschung zu erschließen.

       Literatur

      Ackermann, Andreas (2004), Das Eigene und das Fremde. Hybridität, Vielfalt und Kulturtransfers, in: Jaeger, Friedrich/Rüsen, Jörn (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Themen und Tendenzen, Stuttgart/Weimar: Metzler, 137–154.

      Ahn, Gregor (1997), Eurozentrismen als Erkenntnisbarrieren in der Religionswissenschaft, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 5, 41–58.

      Antes, Peter/Geertz, Armin W./Warne, Randi R. (Hg.) (2004), New Approaches to the Study of Religion, Berlin/New York: De Gruyter.

      Auffarth, Christoph (1999), Europäische Religionsgeschichte, in: Auffarth, Christoph/Bernard, Jutta/Mohr, Hubert (Hg.), Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien, Bd. 1, Stuttgart/Weimar: Metzler, 330–336.

      Barker, Eileen (1995), The Scientific Study of Religion? You Must Be Joking!, in: Journal for the Scientific Study of Religion 34, 287–310.

      Bem, Sandra Lipsitz (1993), The Lenses of Gender. Transforming the Debate on Sexual Inequality, New Haven/London: Yale University Press.

      Bloesch, Sarah J./Minister, Meredith (2019), Cultural Approaches to Studying Religion. An Introduction to Theories and Methods, London/New York/Oxford/New Delhi/Sydney: Bloomsbury Academic.

      Bosch, Lourens P. van den (2002), Friedrich Max Müller. A Life Devoted to the Humanities, Leiden/Boston/Köln: Brill.

      Braun, Willi/McCutcheon, Russel T. (Hg.) (2000), Guide to the Study of Religion, London/New York:Cassell.

      Doniger, Wendy (2000), Post-Modern and -Colonial-Structural Comparisons, in: Patton, Kimberley C./Ray, Benjamin C. (Hg.), A Magic Still Dwells. Comparative Religion


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