Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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(und Sexualität)«4 zu sein. Mit anderen Worten: Gender und sex werden nicht als relationale Größe verstanden, sondern vielmehr als sich ausschließende Konstanten, die in Konkurrenz zueinanderstehen: Übergeordnetes Ziel von Gender soll, so die Logik des gegenwärtigen Antifeminismus, ein geschlechtsloser Mensch sein.5 Wer sich auch nur ein wenig mit den Begrifflichkeiten auseinandersetzt, dem sollte bewusst sein, dass derartige Forderungen nicht auf der Agenda der akademischen Gender Studies zu finden sind. Dennoch können sich solche Behauptung im Diskurs verankern, da »der Gender-Begriff das Apriori einer gegebenen, unveränderlichen und naturhaften Essenz der Geschlechterdifferenz«6 hinterfragt und somit grundlegend verunsichert.

      Gegenwärtig findet sich die Vorstellung von Gender als Genderideologie in den Parteiprogrammen populistischer Parteien Europas wie auch in der sogenannten Alt-Right-Bewegung in den USA.7 Einen neuen Höhepunkt konnten diese Ansichten unter anderem durch christlich-fundamentale Gruppen erlangen.

      Im Folgenden will ich dem facettenreichen Netzwerk des Antigenderismus genauer nachgehen und den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Antifeminismus und Religion aufzeigen.

       1 Von Antifeminismus zu Antigenderismus

      Antifeminismus gilt als eine, auf »[…] konkrete historische Prozesse der Emanzipation reagierende weltanschauliche Bewegung, der es um die Gegnerschaft zu […] Prozessen der gesellschaftspolitischen Liberalisierung und Entnormierung von Geschlechterverhältnissen geht sowie um die Aufrechterhaltung heteronormativer Herrschaftsverhältnisse«.8 Antifeminismus vertritt somit konservative Ansichten zu Geschlechterrollen und determiniert diese zumeist biologisch.9

      Gegenwärtig lassen sich Veränderungen innerhalb des Antifeminismus ablesen: So thematisierte der Antifeminismus in den 1990ern bis zu Beginn der 2000er vor allem Männer, konkret unter anderem Männerdiskriminierungen oder auch die Verfestigung männlicher Herrschaft. Seit den 2010ern steht nun die Kleinfamilie – Vater, Mutter, Kind(er) – im Zentrum. Der Soziologe Sebastian Scheele spricht diesbezüglich von einer diskursiven Verschiebung von einem männerzentrierten zu einem familienzentrierten Antifeminismus. Hierbei wechseln auch die zentralen Themen vom Geschlechterkampf zu Frühsexualisierung.10 Antigenderismus stellt – im historischen Prozess betrachtet – die gegenwärtige Form des Antifeminismus dar und inkludiert somit antifeministische und misogyne Argumentationen.11

      In einigen Teilen Europas, so unter anderem Deutschland, Frankreich, aber auch in den USA wird Antigenderismus vor allem aus drei Spektren heraus betrieben: Erstens aus der Männerrechtsbewegung, die sich maßgeblich virtuell organisiert. Zweitens aus fundamental-christlichen Kreisen, wie auch drittens aus dem Rechtspopulismus und dem rechtsextremen Spektrum.12

      Die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer benennt insgesamt sechs Argumentationsmuster, die der Antigenderismus nutzt und die ihm Erfolg versprechen. Erstens die Argumentation einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit, die zu traditionellen Männer- und Frauenbildern führt und folglich geschlechtsspezifische Arbeitsteilung legitimiert.13 Interessant ist hierbei, dass dennoch tendenziell Frauen und Männern gleiche Rechte zugesprochen werden. Die Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa bezeichnen diesen Umstand als »historisches Novum«, da eben nicht gegen Feminismus mobilisiert wird, sondern »gegen ein akademisches Konzept […]: Gender«.14 Zweitens den Schutz der heterosexuellen Kleinfamilie, die als Keimzelle des Staates verstanden wird und mit christlich-konservativen Werten aufgeladen ist. Diese Sichtweise auf Familie ist nicht nur homophob, rassistisch und nationalistisch – sie ist zudem auch aus postkolonialer Sicht zu kritisieren, wie die südafrikanische Soziologin Haley McEwen herausstellt:

      [T]he antigender notion that the »natural family« is timeless and universal is a form of epistemicide that denies and erases diverse kinship structure, gender and sexuality identities that existed in precolonial indigenous societies, and which continue to exist around the world.15

      Drittens werden diese beiden erstgenannten Argumente durch die Rhetorik des Kindeswohls verstärkt. An der Figur des Kindes werden Themen wie Elternrecht und Sexualerziehung in öffentlichen (Bildungs-)Einrichtungen mitverhandelt. Viertens die Vorstellung, dass Gender als Genderideologie wirken würde und so die Umwelt der Bürger_innen komplett umgestalten wolle. Fünftens verknüpft sich die Kategorie Religion mit Antigenderismus mit Rückgriff auf die Kategorie Ethnie, indem ein kolonialistisches Bild eines emanzipierten Okzidents dem rückschrittlichen, intoleranten Orient gegenübergestellt wird. Sechstens ein Anti-Intellektualismus: Der Antigenderismus adressiert hier Gleichstellungspolitiker_innen und Professor_innen, deren Denomination Gender umfasst.16 Hierbei wird der akademischen Disziplin der Gender Studies eine erhebliche Machtposition zugesprochen und gleichzeitig Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen.17 Mit diesem offenen Konzept kann der Antigenderismus weitestgehend milieuübergreifend wirken.18 Auffallend ist, dass Antigenderismus besonders Zuspruch aus dem bürgerlich-christlichen Milieu erhält. Dies verweist bereits auf die enge Verzahnung von Antigenderismus und Religion.19 Zudem inszeniert sich Antigenderismus als junge Bewegung unter anderem, indem sie ihre religiösen Bezüge zu verschleiern versucht: »In most cases, the movement tries to hide its religious connections and create a secularising selfimage that cannot be reduced to previous forms of conservative resistance against gender equality and sexual rights.«20

      Antigenderismus als Form des Antifeminismus ist somit keine »in sich geschlossene Ideologie, sondern ein ideologisches Versatzstück unterschiedlicher Akteure mit jeweils eigenen weltanschaulichen Verhaftungen«.21 Mit der Politikwissenschaftlerin Elizabeth S. Corredor verstehe ich Antigenderismus als soziale Gegenbewegung. Antigenderismus befindet sich gegenwärtig in einem Aushandlungsprozess zum Feminismus und zur Geschlechterforschung. Diese Sichtweise ermöglicht es, die antifeministische und antigenderistische Bewegung als »global phenomena« zu verstehen, »that exceed generalized resistance and […] involve coordinated, well-organized, and well-resourced actors whose interests are to preserve traditional values of gender, sex, and sexuality«.22

       2 Antigenderismus/Antifeminismus im Internet

      In der Betrachtung von Antigenderismus und Antifeminismus kommt dem Internet eine Schlüsselfunktion zu: Das Internet bietet den virtuellen Raum des Austauschs und dient der Vernetzung.23 Diese Verknüpfung lässt sich über die Entwicklung einer Netzöffentlichkeit erklären, die die Veränderung von Journalismus und Politik ermöglichte. Diese Form sollte zunächst zu einer höheren Sichtbarkeit und Hörbarkeit von marginalen Stimmen führen und folglich mehr Gleichberechtigung bedingen. Seit 2013/2014 ist eine Verrohung der Kommunikation unter dem Deckmantel der (Teil-)Anonymität im digitalen Raum abzulesen: hierzu zählen Shitstorms, Hatespeech und Cybermobbing. Personen, die online offen über Feminismus und Geschlechterverhältnisse sprechen, sind dabei besonders stark von einer »›Enthemmtheit‹ der Diskussionskultur«24 betroffen. Die Verstärkung dieses Phänomens wird mit dem sogenannten Echokammer-Effekt beschrieben – indem sich Menschen mit Gleichgesinnten in ihrer Filter-Bubble umgeben, die ihre Meinung teilen und wiedergeben, können sich »Positionen zuspitzen, radikalisieren und gegen andere Positionen abschotten«.25

      Sichtbar wird die Bedeutung der internetbasierten Vernetzung beispielsweise daran, dass viele antigenderistische Offline-Aktionen wie Demonstrationen weitgehend unbekannt sind, aber dennoch eine virtuelle »milieuübergreifende Vernetzung verschiedener Personenkreise und Gruppierungen, die zuvor keine Berührung miteinander gesucht hatten«26 stattfand. Das Internet nimmt somit eine zentrale Vergemeinschaftungsfunktion ein.27

      2.1 #MeToo, feministische Vernetzung und Empowerment

      Die Sichtbarkeit feministischer Themen ist durch das Eindringen in die digitale Öffentlichkeit ebenfalls stark erhöht worden. Hashtags wie #aufschrei, #MeToo und #TimesUp haben den Diskurs um sexualisierte Gewalt, Objektivierung und Sexismus befeuert und sichtbar gemacht. Auch diente das


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