Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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Die Hashtags machten sichtbar, was in den Gender Studies und Sozialwissenschaften bereits wissenschaftlicher Konsens war – Millionen Frauen hatten Erfahrungen mit Sexismus in unterschiedlicher Stärke gemacht.29

      Das soziale Netzwerk Twitter ermöglicht durch das Einbinden von Hashtags ein einfaches Instrument zur Netzwerkbildung und zum Erreichen einer breiteren Öffentlichkeit. Dies gelang 2013 beispielsweise mit dem #aufschrei, der Alltagssexismus thematisierte und von der Feministin Anne Wizorek ins Leben gerufen wurde. Andere Beispiele sind u.a. #whyIstayed und #whyIleft, die sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzten. Das Erfolgskonzept der Hashtags liegt hier einerseits in der Teilanonymität von Twitter (virtuelle Kommunikation, nur teilweise Klarnamen) und anderseits in dem Kreieren eines Safespace, der durch gegenseitige Bestätigung entsteht und so Ohnmachtsgefühle überwinden kann.30

      Ein anderes Ausmaß nahm die Sichtbarkeit des Hashtags #MeToo an, der innerhalb kürzester Zeit zu einer eigenen Bewegung wurde. Schlüsselfiguren sind hier die Menschenrechtsaktivistin Tarana Burke – die erstmals den Ausdruck MeToo (hier noch offline) nutze, um auf sexualisierte Gewalt aufmerksam zu machen, wie auch die Schauspielerin Ashley Judd, die 2018 eine Klage wegen sexueller Belästigung und den damit verbundenen negativen Folgen für ihre Karriere gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein erhob und zudem zu einer der ersten gehörte, die ihn öffentlich der sexuellen Belästigung beschuldigte. Eine weitere Schlüsselfigur ist die Schauspielerin Alyssa Milano, die 2017 den Hashtag #MeToo startete. #MeToo wurde zur Bewegung, in andere Sprachen übersetzt und schuf ein transnationales feministisches Netzwerk. Als Reaktion auf #MeToo trugen viele Schauspieler_innen auf den Golden Globes 2018 schwarze Kleidung und kamen in Begleitung eines_einer Aktivist_in. Zudem wurde der Hashtag #TimesUp gegründet, der Taten nach #MeToo fordert: TimesUp gilt als Bewegung aus #MeToo und hat beispielsweise 22 Millionen Dollar zur Unterstützung von Frauen, die sexuell belästigt wurden, gesammelt.31

      Die Soziologin Ilse Lenz spricht #MeToo ein produktives Potenzial zu, das neue Impulse setzt, ist doch die Kernaussage: »Frauen [wollen] selbst ihren Körper und ihre Sexualität bestimmen […]: Sie wollen Erotik, Flirts und Sexualität leben und von sich aus gestalten und nicht mehr als Objekt von Gewalt und Belästigung dienen.«32 Die Debatte, die #MeToo nach sich zog, verhandelt zentral die Themen Fremdbestimmung und (erwünschte) Sexualität wie auch gegenseitige Solidarisierung. Kritiker_innen der Bewegung problematisierten Täter_innenpersonalisierung und bezeichnen #MeToo als Ausdruck von Männerhass. Aufgefangen wurde dies u. a. durch Männer, die #MeToo ebenfalls nutzten, und durch die Kampagne #Him-Tough, die männlichen Aktivismus gegen sexuelle Gewalt sichtbar machte. Zudem wurde Aktivistinnen (hier spezifisch weiblich) von #MeToo vorgeworfen, sie seien lediglich prüde – der Prüderievorwurf ist ein wiederkehrendes Motiv im Kontext antifeministischer Gegenrede.33 #MeToo macht die Verwobenheit verschiedener Diskurse öffentlich. So formuliert Paula-Irene Villa: »Wir haben es […] unter der Chiffre #metoo mit einer allgegenwärtigen Struktur zu tun, die sich gleichwohl sehr heterogen, graduell und vor allem höchst kontextspezifisch realisiert.«34 Zentral für den Erfolg von #MeToo ist jedoch die Prominenz der beteiligten Personen, die ihre Öffentlichkeit für den Diskurs nutzen konnten.

      #MeToo ist ein eindringliches Beispiel für feministische Netzwerke und deren Wirkmächtigkeit, visualisiert der Hashtag doch die erschlagende Menge an Erfahrungen sexueller Gewalt von Frauen und ordnet sie strukturell ein. Dass der Hashtag so ein Potenzial entwickeln konnte, führt die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze auch auf die Präsidentschaft von Donald Trump zurück, die zu einer »Renaissance des Frauenrechts-Aktivismus geführt«35 hat.

      2.2 Von der Mannosphäre zu Incels

      Die politische Lage in den USA während der Präsidentschaft von Donald Trump verstärkt also auf der einen Seite feministischen Aktionismus; auf der anderen Seite steht die Alt-Right-Bewegung, die mittels rechtspopulistischer Strategien an Aufmerksamkeit gewinnt. Mit der Idee der White Supremacy – die Vormachtstellung des Weißen Mannes – inkludiert diese Bewegung Islamfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. Ihre Präsenz und Vernetzung findet meist online statt – von dort aus gelangt sie als Konzept zu unterschiedlichen Gruppierungen.36

      Die sogenannte Manosphere oder Mannosphäre bezeichnet ein Netzwerk von Männerrechtsaktivisten (explizit männlich), deren Spektrum von gemäßigt bis zu radikal reicht.37 Einend ist die Thematisierung von Männlichkeit, meist auch im Verhältnis zu Weiblichkeit: Nicht ausreichende oder verweiblichte Männlichkeit wird bloßgestellt, angeprangert und für gesellschaftliche Missverhältnisse verantwortlich gemacht. Hier offenbart sich ein Bild toxischer Männlichkeit, die eine aktive, aggressive, omnipotente Männlichkeit priorisiert.38 Mittels dieser Argumentationsmuster werden auch Antifeminismus und Antigenderismus zentrale Motive: Feminismus sei verantwortlich für gesellschaftliche Missstände, Frauen verhielten sich nicht mehr so, wie sie es biologisch eigentlich tun sollten, folglich gehorchten sie Männern nicht und seien unabhängig, dies führe zu einer abnehmenden Präsenz von hegemonialer Männlichkeit.39 Die Konfliktforscherin Shannon Zimmermann, die Juristin und Kommunikationswissenschaftlerin Luisa Ryan und der Internationalisierungsforscher David Duriesmith formulieren diesen Umstand für die Bewegung der Incelsinvoluntarily celibate (»unfreiwillig zölibatär«) – treffend: »Incel ideology is predicated on the notion that feminism has ruined society, therefore there is a need of a ›gender revolt‹ in order to reclaim a particular type of manhood on both male and white superiority.«40 Weiter halten sie fest: »Incels believe […] by defending women’s bodily autonomy, feminism has upset the natural order which organizes society around monogamous heterosexual couplings.«41

      Historische und gegenwärtige (radikalere) Männerrechtsnetzwerke sind »geprägt von verunsicherten Männern«,42 die versuchen, den »Einbruch in die Exklusivität«43 des Weißen Mannes aufzufangen: Diese Netzwerke können als Strategien der Ermächtigung gelesen werden, die versuchen, dem (tatsächlichen oder drohenden) Machtverlust entgegenzuwirken.44 Diese Bewegung befindet sich noch in der Formierungsphase – ein fester Bestandteil und ein identitätsstiftendes Argumentationsmuster ist, dass der Feminismus als monolithisch und mächtig imaginiert wird, der Männer in eine Opferrolle drängt und so traditionelle Geschlechterbilder zerstört hat.45 Ich möchte an dieser Stelle jedoch betonten, dass sich innerhalb dieses Netzwerks auch Aktivist_innen bewegen, die sich mit realen Themen wie männlichen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen, Selbstmord oder Vaterschaftsrechten auseinandersetzen.46 Dennoch bietet dieses Netzwerk in Form einer Echokammer gerade radikaleren Positionen die Möglichkeit, weitestgehend anonym zu existieren und sich weiter zu verstärken.

      Ein stehender Ausdruck im Kontext der Mannosphäre ist being red pilled – eine Anspielung auf den Film THE MATRIX (The Wachowskis, US 1999), der das Erwachen aus einer Illusion – der Feminismus ist schuld am Untergang der Welt – bezeichnet. Das Reddit47 Subforum Red Pill gilt als ein tragender Pfeiler innerhalb der Mannosphäre und ist zudem als besonders radikal anzusehen. In diesem Netzwerk haben sich unterschiedliche Gruppen entwickeln können: so beispielsweise die MGTOWMen going their own way, die stufenbasiert organisiert sind, oder die Proud Boys, die das Ablehnen männlicher Masturbation in das Zentrum ihrer Motivation stellen. Die erfolgreiche Bewegung Incels spricht vor allem das Single-Milieu an.48 Ein prominenter Vertreter ist beispielsweise der Incel Hero Elliot Rodger, der 2014 in Santa Barbara sechs Menschen tötete und dessen Manuskript My Twisted World ein Referenzwerk in der Incel-Community wurde. Incels empfinden sich als unzureichende Männer, die aufgrund unterschiedlicher Selbstzuschreibungen – hässlich, dumm, kein Selbstwertgefühl – meist zu einem Leben als männliche Jungfrauen verdammt seien.49 Dieses Empfinden kanalisieren sie in einem Hass auf die konstruierten Gruppen der Stacys – hübsche, junge Frauen – und der Chads – attraktive Männer.50 Gemein ist der Bewegung ein Antifeminismus, der sich unter anderem in misogyner Sprache ausdrückt.


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