Tödliche Dunkelheit. Heribert Weishaupt

Tödliche Dunkelheit - Heribert Weishaupt


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über die Tasten seines Notebooks flog.

      Mit fast neunzehn Jahren geschah es dann doch. Er ging zum allerersten Mal eine nähere Beziehung zu einer Frau ein. Eva war eine zierliche, kleine Person, allerdings mit einem ausgeprägten Willen. Der Kontakt wäre aus seiner Sicht nie entstanden, wenn nicht Eva die Initiative ergriffen hätte. Auch zu Liebkosungen und der gegenseitigen Erforschung des Körpers ermunterte ihn Eva. Bis zu diesem Punkt genoss er das Zusammensein. Als Eva eines Tages, seine Mutter hatte für einige Stunden die Wohnung verlassen, mehr von ihm wollte als nur oberflächliche Zärtlichkeit und Streicheln, war er schockiert. Vor seinem inneren Auge spielten sich die Szenen seiner Mutter mit ihren Männern ab. Nein, er wollte von einer Frau nicht so erniedrigt werden, wie seine Mutter die Männer erniedrigte.

      Direkt und ohne Umschweife forderte er Eva auf, die Wohnung zu verlassen. Eva war bestürzt und beleidigt, zumal David ihr keinerlei Erklärung für sein Verhalten gab.

      In den nächsten Jahren hatte David hin und wieder kurze Beziehungen zu Frauen, die jedoch an dem entscheidenden Punkt immer wieder endeten. Zu sehr waren die Erinnerungen an seine Mutter und deren Männer und den damit verbundenen Ekel präsent.

      Irgendwann zog er bei seiner Mutter aus und brach den Kontakt zu ihr ganz ab.

      Inzwischen kam es auch nicht mehr zu kurzen Beziehungen zu Frauen. David begnügte sich mit dem Beobachten von willkürlich ausgewählten Frauen, das ihm zu einer gewissen Befriedigung verhalf.

      In der Folgezeit legte er sich ein hochwertiges Fernglas sowie eine Kamera mit starkem Zoomobjektiv zu, die sein Vorhaben enorm unterstützten. Er entwickelte sich immer mehr zu einem krankhaften Voyeur.

      Da er keine direkte Beziehung mehr zu Frauen hatte, verblassten im Laufe der Zeit auch die Erinnerungen an die schreckliche Zeit seiner Kindheit zu Hause.

      In der Folgezeit griff ihn die Polizei mehrfach auf, als er die Persönlichkeitsrechte von Frauen verletzte, indem er sie mit einem Fernglas beobachtete oder mit der Kamera fotografierte.

      Im vergangenen Jahr wurde er am Badesee verhaftet, als er aus einem Versteck Frauen mit seiner Kamera nahe heran zoomte und fotografierte.

      Die letzte Verhaftung erfolgte Anfang des Jahres am Rande des Stadtparks. Er saß spätabends versteckt in einem Gebüsch. Mit seinem Fernglas beobachtete er in der gegenüberliegenden Wohnung eine junge Frau beim Entkleiden. Ein älterer Mann, der seinen Hund Gassi führte, überraschte ihn und rief die Polizei.

      Der Ermittlungsrichter war einfühlsam und sah in David einen jungen Mann, der durch äußere Einflüsse vom Weg abgekommen war. Der Richter vermutete, dass die Grundlagen für seine Erkrankung bereits durch familiäre Erlebnisse in der Pubertät entstanden waren. Da er bisher nie gewalttätig in Erscheinung getreten war und sich seine Erkrankung lediglich auf das Beobachten von Frauen beschränkte, fand der Richter, dass man ihm eine Chance geben sollte. Er erließ keinen Haftbefehl. Durch intensive fachärztliche Hilfe sollte er wieder in die Gemeinschaft integriert werden.

      Er fragte David, ob er einer solchen Behandlung zustimmen wolle. David, der um seine krankhafte Veranlagung selbstverständlich wusste, schämte sich grundsätzlich wegen seiner Neigung. Ohne Zögern stimmte er einer Behandlung zu. Natürlich war die Möglichkeit einer Strafe zu entgehen ebenfalls sehr verlockend. Er wolle ein anderer Mensch werden, versprach er dem Richter. Durch Kontakte des Richters konnte er bereits wenige Tage später eine ambulante Behandlung in der Tagesklinik beginnen.

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      An diesem Abend im Bett in der Klinik spult sich sein bisheriges Leben nochmals in seinen Gedanken ab. Er hat die blinde Frau kennengelernt und es ist alles nicht mehr so, wie es war oder wie es werden sollte. Das Versprechen, das er dem Richter gegeben hat, schiebt er in die entlegenste Windung seines Gehirns.

      Er denkt an Konrad, seinen Freund und Mitbewohner. Konrad kennt Davids Veranlagung und versteht ihn. Manchmal, wenn sie abends im Bett lagen und rumalberten, zog Konrad ihn mit seinen Frauen auf und machte sich lustig über ihn. Natürlich nur im Spaß. Beide lachten und David erzählte ihm dann Geschichten seiner Beobachtungen, die er reichlich ausschmückte. Er war dann richtig stolz auf sich.

      Konrad hatte nie etwas zu erzählen. Er hatte weder etwas mit Frauen, noch mit Männern. Für ihn gab es nur seine Arbeit und in der Freizeit seinen Computer.

      David fragt sich: Will er so werden wie sein Freund? – Nein, das möchte er nicht.

      Es mehren sich die ernsthaften Bedenken, ob er weiterhin die Kraft und Ausdauer aufbringen kann, eine Änderung seines Verhaltens herbeizuführen.

      Vor allem hat er Zweifel, ob er diese Behandlung hier noch will.

      Irgendwann fallen ihm die Augen zu und er versinkt in einen unruhigen Schlaf.

       8

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      Er drückt auf alle Knöpfe der Klingelanlage.

      „Guten Morgen, hier ist Der Tiefkühlfavorit. Wären Sie so freundlich und würden mir bitte die Haustür öffnen?“, spricht der gutaussehende Mann höflich in die Sprechanlage eines Mehrfamilienhauses.

      Der Türöffner summt mehrere Male, ohne dass sich ein Hausbewohner durch die Sprechanlage meldet.

      Der Verkaufsfahrer kennt sich gut aus in den Wohnanlagen dieses Viertels der Stadt und der überwiegende Teil ihrer Bewohner ist ihm bekannt, vorzugsweise aber die Bewohnerinnen. Die jungen, hübschen, blonden Frauen und auch manche Schwarzhaarige haben es ihm angetan. Wenn er irgendwo klingelt, lässt man ihn immer ohne jegliche Nachfrage ins Haus. Er ist halt allgemein bekannt und beliebt.

      Seinen Transit mit dem reichhaltigen Angebot an Tiefkühlkost parkt er an einer zentralen Stelle im Hochhausviertel. Sternförmig beliefert er von dort die Kunden. Wenn er sich in einem Haus längere Zeit aufhält, ist dies nicht auffällig. Die Frauen kennen ihn und lieben seine unverbindliche und manchmal etwas frivole Art der Kommunikation. Er weicht nie einem Gespräch aus, sofern seine Gesprächspartnerin hübsch und attraktiv ist. Dann kann sich der Besuch auch über eine längere Zeit erstrecken.

      Heute steht unter anderem Frau Blumenröder auf seiner Liste. Eine blonde, attraktive Mittzwanzigerin. Er findet sie reichlich naiv, freut sich aber immer wieder auf das Gespräch mit ihr. Er fühlt sich ihr weit überlegen. Die eine oder andere seiner, mit einem Lächeln verpackte, etwas anstößige Bemerkung, lässt Frau Blumenröder immer die Röte ins Gesicht schießen. Er nimmt dies wohlwollend zur Kenntnis und registriert mit Freude, wie sich eine gewisse Begierde auf diese junge, hübsche Frau bei ihm einstellt.

      Sie arbeitet als Friseurin und hat montags ihren freien Tag. Auf seiner heutigen Tour hat er sie daher eingeplant.

      Er klingelt an ihrer Wohnungstür, die sich erstaunlicherweise sofort öffnet. Wahrscheinlich hat sie seinen Wagen bereits vom Fenster aus gesehen und erwartet ihn.

      „Guten Morgen Frau Blumenröder. Wie geht es Ihnen heute? Hatten Sie eine schöne Nacht?“, sprudelt es fröhlich aus seinem Mund.

      Ein leichtes Lächeln, nicht zu provokant, umspielt seine Mundwinkel. Die junge Frau wird verlegen und in ihrem Gesicht steigt eine ihr unangenehme Röte auf. Sie schlägt die Augen nieder und ist zu keiner schlagfertigen Antwort in der Lage. Sie fühlt sich ertappt. Sie wohnt in der Wohnung zwar allein, aber ihr Freund hat die letzte Nacht wieder einmal bei ihr verbracht. Es war tatsächlich eine schöne Nacht, findet sie.

      Verschämt streicht sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und meint mit leisem Ton:

      „Zwei Tüten Suppengemüse, drei Pakete Maultaschen und zwei Tüten Leberkäse, bitte. Das wäre für heute alles.“

      Wie selbstverständlich drängt der Verkaufsfahrer Frau Blumenröder zurück in die Wohnung und kann auf diese Weise den kleinen Wohnungsflur betreten. Er notiert die Bestellung auf dem eigens dafür vorgesehenen


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