Harzmagie. Jürgen H. Moch
die in der kleinen Flasche, von der du manchmal nach dem Sport nippst?«
»Woher weißt du das?« Elisabeth fühlte sich ertappt.
»Ich habe Augen im Kopf und ich bin der Sohn der Apothekerin. Außerdem hat deine Mutter einmal nachts bei uns Zutaten eingekauft und mir eine dicke Lügengeschichte aufgetischt, von wegen eigenes Blattläusemittel. Wenn sie ein anderer Typ wäre, hätte ich aufgrund der Zutaten getippt, dass sie eine ganze Mannschaft damit umbringen will.«
Jetzt blieb Elisabeth abrupt stehen und blickte Theobald völlig entgeistert an. »Was? Du musst dich irren!«
Sabrina, die ein paar Meter zurückgefallen war, hatte das Gespräch nicht mit angehört, kam jetzt aber auch heran.
»Hör mal, ich helfe schon seit Jahren in der Apotheke immer wieder aus. Sie hat Unmengen an Silbernitrat, Eisenhut und anderen Zutaten gekauft. Bei einigen davon würde schon eine Messerspitze reichen, um ein Pferd zu töten. Eigentlich dürfte ich dir das ja gar nicht sagen, aber da wir Freunde sind …«, rechtfertigte sich Theobald.
Sabrina blickte die anderen beiden an. »Was macht ihr denn mit den Dingen, die deine Mutter gekauft hat?«
Als Elisabeth zwischen beiden hin und her starrte, sah sie in zwei neugierige Gesichter. Es drängte sie, ehrlich zu sein, doch alleine wollte sie sich auch nicht öffnen. Sie hatte hier in Clausthal schnell zwei Freunde gefunden und wollte diese nicht gleich wieder verlieren.
»Ihr müsst mir schwören, dass ihr ein Geheimnis bewahren könnt! Und als Pfand will ich, dass ihr mir auch von euch ein Geheimnis verratet.«
Plötzlich wirkten beide seltsam betreten.
Schließlich meinte Theobald: »Okay, das ist nur fair, aber ich gebe nur ein gleichwertiges Geheimnis preis. Ist das akzeptabel für dich?«
Elisabeth überlegte noch, als Sabrina ihn verwundert ansah und von ihm wissen wollte, wie viele Geheimnisse er denn so habe. Schließlich gaben sich alle zusammen die Hand. Sabrina bestand sogar darauf, dass sie vorher noch hinein spuckten. Auch wenn sie das eklig fand, stimmte Elisabeth zu. Ihre Übereinkunft hatte fast schon etwas von einem Geheimbund.
»Ok, ich fang wohl an!«, sagte Elisabeth dann. »Ich leide an einer seltenen Krankheit, bei der schwere Krämpfe meinen Körper überfallen, ein bisschen so wie Epilepsie, aber es kommt immer, wenn ich mich zu sehr aufrege oder tierisches Eiweiß esse. Deswegen bin ich ja Veganerin. Ich bekomme dagegen eine Medizin, die früher unsere Hausärztin hergestellt hat und jetzt meine Mutter. Da ist dieses Silberdings und der andere Kram drin, aber nur so viel, dass es die Krämpfe löst. Ich muss ständig eine Flasche bei mir haben, sonst könnte ich sterben. So, nun ist es raus.« Zum Beweis holte sie ihre Flasche hervor und zeigte sie den anderen.
Sabrina war sprachlos.
Theobald pfiff durch die Zähne. »Voll abgefahren!«
Sabrina seufzte. Dann sagte sie: »Ich weiß nicht, ob das gleichwertig ist, aber ich habe von einer alten Dame die Handschuhe auf dem Friedhof ... äh ... gefunden und mitgenommen. Und als die drei Deppen mich an dem Tag eingeholt hatten, als du …«, sie fixierte Theobald, »so schnell abgehauen bist, haben sie mich umgeschubst, und ich habe dann Vinzenz und Ojan in die Klöten getreten, dass es geknackt hat. Aber Alim habe ich nur mit den Handschuhen am Kopf berührt und er hat geschrien wie am Spieß. So bin ich denen entkommen.«
Elisabeth blickte sie halb bewundernd, halb irritiert an. »Vielleicht hatte er schon Zahnschmerzen und du hast den wunden Punkt erwischt.«
»Nein, es war, als hätte er plötzlich Todesangst. Ich habe die Handschuhe zu Hause. Ich kann sie euch zeigen, wenn ich zurück bin.«
Theobald überlegte lange. Die Mädchen wurden schon beide ungeduldig, dann seufzte er schwer.
»Okay, wir haben es geschworen, also dann komme jetzt ich. Ich klaue manchmal Dinge aus der Apotheke, um selbst zu experimentieren. Will später auch mal so etwas machen. Aber damit meine Ma das nicht mitbekommt, habe ich die Kellerwand zum baufälligen Nachbarhaus aufgestemmt und mir dort ein geheimes Versuchslabor eingerichtet.«
Die Mädchen starrten Theobald gleichermaßen verblüfft an.
Sabrina knuffte ihn verschwörerisch in die Seite. »Dass du irgendwie herumexperimentierst, habe ich mir schon lange gedacht, weil deine Versuchsbeschreibungen in Chemie immer so klingen, als wenn du sie nicht abgelesen, sondern selbst erlebt hast. Aber das mit dem Keller ist wirklich die Wucht. Cool. Dürfen wir das mal sehen?«
Theobald schien jetzt doch nervös.
»Komm, meinen Trank habe ich dir auch gezeigt!«, setzte Elisabeth hinzu.
Widerstrebend antwortete Theobald: »Worauf habe ich mich hier nur eingelassen? Okay, aber ich brauche Vorbereitung und meine Ma darf nicht da sein!«
»Mann, bin ich erleichtert«, sprach Elisabeth aus, was anscheinend auch die anderen dachten. »Ich dachte, ich bin der einzige Freak, aber jetzt habe ich zwei Freunde, die mindestens genau solche Freaks wie ich sind!«
Zusammen gingen sie schweigend weiter, jeder in sich gekehrt. Es begann zu regnen, aber das störte sie nicht. Es war nun nicht mehr weit zum Negersprung. Sabrina verkündete, sie sei inzwischen doch zu kaputt, um den Abhang mit hinunterzuklettern. Sie setzte sich oben auf einen abgesägten Baumstumpf und fragte bei Theobald um Nachschub an, doch der lehnte ab wegen der Gefahr der Überdosierung, wie er sich ausdrückte. Mit Elisabeth stieg er den Hang hinab.
Der Mann hielt reglos inne. Er hatte alle Spuren beseitigt, und er war gut darin. Nichts entging seinen scharfen Augen und der feinen Nase. Ein paar junge Büsche musste er sogar ganz ausreißen und den Boden festdrücken, damit man nicht erkannte, dass jemand hineingekracht war. Das Fell an der oberen Leitplanke hatte er bis aufs letzte Haar entfernt und sie wieder gerade gebogen. Doch jetzt tauchten diese Jugendlichen auf. Zwei von ihnen kamen nun auch noch den Hang hinunter, genau auf die letzte Stelle zu, wo er das Blut noch nicht beseitigt hatte. Verdammte Giulia. Sie machte immer nur Schwierigkeiten und er musste sich um die Beseitigung kümmern. Schlimm genug, dass sie Wild und Schafe riss, aber sich auf der Straße anfahren zu lassen, machte riesige Probleme. Der Wagen hatte sicher ordentliche Dellen. Er hoffte nur, dass der Fahrer im Nebel nicht genug erkannt hatte. Wenn man keine Haare oder Spuren fand, würde die Versicherung zwar nicht zahlen, aber das war egal. Ohne Beweise würde die Presse es nicht drucken und nur darauf kam es an.
»Genau hier muss er hinuntergerollt sein. Hier müssten Äste abgeknickt sein und so, aber ich finde nichts«, hörte er das gertenschlanke, fast schon dürre Mädchen sagen. Sie blieb stehen, während der Junge langsam aufschloss.
»Wie sah der Wolf denn genau aus?«, fragte dieser.
»Es war nebelig, aber ich glaube, er hatte fast ausschließlich graues Fell. Und riesig ist er mir erschienen, fast wie ein Pony. Es hat auch richtig heftig gekracht, als unser Passat ihn gerammt hat. Mama war völlig fertig.«
Der Mann zog die Luft durch die Zähne. Verdammt! Eine Fahrerin und eine Beifahrerin. Zwei Zeugen! So etwas durfte nicht passieren. Ein einsamer Fahrer in der Nacht ließ sich leichter dementieren als zwei Frauen. Und dieses Mädchen hatte genau beobachtet, sie war sogar hergekommen, um nach dem Wolf zu suchen. Er musste sich etwas einfallen lassen.
Elisabeth starrte in das Dickicht unter ihr.
»Ich verstehe das nicht. Er kann nur hier irgendwo hinuntergerollt sein. Es sollte doch irgendwelche Spuren geben.«
Theobald hatte sie endlich eingeholt. »Möglicherweise ist er dort ganz ins Dickicht hineingerutscht. Spuren sehe ich aber auch keine. Vielleicht ginge es schneller, wenn wir nicht mit angezogener Handbremse suchten.«
Elisabeth schaute ihn fragend an.
»Nun, mein kleiner Helfer aktiviert deine volle Leistungsfähigkeit. Auf einen Versuch käme es an.« Er zog seine Flasche aus der Tasche und nahm einen Schluck und hielt sie Elisabeth hin. »Bei dem Zeug, was du sonst in dich hineinschüttest, ist das noch harmlos!«
Erst zögerte sie kurz, dann nahm sie einen Schluck.