Harzmagie. Jürgen H. Moch

Harzmagie - Jürgen H. Moch


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Mutter genau, als diese erleichtert aufatmete, als wenn sie eine ganz andere Erklärung erwartet hatte. Ein Seitenblick zu Anna Binsenkraut verriet ihr, dass da noch irgendetwas im Gange war, denn die fixierte immer noch Theobald und der wiederum seinen Kakao-Becher.

      Elisabeth sprang auf. »Gut, dann ist ja alles klar. Brina, du wolltest uns doch noch etwas in dem Heft zeigen. Wir sollten die Mütter jetzt einen Moment alleine lassen, was meint ihr?«

      Sabrina, die sofort schaltete, pflichtete ihr bei und war auch sogleich auf den Beinen. Als Theobald folgen wollte, räusperte sich Anna Binsenkraut, doch Martha Schubert legte ihr behutsam die Hand auf den Unterarm.

      »Lassen Sie gut sein, die drei müssen den Schock doch noch verdauen. Immerhin werden sie nicht mehr so leichtsinnig sein wie heute.«

      Bevor noch jemand etwas anderes erwidern konnte, stürmten die Kinder nach oben in Sabrinas Zimmer. Sabrina ließ sich aufs Bett fallen und stöhnte.

      »Mann, was war das denn? Ich glaube deiner Mutter ja kein Wort, Theo. Die weiß mehr, hat aber auch nichts gesagt. Und deine Ma stand ja fast ständig am Rande zur Ohnmacht. Echt, da geht voll was ab und wir kapieren nur die Hälfte.«

      Theobald nickte und seufzte. »Meine Mama wird mir noch die Ohren langziehen. Du hättest das mit dem Trank nicht erwähnen sollen, aber ich glaube, ich lasse zu Hause einfach zwei von den Dextrotränken für Sportler verschwinden. Sie wird mir das vom Taschengeld abziehen, aber ich denke, damit komme ich durch.«

      »Die ersetze ich dir, auch wenn ich nicht allzu reich bin.«

      Elisabeth war still geblieben, dann fragte sie: »Theo, dein Trank, ich habe mich so komisch gefühlt. Was ist da alles drin?«

      Theobald schaute verwundert zurück. »Also, das ist eigentlich ein Geheimnis, aber ich habe nur Pflanzen drin und etwas Blutserum.«

      »Was?«, riefen beide Mädchen aus. Sabrina vor Ekel, Elisabeth wurde schwindelig.

      »Ich darf kein tierisches Eiweiß zu mir nehmen!«

      »Bäh, ich trinke das nie wieder!«, meldete sich Sabrina.

      »Das ist ein künstlich hergestelltes Serum, keine Panik!«, sagte Theobald entrüstet. »Gewirkt hat er ja wohl. Du hast uns trotz unseres Vorsprungs ja noch spielend eingeholt und wir haben nicht getrödelt.«

      Elisabeth schwieg. Sie erinnerte sich an die komische Sinneserweiterung, die sie verspürt hatte. Das intensive Gefühl hatte sie fast überwältigt, aber das wollte sie jetzt nicht zugeben. Wie es aussah, hatten sie alle ein paar mehr Geheimnisse. Aber sie war heute nicht bereit, noch mehr davon zu teilen.

      »Ist es okay, wenn ich die Handschuhe heute nicht heraushole, solange die Moralabteilung unten noch tagt?«, fragte Sabrina.

      Sie hatte zuweilen eine komische Art, sich auszudrücken, aber die anderen beiden nickten. »Zuviel Aufregung für einen Tag.«

      Sabrina holte ihre Tattoo- und Piercinghefte heraus und sie diskutierten eine Weile über die Motive, doch dann wurden sie von immer lauter werdenden Stimmen abgelenkt, die von unten durch die Decke drangen. Mittlerweile war im Wohnzimmer eine lebhafte Diskussion zum Thema Schule entbrannt. Martha Schubert kannte offensichtlich jeden Lehrer persönlich, vor allem private Dinge. Anna Binsenkraut steuerte das eine oder andere pikante Detail bei. Die Mütter prusteten bei der kleinsten Anekdote los, als wären sie Teenager. Die Kinder hörten oben, wie es lauter und alberner wurde. Sabrina rollte mit den Augen.

      »Ich wette, meine Ma füllt eure beiden gerade nach Strich und Faden ab. Sowas kann sie gut. Ihr hört es ja schon selbst. Ich habe mal erlebt, wie der Direktor uns besucht hat, weil ich wegen meiner Kleidung einen Verweis erhalten sollte. Er ist nun mit meiner Mutter per du. Manchmal schickt er ihr sogar Blumen zum Geburtstag. Aber wenn ihr noch nach Hause fahren wollt, dann sollten wir einschreiten, sonst gibt es mit der Polizei Ärger oder ihr müsst ein Taxi nehmen.«

      Also machten sie sich auf den Weg die Treppe hinunter, Sabrina vorweg. Auf der vorletzten Stufe blieb sie stehen und lauschte. Die andern beiden taten es ihr nach.

      »Wisst ihr, so nette Freundinnen wie euch beide habe ich schon lange nicht mehr getroffen, wo meine beste Freundin doch vor kurzem in der Weser ersäuft wurde«, flötete Anna.

      »Nee, echt? Du nimmst uns jetzt hoch, Anna«, kicherte Emilia.

      »Doch, doch, aber ich hab's der Schlampe, die das gemacht hat, gezeigt und ihre Bude abgefackelt.«

      »Hihi, wie im Film, die böse Rächerin!«

      Elisabeth erkannte nur mit Mühe die mädchenhaft verschobene Stimme ihrer Mutter. Sie tauschte mit Theobald einen vielsagenden Blick.

      »Ja, und jetzt kommt keiner mehr zur Wintersonnenwende zum Schwesterntreffen«, lallte Anna. »Ich bin ja sooo traurig! Hicks!«

      »Dann kommen wir eben, nicht wahr, Emmi Schatz?«

      Durch den Türspalt konnte Elisabeth sehen, dass die Mütter Wassergläser hervorgeholt hatten. Martha Schubert goss großzügig aus einer Flasche Cognac nach.

      »Nee, nee!« Anna Binsenkraut wedelte übertrieben mit dem Finger. »S’iss nur für echte Hexen!«

      Eine Pause entstand. Die drei Freunde auf der Treppe schauten sich ungläubig an.

      »Ja, wenn's weiter nichts ist. Sabrina hält mich schon lange für eine alte Hexe. Das sind wir doch alle als Mütter, oder?«

      Wieder brachen alle Frauen in wieherndes Gelächter aus.

      »Gut, dann gilt's Mädels, zur Wintersonnenwende bei mir. Trinken wir darauf!«, tönte Anna Binsenkraut.

      Sabrina straffte sich und ging die letzten Stufen zum Flur hinunter. »Jetzt reicht's, bevor sie noch den Teppich vollkotzen, machen wir dem ein Ende. Geht ihr rein, ich rufe schon einmal zwei Taxis.«

      Elisabeth fiel abends müde ins Bett. Sie konnte nicht schlafen, weil ihr Kopf so voller Gedanken war. Sie hatte ihre Mutter nur mit Mühe ins Taxi bugsieren können und zu Hause hatte ihr Vater sie mit ihr zusammen ins Bett getragen. Emilia Wollner war unterwegs eingeschlafen und nicht einmal dann erwacht, als Michael Wollner ihren Kopf aus Versehen gegen den Türrahmen stieß. Ihr Vater hatte sie dann nochmals befragt, was eigentlich los gewesen sei. Elisabeth hatte eine deutlich vereinfachte Variante berichtet. Die brisanten Details sparte sie aus, aber ihr Vater kaufte ihr die Geschichte ab. Mit sichtlich schlechtem Gewissen hatte ihr Vater geantwortet, dass er seine Frau mit der ganzen Arbeit alleine gelassen habe. Insofern wäre es nicht verwunderlich, dass so etwas passiert sei. Er versprach, sich in der Folgewoche frei zu nehmen.

      So war Elisabeth dann endlich in ihr Bett gefallen und schaute an die Decke. Sie ging den Tag nochmal durch, aber ihre Gedanken wanderten immer wieder zum Hang, den erweiterten Sinnen und dem Heulen. Irgendwie hatte sie überhaupt keine Angst gehabt. Doch irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf, in dem wirre Träume sie heimsuchten.

      Während der großen Pause am nächsten Schultag trafen sich die drei etwas abseits des Pausenhofes. Sabrina grinste.

      »Meine Ma hat immer noch fürchterliche Kopfschmerzen und ist gleich liegengeblieben. Wie lief es bei euch?«

      Theobald lief leicht rot an. »Deine Mama ist echt die Wucht, danke nochmal. Meine hat zu Hause die Standpauke ganz vergessen und ist gleich aufs Klo gerannt. So betrunken habe ich sie noch nie erlebt. Ich vermute, es wird ihr sehr peinlich sein, wenn sie wieder zu sich kommt.«

      »Meine ist eingeschlafen und ich habe sie mit Papa ins Bett getragen. Er hat ihr den Kopf aus Versehen gegen den Türrahmen gehauen, aber sie ist nicht aufgewacht«, vermeldete Elisabeth.

      »Das ist der Cognac, den mein Vater immer von der See mitbringt. Der ist um einiges stärker als der normale Verschnitt, den es hier im Laden gibt. Wenn Mama den rausholt, dann bleibt keiner stehen«, bestätigte Sabrina.


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