Harzmagie. Jürgen H. Moch

Harzmagie - Jürgen H. Moch


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      »Was zur Hölle ist da alles drin?«, stieß sie durch die Zähne.

      Theobald, der seine Flasche hastig weggesteckt hatte, entgegnete eilig, dass es rein bio sei, und entschuldigte sich eilig. Doch er zuckte die Schultern, als Elisabeth nur so dastand, ohne auf ihn zu achten, und ging resigniert den Hang wieder hoch.

      Elisabeths Sinne schärften sich schlagartig. Sie hörte die Regentropfen, ihren eigenen Puls, Theobalds Puls, seinen Atmen, seine Schritte, ein Kaninchen in seinem Bau links von ihr, den Schrei eines Vogels. Sie roch den Wald, das Moos, den Hamburger, der mal in der leeren McDonalds-Verpackung gesteckt hatte. Und dann, ganz plötzlich, hörte sie das leise Atmen eines anderen großen Lebewesens hinter den Bäumen weiter unten, auf die Theobald vorhin gedeutet hatte. Was auch in dem Trank war, er hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, denn das Kribbeln stieg in ihr auf. Während sie im Unterbewusstsein bereits ihren Trank zog und einen Schluck nahm, hörte sie, wie das Etwas sich bewegte.

      Der Mann erstarrte. Als der Junge die Flasche zog, freute er sich schon, dass sie Alkohol trinken würden, der die Sinne benebelte. Aber jetzt war er alarmiert, denn das Mädchen lauschte und sie schien zu schnuppern. Gott sei Dank kam der Wind aus Westen, so konnten weder er noch sie jeweils voneinander die Witterung aufnehmen. Allerdings hatte er vorhin oben am Hang Spuren beseitigt, doch so gut waren Menschennasen nicht. Oder doch? Er konnte das Risiko nicht eingehen, von ihr entdeckt zu werden, denn sie starrte jetzt genau auf sein Versteck. Er musste sie vertreiben.

      So rief er tief in sich hinein und sein Partner antwortete sofort, das Heulen stieg in seiner Kehle auf und er ließ es frei. Dazu rüttelte er an den beiden Fichten, die ihm am Nächsten standen. Es verfehlte seine Wirkung nicht, zumindest bei den anderen beiden wirkte es sofort. Eine urwüchsige Angst brach bei ihnen durch. Das Mädchen oben an der Straße lief sofort weg, der Junge, der bereits die Leitplanke wieder überstieg, folgte ihr in wildem Lauf. Doch die große Schlanke runzelte die Stirn und zuckte, als wenn sie Krämpfe hätte. Noch einmal ließ er sein Heulen hören und legte seine ganze Macht hinein. Das Mädchen schien immer noch verwirrt, doch es bemerkte jetzt, dass es alleine war, und rannte ebenfalls den Hang hoch. Erstaunt beobachtete der Mann, wie sie in atemberaubendem Tempo die Kante erreichte und ohne Zögern die Leitplanke mit einem Satz übersprang. Was auch immer sie getrunken hatte, es musste so eine Art Zaubertrank sein, der ihr übermenschliche Kräfte verlieh. Er würde sie im Auge behalten müssen. Als er sich sicher war, alle Spuren beseitigt zu haben, verschwand er ebenfalls.

      Niemand sah den Mann in Outdoorkleidung, der im strömenden Regen kurz darauf aus Richtung der Kuckholzklippe den Abhang hinunterkletterte und sich wachsam umsah, bis er plötzlich innehielt. Bremsspuren zogen seine Aufmerksamkeit auf sich, die quer auf die andere Straßenseite führten und vor der Leitplanke endeten. Er bückte sich und hob etwas hoch. Es handelte sich um den Splitter eines Blinkers. Ein paar Meter weiter in der Abflussrinne lagen noch mehr. Nicht ungewöhnlich an einer Straße, doch der Mann grunzte zufrieden und steckte ihn vorsichtig ein. Er drehte sich noch einmal zu dem Hang, um die Richtung zu peilen, und überquerte dann entschlossen die Straße. An der Leitplanke entdeckte er nichts, doch auf der anderen Seite sah er niedergetretenes Gras am Abhang. Er stieg über die Leitplanke und untersuchte die frische Spur. An einer Stelle fand er das Muster von zwei verschiedenen Turnschuhen im Boden, die noch nicht durch den Regen weggewaschen waren, aber sie wiesen den Berg hinauf, also in die falsche Richtung. Wer auch immer das gewesen war, hatte vermutlich hier alles zertrampelt, und der Regen spülte den Rest weg. Die Enttäuschung war riesengroß. Er hatte die Spur verloren. Dabei war er so nah dran gewesen. Er war der ganzen Fährte vom Lerbacher Skihang bis auf die Klippe gefolgt, wo zwei Schafe gerissen worden waren. Und dann hatte er ganz deutlich das Heulen gehört, dass ihm durch Mark und Bein gegangen war. Zweimal. Hauser fluchte. Vielleicht könnte es etwas bringen, die Werkstätten abzuklappern. Er würde alle Splitter einsammeln und versuchen, herauszubekommen, was das für ein Wagen gewesen sein mochte. Aber erst einmal würde er nun eine Person besuchen, die er schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte.

      Der junge VW-Mechaniker untersuchte nun schon über eine Stunde lang das Auto.

      »Motorhaube, Prallbox vorne und linker Kotflügel, Blinker, Scheinwerfer, Kühler eingedrückt, Sprung in der Frontscheibe und Dach eingedellt. Das sind alles in allem acht- bis zehntausend Euro. Was genau haben sie denn angefahren, einen Elch?«

      Es klang nach einem flachen Scherz, aber Emilia Wollner war nicht zum Lachen zumute. »Es war ein riesiges Tier und es ist danach weggelaufen, irgendwo in der Nähe von Torfhaus. Ist auch egal, können Sie es richten? Das Geld ist nicht das Problem! Ich möchte nur vermeiden, dass mein Mann das mitbekommt. Sie verstehen sicher.«

      Der Mann in seinem fleckigen Overall kratze sich an den Bartstoppeln. Emilia konnte anhand seines mehrdeutigen Blickes, der er ihr zuwarf, denken, dass er sie versuchte abzuschätzen.

      »Ich krieg das schon hin. Sagen wir neuntausend und ein Abendessen.« Er grinste sie dazu verwegen an.

      Emilia Wollner hatte oft eine solche Wirkung auf Männer. Es wurde Zeit, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Sie fixierte ihn und sagte: »Gut! Neuntausendundfünfzig und Sie gehen alleine essen!«

      Der Mann hob abwehrend die Hände. »Schon gut, Sie können mir nicht vorwerfen, es versucht zu haben. Ich mache es für die Neun, aber ich brauche ein paar Tage. Wann kommt Ihr Mann zurück?«

      Emilia Wollner fiel nicht auf diesen Versuch, sie doch noch weiter auszuhorchen, herein.

      »Das braucht Sie nicht zu kümmern. Sie müssen ihn sowieso neu lackieren. Ändern Sie die Farbe in Blau. Ich erzähle meinem Mann dann einfach, dass ich ihn zum Lackieren gegeben habe.«

      Der Mann nickte, lächelte verschwörerisch und wollte anscheinend gerade noch etwas erwidern, da schrillte ein altes Handy los und unterbrach das Gespräch.

      Emilia Wollner hob ab. Es war Theobalds Mutter.

      »Frau Wollner, hier ist Anna Binsenkraut. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich habe Ihre Nummer von der Klassenliste. Mein Sohn Theobald wollte mit Ihrer Tochter laufen gehen, aber das war vor über drei Stunden. Er müsste längst zurück sein. Sie sind überfällig.«

      Emilias Geist verfinsterte sich. Elisabeth hatte sich zwar zum Laufen verabredet, aber sie wollte mit Sabrina trainieren. Da stimmte etwas gewaltig nicht.

      »Elisabeth ist bei Sabrina, irgendwo am Zellbach. Sie wollte eigentlich mit ihr laufen.«

      »Vielleicht sind sie zu dritt los. Ich weiß, wo die Schuberts wohnen. Ich fahre da gleich hin, komme sowieso gerade mit dem Auto zurück.«

      »Wenn es Ihnen keine Umstände macht, könnten Sie mich an der Kreuzung Erzstraße und Altenauer aufsammeln. Ich bin zu Fuß unterwegs.«

      »Ist gut, mache ich. Ich bin in ein paar Minuten da.«

      Emilia Wollner winkte dem Mechaniker und gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass er fünf Tage hatte. Er nickte. Dann verließ sie die Werkstatt und ging zur Kreuzung. Bald hielt ein weißer VW Bulli mit dem Aufdruck Bergapotheke Zellerfeld direkt neben ihr. Emilia Wollner stieg ein.

      »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Denken Sie denn, dass etwas passiert sein könnte?«, wollte sie wissen.

      »Nun, ich hatte Theobald aufgetragen, mich anzurufen, um die Nachbestellungen durchzugeben. Ich komme eben aus Nordhausen, da hätte ich alles gleich mitbringen können. Er hat es aber nicht getan und geht auch nicht ans Telefon. Meine Nase sagt mir, da stimmt was nicht.« Anna Binsenkraut drückte aufs Gaspedal.

      »Da können Sie Gift drauf nehmen. Ich wusste gar nicht, dass Ihr Sohn auch dabei ist.«

      Schon Momente später hielten sie bei den Schuberts. Regen setzte ein. Frau Schubert erschien auf das Klingeln hin an der Tür. Ein herrlicher Duft nach Apfelkuchen begleitete sie. Erstaunt blickte sie in die Gesichter der anderen beiden Mütter.

      »So eine


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