Der Storykiller. Philipp Probst

Der Storykiller - Philipp Probst


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kleine Sandwichs auf den Tisch. Als die Mädchen wieder gegangen waren, stand Lemmovski auf. Susanne Tosh, die gleich neben ihm sass, legte ihm die Papiere hin, so dass er seine Rede gut ablesen konnte.

      «Vielen Dank für Ihr Erscheinen. Es ist mir eine Ehre, Sie heute zu begrüssen.»

      Er wartete kurz, denn den fremdsprachigen Herren wurde alles von Dolmetschern übersetzt, ausser dem Polen. Er verzichtete auf eine Übersetzung, da er selbst gut Deutsch sprach.

      «Wir werden heute alle einen erfolgreichen Tag erleben», fuhr Lemmovski fort. «Unser ‹Zentrum für Völker und Religionen, Wirtschaft und Wissenschaft› wird eine einzigartige Institution friedenserhaltender, globaler Zusammenarbeit.»

      «So, so», sagte Susanne Tosh zu sich selbst. Allerdings einen Tick zu laut, David Lemmovski hatte es gehört und warf ihr einen bösen Blick zu.

      REDAKTION «AKTUELL», WANKDORF, BERN

      Die 45 diensthabenden Redakteure von «Aktuell», «Aktuell Online» und «Aktuell Mobile», dem Nachrichtendienst für die Handy-Ausgabe, sassen seit neun Minuten dichtgedrängt um den riesigen Tisch und warteten. Einige der Journalisten, Produzenten und Grafiker blätterten im «Aktuell» oder lasen Konkurrenzzeitungen. Andere schwatzten miteinander. Sandra Bosone diskutierte mit einer Kollegin aus der Wirtschaftsabteilung. Beide hatten ein Mineralwasser vor sich und nippten von Zeit zu Zeit an der Flasche.

      Die Abteilungsleiter schrieben irgendwas in ihre Notizbücher oder hantierten an ihren Laptops herum. Jedenfalls versuchten sie, einen wichtigen Eindruck zu machen. Nur News-Chef Peter Renner, die Zecke, hockte einfach da und starrte ins Leere. Er hatte immer noch die Sprechgarnitur am Kopf. Er war der Einzige, der an der Sitzung telefonieren durfte. Allerdings hatte er seinen direkten Anschluss zur Telefonzentrale umgeschaltet. Die Telefonistin beim Eingang der Redaktion war jedoch angewiesen, die dringendsten Anrufe über Renners zweite Leitung durchzustellen.

      Prominentester Abwesender war Politik-Chef Jonas Haberer. Seine Themenvorschläge liefen immer über Peter Renner. Und seinen Titel «Mitglied der Chefredaktion», was innerhalb der «Lemmovski Group» als Kaderposition galt, nutzte Haberer nur, um seine Bedeutung gegenüber seinen Informanten, Interviewpartnern und Freunden aus Regierung und Parlament hervorzuheben.

      Der grosse Sitzungsraum hatte keine Fenster. Er wurde im Lauf des Tages als «Kino» benutzt. Dann, wenn es darum ging, Fotos für die Zeitung zu betrachten und eine Auswahl zu treffen. Die Bilder erschienen auf einem Grossbildschirm, der von der Decke heruntergefahren werden konnte. Auf diesem Monitor konnte auch das Layout betrachtet und allenfalls korrigiert werden, wenn der Chefredakteur noch nicht damit zufrieden war.

      Um 10.11 Uhr rauschte die Chefredaktion mit Verlegerin Emma Lemmovski herein. Chefredakteur Don Muller, wie immer in Anzug und Krawatte, sein Stellvertreter Christian Reich, in Jeans und rotem Hemd, und Redaktionsassistentin Cordula Hahne, die sofort sämtliche Blicke der männlichen «Aktuell»-Macher auf sich zog. Nicht weil sie umwerfend hübsch war, sondern weil sie sich immer sehr sexy und gewagt kleidete. Heute trug sie ein kurzes, dünnes Kleid mit Blumenmuster, dazu Sommerstiefel mit vielen kleinen Löchern und hohen Absätzen.

      Emma Lemmovski erkannte sofort, dass nicht sie selbst im Mittelpunkt stand. Sie löste die Klammer, die ihre langen Haare zusammenhielt, strich einige Strähnen glatt und setzte die Klammer wieder an. Nun blickten alle auf sie.

      Don Muller hüstelte. Dann sagte er: «Guten Morgen. Wir begrüssen Emma Lemmovski, die uns eine Mitteilung zu machen hat.»

      «Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich, bei euch zu sein.»

      Mit diesen Worten begann sie immer. Das habe sie wohl in einem Managerkurs gelernt, pflegte Renner jeweils etwas abschätzig zu bemerken, wenn er unter Kollegen über die Verlegerin sprach. Obwohl sie als Journalistin und Redaktionsleiterin in Deutschland gearbeitet hatte, hielt Renner nicht allzu viel von ihrem Können.

      «Ich möchte Ihnen allen zur heutigen Ausgabe gratulieren», fuhr sie fort. «Vor allem natürlich Peter Renner.»

      Renners runder Leib zuckte. Doch Renner versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Nach der Moralpredigt vom Morgen war Lemmovskis Lob äusserst seltsam. Nun wird wohl noch was kommen, dachte er und starrte weiter ins Leere.

      «Einige Fakten mehr würden der Story guttun», sagte Emma Lemmovski. «Also beissen Sie sich rein. Aber das machen Sie sowieso.» Sie lächelte Renner an und ergänzte: «Sie haben nicht umsonst den Spitznamen Zecke.»

      Lautes Gelächter im Raum.

      Renner war baff. Er schaute verlegen zu Emma Lemmovski, die ihn mit ihren grünblauen Augen anfunkelte und ihm nun auch noch zuzwinkerte.

      Nachdem das Gelächter verstummt war, herrschte einige Sekunden Stille. Sandra Bosone hatte gerade wieder die Wasserflasche am Mund und musste schlucken, was ziemlich deutlich zu vernehmen war. Renner bemerkte, dass Don Muller, der vis-à-vis von ihm sass, mit den Beinen wedelte, es sah aus wie ein Vogel, der kurz vor dem Abflug seine Flügel auf Touren bringt. Das machte Muller immer, wenn er nervös war.

      «Nun, warum ich hier bin», setzte Emma Lemmovski an. «Wir werden in der Geschäftsleitung der ‹Aktuell Media AG› eine Änderung vornehmen. Ich trete per sofort als Geschäftsführerin zurück und konzentriere mich auf die Arbeit als Verlegerin und Verwaltungsratspräsidentin. Die Geschäftsleitung wird Don Muller übernehmen. Herr Muller bleibt aber Chefredakteur. In der Redaktion bleibt so weit alles beim alten, ausser dass die Herren Reich und Renner wegen der Doppelbelastung von Herrn Muller zusätzliche Aufgaben übernehmen werden. Dies betrifft vor allem unseren stellvertretenden Chefredakteur Reich.»

      Darauf folgte ein etwas länglicher Vortrag über die Wichtigkeit der Verlegerin in einer immer hektischeren Zeit.

      Die ersten Journalisten wurden unruhig.

      «Lassen Sie mich noch eines deutlich machen», sagte Emma Lemmovski nun in einem resoluten Ton. «Die Geschäftsführer anderer Verlage sind mittlerweile reine Manager, die keinen Unterschied machen, ob sie Zeitungen oder Schrauben verkaufen. Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass wir einen erfahrenen und erfolgreichen Journalisten als CEO haben. Damit setzen wir ein Zeichen, dass bei ‹Aktuell› der Journalismus im Vordergrund steht, nicht der Gewinn.»

      Ältere Redakteure begannen zu klatschen. Sofort applaudierten die Kulturjournalisten mit. Die Abteilungsleiter ebenso, bis auf Renner. Dieser sass nach wie vor da und starrte. Die jüngeren Redakteure klatschten halbherzig, die Online-Journalisten gar nicht. Sie schauten sich bloss gelangweilt um. Oder starrten auf Assistentin Cordula Hahne, die dies sichtlich genoss und dauernd lächelte.

      Muller wedelte weiter mit seinen Beinen.

      «Vielen Dank, Frau Lemmovski. Wir fahren dann fort mit unserer Sitzung», sagte Chefredakteur Muller schliesslich. Emma Lemmovski lehnte sich zurück, löste die Klammer aus ihren Haaren, strich die Haare glatt und setzte die Klammer wieder ein.

      Die Morgensitzung war die einzige Redaktionskonferenz, an der alle, die gerade Dienst hatten und im Büro waren, teilnahmen. Die anderen Konferenzen wurden ausschliesslich von den Abteilungsleitern bestritten. Die Morgensitzungen waren für die Blattkritik und die Planung des Tages gedacht. Blattkritik fand aber nur selten statt. Chefredakteur Muller fand meistens alles «super». Renner nannte dies «Die Superlüge». Wer nichts kritisierte, musste auch nichts verbessern. Vor allem, wenn er selbst nicht wusste wie.

      Muller erteilte das Wort Renner, der die aktuellen Nachrichten-Stories vorzuschlagen hatte.

      «Wie Frau Lemmovski richtig sagte, werden wir die Jasper-Story weiterziehen. Alex Gaster ist dort, wo der Unfall geschah, und wird …»

      «Alex Gaster?», fragte Emma Lemmovski.

      «Unser ehemaliger Praktikant», erklärte Renner.

      «Sie schicken einen Ex-Praktikanten an diese Story?»

      «Er ist seit drei Monaten fest bei uns als Reporter angestellt. Zudem werden noch weitere Leute auf diesen Fall angesetzt.»

      Emma Lemmovski sagte nichts mehr.

      Auch


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