SOKO Marburg-Biedenkopf. Группа авторов
Sechzehn junge Frauen, ertränkt in ihren mit Champignoncremesuppe gefüllten Badewannen und elf Mordopfer verschiedenen Geschlechts, deren Leichen, mit Panzertape auf die Dächer der Linienbusse geklebt, tagelang durch die Stadt fuhren, bevor sie entdeckt wurden. In beiden Fällen wurde nie ein Täter gefunden.
»Sagen Sie bloß, das waren Sie?«
Er nickt und lächelt stolz. »Ich lebe jetzt seit neun Jahren hier in Biedenkopf. Es ist gemütlich, es ist bequem. Aber so langsam hätte ich wirklich Lust, noch mal eine schöne Serie zu starten.« Sein Draht ist jetzt nur eine Handbreit von meiner Kehle entfernt Er ist kräftig. Ich werde mich nicht gegen ihn wehren können. Ich hebe langsam meine Hände, obwohl ich nichts werde ausrichten können.
Nein, so habe ich mir das nicht gedacht. Außer mir ist da tatsächlich noch ein echter Serienmörder in Biedenkopf! Was für ein unglaublicher Zufall, dass wir beide hier gelandet sind!
Der Draht berührt jetzt meinen Adamsapfel. Ich rieche sein süßliches Aftershave.
Gleich ist es vorbei.
Da zuckt er plötzlich zusammen und reißt die Augen weit auf. Aus seinem Mund kommt zuerst ein grässliches Röcheln, und dann sprudeln kleine Blutströpfchen hervor. Seine Hände, in denen er die straff gespannte Garrotte hält, verkrampfen sich, er sackt zuerst auf die Knie, und dann kippt sein Oberkörper nach vorne, und er bleibt mit dem Gesicht auf dem Teppich liegen. Zwischen seinen Schulterblättern erkenne ich den Knauf eines Messers, um den herum langsam das Blut in den Stoff seines Blousons zieht.
Frau Breugel beugt sich mit einem Ächzen über ihn und tastet in seiner Halsbeuge nach seinem Puls. Was sie fühlt, scheint sie zu befriedigen. Oder besser, was sie nicht fühlt.
Sie zieht das Messer aus der Wunde, setzt ihre Lesebrille auf, die an einem geflochtenen Bändchen um ihren Hals baumelt, und betrachtet die blutige Klinge.
Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Sie legt das Messer auf den Wohnzimmertisch und holt sich aus dem Schrank eine Tasse. Als sie sich zu mir an den Tisch gesetzt hat, schenkt sie sich Kräutertee aus der Kanne ein. Ihre faltigen Hände hantieren ganz ruhig mit dem Porzellan.
»Das mit dem Kopf machen Sie am besten in der Badewanne«, schnarrt sie mit rauchiger Stimme. »Wo wohnt er? Sachsenhausen? Haben Sie schon einen Spruch?«
»Frau Breugel«, sage ich fassungslos. »Sehe ich das richtig? Haben Sie wirklich gerade diesen Mann erstochen?«
Sie lächelt mich mit ihren schlecht sitzenden dritten Zähnen an. »Naja, ist mal was anderes, wissen Sie. Bei den siebenundvierzig anderen habe ich es immer nur mit Gift gemacht.«
Wenn’s in der Salzgrotte summt …
TATJANA KRUSE
Ist hier noch frei?«
Der Mann zwinkert mir zu. Er ist ungefähr in meinem Alter, trägt einen weißen Leinenanzug von Hugo Boss und duftet nach Armani. Zielstrebig ist er auf mich zugekommen, obwohl alle anderen Liegen frei sind. Das und seine professionelle Ausstrahlung lassen mich wissen: er ist mein Mann. Mit ihm habe ich mich hier verabredet.
»Ja, bitte«, sage ich zu dem Mann und nicke.
Ich bin Kurier. Weiblicher Kurier. Nein, nicht die Sorte, die Ihnen heute bringt, was Sie gestern bestellt haben. Keine ungeduschte, ungekämmte Unter-Mindestlohn-Fahrerin. Ich trage Haute Couture, dufte dezent nach Chanel No. 5 und überbringe »Informationen«. Keine hochpreisigen Informationen wie beispielsweise chemische Formeln aus Kosmetik- oder Pharmazielaboren, Marketingstrategien von Konkurrenzunternehmen oder militärische Einsatzpläne. Nein, ich überbringe höchstpersönliche Botschaften. So wie jetzt.
Das Schöne an meinem Beruf ist die Abwechslung. Mein voriger Auftrag führte mich ins Hotel Sacher in Wien, wo sich meine Zielperson und ich uns mittels Room Service je ein Stück Sacher-Torte aufs Zimmer bringen ließen. Eine Freude für den Magen. Und jetzt liege ich in der Salzgrotte der Lahn-Dill-Bergland-Therme. Eine Freude für die Lunge.
Bei leiser, sphärig instrumentaler Entspannungsmusik und zwanzig Grad Raumtemperatur entspannt man sich hier zwischen Salzziegeln, gefertigt aus dem besonderen Salz vom Toten Meer, und atmet eine Luft, die reich ist an Mikroelementen wie Magnesium, Natrium und Kaliumchlorid, was in einer Dreiviertelstunde fast so gut tut wie ein dreitägiger Aufenthalt an der See. Das erfinde ich nicht, das habe ich im Faltblatt gelesen, während ich auf meine Kontaktperson gewartet habe.
Der Vorschlag kam von ihm. Die Therme liege verkehrstechnisch für uns beide günstig, und zur Mittagszeit im Hochsommer sollten wir die Grotte für uns haben. Meinte er. Und darum liege ich jetzt hier und chillaxe, diese herrliche Mischung aus chillen und relaxen.
»Sehr entspannend«, sagt er und zwinkert mir zu.
»Wirklich sehr entspannend«, bestätige ich.
Das ist jetzt keine Erkennungsparole, er muss darauf nicht antworten »Und in China fällt gerade ein Sack Reis um«, damit ich weiß, es mit dem Richtigen zu tun zu haben. Nein, es handelt sich einfach um Small Talk. Wiewohl die meisten meiner Kontaktpersonen normalerweise zu angespannt sind, um zu plaudern. Geschweige denn zu zwinkern.
Er breitet die Decke, die man gegen potenzielle Fröstelanfälle zur Verfügung gestellt bekommt, über seinen Knien aus und lässt die Liege nach hinten klappen.
Ich klappe meine Liege ebenfalls zurück und genieße den gleich darauf einsetzenden Horizontal-Komfort. Ich atme die salzgeschwängerte Luft tief ein und wieder aus und wieder ein und wieder aus und spüre förmlich, wie meine Zellen jubeln. Ja, hier lässt es sich aushalten.
Aber wir sind nicht zum Vergnügen hier.
Gerade will ich auf das Geschäftliche zu sprechen kommen, als die Tür aufgeht und ein greises Paar eintritt. Raschelnd eintritt. So eine Salzgrotte darf man ja in Straßenkleidung aufsuchen, nur für die Schuhe gibt es »Überschuhe« aus Plastik. Die beiden schlurfen zu zwei Liegen, die am weitesten von uns entfernt sind.
Das ist jetzt blöd, denke ich. Eine gewisse Privatsphäre ist für die Informationsübergabe unabdingbar. Aber vielleicht geht es trotzdem. Alte Leute hören ja schlecht.
Der Mann neben mir dreht den Kopf zu mir und sagt: »Unglaublich entspannend.«
»Pst!«, mahnt die Greisin von der anderen Seite der Grotte und guckt streng in unsere Richtung. Ihr Gatte tätigt derweil im Liegen einige Lockerungsübungen mit Armen und Beinen. Keine Ahnung, ob es Absicht ist, aber die Bewegungsabfolge ist nicht fließend, sondern ruckartig. Er erinnert an einen Käfer, der auf den Rücken gefallen ist und krampfhaft versucht, sich umzudrehen.
Nein, die werden nichts mitkriegen, denke ich und wende mich wieder meinem Nebenlieger zu.
Doch da – verdammt! – geht die Tür erneut auf, und zwei Herren treten ein.
Unwillkürlich entringt sich mir ein Seufzer. Die Nachricht, die ich zu überbringen habe, ist sehr privat. Ich hatte wirklich gehofft, mit der Kontaktperson allein zu bleiben – es ist eine kurze Nachricht, eine einzige, ungestörte Minute hätte schon gereicht.
Die Herren nicken zur Begrüßung, nehmen auf zwei Liegen neben dem Seniorenpaar Platz, lehnen sich zurück und schließen die Augen. Sie tun das alles zeitgleich, als ob sie es geübt hätten. Wie Synchronschwimmer, nur eben nicht im Wasser, sondern an Land. Aber vermutlich sind es einfach nur Stammgäste. Geschäftsleute, die sich hier in der Grotte einen Mittagsentspannungsquickie gönnen.
Ich richte mich auf und lehne mich zur Seite. »Ich soll Ihnen etwas ausrichten«, flüstere ich dem Mann neben mir zu.
»Was?«, sagt er und hält den Kopf leicht schräg, als müsse er sein Ohr justieren.
Da geht die Tür erneut auf. Nicht schon wieder, denke ich.
Eine nicht mehr ganz junge Frau mit grau melierten Zöpfen tritt ein. Sie trägt einen Bademantel über einem türkisgrünen Badeanzug. Ihre Haut glänzt und duftet, als habe sie eben eine Massage mit ätherischen ölen bekommen.