Der reiche Russe. Dietrich Knak

Der reiche Russe - Dietrich Knak


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Hand. „Herr Marowski, toi, toi, toi!“ Sie ist schon fast an der Wohnzimmertür, doch dann stoppt sie und wendet sich noch einmal an mich. „Übrigens, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie wie dieser amerikanische Filmschauspieler aussehen?“ Sie lächelt mich hintersinnig an. „Er heißt Bill Tanner. Zwar ist er nicht einer von den ganz Großen, doch Insider kennen ihn. Er hat denselben verhangenen Blick wie Sie.“

      „Dann muss dieser Tanner ein Junggeselle sein!“, erwidere ich locker und füge schnell hinzu: „Frau Kutusow, einen schönen Tag noch!“

      „Sie haben Recht! Er ist Junggeselle!“ Kurz darauf bin ich wieder alleine. Die Frau ist nicht nur sehr hübsch, sie ist zugleich auch ungemein anstrengend. Wäre ich mit ihr verheiratet, sie hätte mich in Windeseile zu ihrem lieben, kleinen Pjotrchen umerzogen, der durch die Wohnung schleicht und grübelt, wie er wirklich heißt.

      Im Übrigen habe ich das Bedürfnis, den Auftrag so schnell wie möglich, hinter mich zu bringen. Er verströmt, trotz des vielen Geldes, das ich mit ihm verdienen kann, irgendwie keine gute Aura. Eilig lege ich die Fünfhunderttausend zu den eineinhalb Millionen und schiebe die Beretta in den Hosenbund meiner Jeans. Schließlich ist in so manchem Geldtransporter entschieden weniger Geld zu holen. Abschließend streife ich meinen Sakko über. Im Treppenhaus höre ich, wie eine Etage über mir herzhaft gelacht wird. Unter Geldleuten funktioniert die deutsch-russische Freundschaft nahezu reibungslos. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass Eugen Brandt mir heute das Geld aus der Hand reißen wird! Ich meine, was will er mehr: Zwei Millionen Euro sind eine Menge Holz! Vielleicht schlägt sogar seine Aversion gegen mich Arschlecker in eine Art von heftiger Liebe um! Egal wie, wichtig ist alleine, dass ich in zwei Stunden kein ganz armes Schwein mehr bin.

      5.

      Morgen zur selben Zeit hatte mir Brandt gestern bei meinem Abgang hinterhergerufen. Ich erinnere mich: 10.56 Uhr hatte meine Armbanduhr angezeigt, als ich hier ankam. Und heute stehen ihre Zeiger auf 10.58 Uhr. Ein zu vernachlässigender Unterschied von ganzen zwei Minuten. Das deutsche Pünktlichkeitsgen ist fest in mir verankert. Wenn ich in mich hineinlausche, kann ich hören wie es mich auffordert, ja meine Termine einzuhalten. Mit Schwung schnappe ich mir den auf dem Beifahrersitz abgelegten Aktenkoffer mit den zwei Millionen, der gegenüber dem Vortag spürbar an Gewicht zulegen konnte und wende mich Brandts Haus zu. Bevor ich meine Hand auf die Klingel lege, werfe ich erst einmal einen flüchtigen Blick auf die Umgebung. Jetzt am frühen Mittag sind nur wenige Menschen unterwegs. Ich nehme an, es liegt an der unbarmherzigen Hitze, die hier in der Rheinebene momentan herrscht und die für diese Jahreszeit etwas Normales ist.

      Ich betätige die Klingel. Doch überraschenderweise meldet sich niemand. Kurz bevor ich es ein weiteres Mal versuche, fällt mir auf, dass die Haustür nur angelehnt ist. Ohne zu zögern, betrete ich den Hausflur. Wie am Vortag flammt umgehend die Neonbeleuchtung an der Decke auf. Zu meiner Verwunderung ist die Tür zur Wohnung ebenfalls nur angelehnt. Als ich im schmalen, dunklen Flur der Wohnung stehe, rufe ich laut: „Herr Brandt. Der Weihnachtsmann aus Baden-Bad en ist gekommen! Bescherung!“ Trotzdem niemand reagiert. Alles deutet darauf hin, dass der Hausherr nicht da ist. Instinktiv beschleicht mich ein mulmiges Gefühl, das sich mit jedem Schritt, mit dem ich weiter ins Innere der Wohnung vordringe, verstärkt. Doch auf einmal überfällt mich ein Gedanke, der mit einem Schlag meine Bedenken beiseiteschiebt. Wenn ich die Situation nutze, um an das Manuskript zu gelangen. Ich könnte es kopieren und damit überprüfen, ob Kutusow mir die Wahrheit gesagt hat. Oder das hier eine Falle ist. Alleine der Gedanke löst einen Adrenalinschub in meinem Körper aus. So muss es einem Jagdhund ergehen, der mit seiner Nase unverhofft auf eine frische Wildfährte stößt und ihr zwanghaft folgt. Den Koffer festumklammert gehe ich entschlossen weiter. Orientierungsprobleme habe ich keine, ich bewege mich gewissermaßen auf vertrautem Terrain. Ich weiß, erst kommen Bade- und Wohnzimmertür, dann erst die, die in Brandts Arbeitszimmer führt. Vorsichtig betrete ich den Raum. Auf den ersten Blick hat sich gegenüber dem Vortag nichts verändert. Es fehlt nur Eugen Brandt. Würde er an seinem Schreibtisch sitzen, dann wäre rundum alles wie bei meinem gestrigen Besuch. So, als hätte sich jemand die Mühe gemacht, die Zeit anzuhalten.

      Als erstes stelle ich den Koffer mit dem Geld neben dem Sessel ab, in dem ich gestern gesessen hatte. Anschließend gehe zu dem Regal, das dem Schreibtisch am nächsten steht. Es ist vollgestopft mit Zeitschriften, diversen Tageszeitungen und auch Manuskripten. Wobei ich mich ausschließlich für seine Manuskripte interessiere. Das erste, das ich in der Hand halte, entpuppt sich als Abhandlung über chinesische Triaden. Das nächste beschreibt ukrainische Oligarchen, das dritte beschäftigt sich mit der italienischen Camorra. Organisierte Kriminalität ist offensichtlich Brandts Spezialgebiet. Auch wenn der Mann mir nicht gerade sympathisch ist, wer ein derartiges Geschäft ausübt, der muss Mut haben! Was mir grundsätzlich imponiert! Und beim vierten Versuch stoße ich auf „Die reichen Russen in Baden-Baden“. Ich balle die Faust und lasse mich mit der Beute in meinen Sessel fallen. Kurz streichele ich den Geldkoffer, dann nehme ich mir das Manuskript vor.

      Es ist flüchtig zusammengeheftet und umfasst gute dreihundert Seiten. In der rechten oberen Ecke der Titelseite steht ein handgeschriebenes Datum, demzufolge wurde es vor gut vierzehn Tagen ausgedruckt. Der Autor hat das Exemplar zum Korrekturlesen genutzt, denn jede Seite ist voll mit grammatikalischen Korrekturen und handgeschriebenen Anmerkungen, teilweise hat er es sogar mit längeren Ergänzungen versehen. Brandt handelt zehn Russen ab, die allesamt eins verbindet: Sie erwarben Baden-Badener Immobilien im zweistelligen Millionenbereich. Akribisch verfolgt er ihren Lebensweg, geht zunächst auf ihre Herkunft ein und wie sie vor ihrem Reichtum gelebt haben. Anschließend beschreibt er, mit welchen Mitteln sie zu ihrem vielen Geld gekommen sind und welchen Lebensstil sie jetzt, sozusagen als Neureiche, führen. Alle können damit gewissermaßen auf zwei Leben verweisen. Eins davor, eins danach und beide unterscheiden sich dramatisch. Und ich entdecke noch eine Gemeinsamkeit der Protagonisten: Fast alle haben das Fundament für ihr Vermögen in der Wendezeit gelegt, als das Sowjetreich implodierte und überstürzt abgewickelt wurde. Auch sind die Akteure vorwiegend auf Gebieten tätig, die für das tägliche Leben gebraucht werden. Energie, Telekommunikation, Banken, Handel. Ambitionen in die Politik zu gehen, scheint niemand gehegt zu haben. Ich muss unwillkürlich an das Schicksal von Michail Chordoskowski denken, der genau aus dem Grund seine besten Jahre in sibirischen Zwangslagern verbringen musste. So etwas wirkt abschreckend. Abschließend folgt eine Einschätzung über welches Vermögen die aufgeführten Personen derzeit verfügen. Mein Auftraggeber ist mit seinen drei Milliarden eindeutig der reichste dieser zehn Russen. Gewissermaßen ihr Primus! Folglich schenkt ihm Brandt mit guten fünfzig Seiten die meiste Aufmerksamkeit. Einfache Millionäre haben sich mit der Hälfte zu begnügen. Und plötzlich reibe ich mir die Augen. Valerie Kutusow, ist tatsächlich vier Jahre Mitglied der KPDSU gewesen.

      Plötzlich höre ich ein Geräusch. Leider kann ich nicht sagen, woher es kommt. Es hört sich an, als schleicht jemand auf Zehenspitzen durch die Wohnung. Ist Eugen Brandt etwa doch zurückgekehrt? Aber warum macht er das so heimlich? Das Kopieren kann ich jedenfalls vergessen. Eilig erhebe ich mich, um das Manuskript zurück ins Regal zu legen. Doch dann folge ich einem Reflex und lasse es zu meiner eigenen Überraschung in dem Seitenfach meines Geldkoffers verschwinden. Ich hoffe, dass Brandt den Verlust des Manuskripts nicht bemerkt. Wenn doch, würde ich es einfach abstreiten. Kutusow dagegen wird bestimmt jubeln, wenn ich ihm dieses Leckerli übergebe.

      Als ich den Kopf in den Korridor stecke, kann ich niemand sehen. Offenbar gibt es noch einen zweiten Besucher. Und er heißt nicht Eugen Brandt. Der Hausherr hätte sich längst bemerkbar gemacht. Ich tippe auf einen zufällig vorbeigekommenen Einbrecher, der die Gelegenheit mit den offenen Türen nutzt. Und erneut höre ich Geräusche. Dieses Mal kann ich sie zuordnen. Sie kommen eindeutig aus der Küche. Ich greife nach meiner Beretta, entsichere sie und gehe vorsichtig, die Waffe in der ausgestreckten Rechten vor mich haltend, dem Geräusch nach. Die Küchentür steht weit offen. Ich erinnere mich, als ich die Wohnung betreten habe, ist dies nicht der Fall gewesen. Es wird immer offensichtlicher, jemand hält Ausschau nach geeignetem Diebesgut. Ich bin fest entschlossen, den Eindringling außer Gefecht zu setzen, um ihn Brandt in Form eines gut verschnürten Weihnachtspakets zu übergeben. Und obendrauf, gewissermaßen als Sahnehäubchen, lege ich den Geldkoffer mit den


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