Der reiche Russe. Dietrich Knak
meldet sich. Es ist so weit: Kutusows Tochter bringt zusätzliches Geld. Die Armbanduhr zeigt Punkt zehn an. Die junge Frau ist in der Tat pünktlich. Ich muss schmunzeln. An der Stelle ist sie schon mal der Vater. Jetzt fehlen nur noch Nase und Figur.
Als ich die Wohnungstür öffne, muss ich mich am Türrahmen festhalten, da sich der Boden unter meinen Füssen zu bewegen beginnt. Das glatte Gegenteil von alledem, was ich mir voreilig zurechtgelegt habe, steht vor mir. Die Frau ist groß, schlank, biegsam und hat ein schmales, ebenmäßiges Gesicht, in dem große giftgrüne Augen liegen, mit denen sie mich amüsiert betrachtet. Ich habe das Gefühl, dass sie es mir ansieht, was ich über sie gedacht habe. Mein Irrtum scheint sie allerdings zu erheitern. Tatsache ist: Diese Frau hat äußerlich nichts von ihrem Vater übernommen. Auch das Nadelstreifenkostüm fehlt. Stattdessen trägt sie ein leichtes, geblümtes Sommerkleid, das bis zu den Knien reicht und die Schultern frei lässt. Auf Schmuck und Kosmetik jeglicher Art hat sie gänzlich verzichtet.
Ich brauche viel Kraft, um ihr wenigstens meine Rechte entgegenzustrecken. Nur nebenbei registriere ich, dass die Frau mich mit einem derart kräftigen Händedruck begrüßt, dass mir die Hand schmerzt. Mein Kopf versucht derweilen die Frage zu beantworten: Wie viele Frauen müssen geboren werden, bis ein derart vollkommenes Exemplar dabei ist? Die erste Zahl, die ich geliefert bekomme, liegt bei Tausend! Doch rasch erhöht mein Kopf sie auf Zehntausend. Wobei mein Verhältnis zu hübschen Frauen mehr als zwiespältig ist. Wenn ich ihnen gegenüberstehe, passiert mit mir etwas äußerst Fatales: Die Schöne verwandelt mich binnen Sekunden in einen kleinen Schulbub, der sie mit halbgeöffnetem Mund und weitaufgerissenen Augen stumm anstarrt. Das klebt seit meiner Pubertät wie ein Klumpen Teer an mir. Ich sollte mich dringend auf die Couch eines Psychotherapeuten legen. Doch dazu ist es momentan schlichtweg zu spät.
Mit einer fahrigen Kopfbewegung fordere ich sie auf, mir ins Wohnzimmer zu folgen, wo ich ihr meinen einzigen Sessel zuweise. Doch die Hübsche winkt ab. „Sitzen macht fett!“, befindet sie knapp und stellt den mitgebrachten Aktenkoffer auf dem Schreibtisch ab, um danach mit straffem Schritt ungeniert mein Wohnzimmer zu erkunden. Als erstes nimmt sie mein Lieblingsbuch „Der Fänger im Roggen “ von J.D. Salinger in die Hand, das ich mindestens ein Dutzend Mal gelesen habe. Weil ich finde, dass zwischen der Hauptfigur und mir so etwas wie eine mentale Nähe existiert. „Ich bin keine Leseratte!“, sagt sie bald und stellt das Buch achtlos zurück. Danach schaut sie sich ein Foto an, auf welchem mein leider viel zu früh verstorbener Vater und ich um die Wette in die Welt lächeln. „Sie und Ihr Vater sehen sich sehr ähnlich.“
Ich nicke und lasse sie nicht aus den Augen. Verfolge gebannt, wie ihr Körper mit dem Stoff ihres Kleides spielt. Mal lässt er die Konturen stärker erahnen, mal wieder weniger. Jede ihrer Bewegungen sauge ich in mich hinein.
„Wo ist eigentlich Ihr Büro?“, fragt sie unvermittelt.
Irritiert weise ich auf den Schreibtisch.
„Ist das alles?“
Ich schüttele hastig den Kopf und zeige mit beiden Händen auf ein halbhohes Regal aus hellbrauner Spanplatte, das an der hinteren Wand vor sich hindümpelt und in dem diverse staubbeladene Leitz-Ordner stehen, die ich zu meinen abgeschlossenen Aufträgen angelegt habe. Ich betrachte es als eine Art von Archiv!
Ihr Blick pendelt skeptisch zwischen Schreibtisch, Regal und dem Rest der Einrichtung hin und her. „Keine Bilder, keine Vasen, keine Blumen, keine Tischdecken, keine Gardinen“
Ich befehle mir, weiterhin einfach stumm zu bleiben. Schon, weil mir die Sache mit meinem Wohnzimmerbüro seit jeher ausgesprochen peinlich ist. Zu mehr habe ich es in drei Jahren Selbstständigkeit nicht gebracht! Dabei ist mir seit jeher bewusst, erst wenn ich in einem eigenen Büro sitze, bin ich in meinem Beruf als Privatdetektiv angekommen. An dieser Stelle könnten die Zwanzigtausend ihres Vaters Einiges bewegen.
„Gesprächig sind Sie nicht gerade!“
„Ich bin Junggeselle!“, sind meine ersten Worte, die ich in ihrer Gegenwart aus mir herausgepresst bekomme. Gleichzeitig spüre ich, dass meine Beklemmungen schwinden und die Stimme wieder zu funktionieren beginnt.
„Aha! Junggeselle!“
Ich finde, wie sie das Wort Junggeselle ausspricht klingt zum einen abfällig, zum anderen, als gehöre ich einer total vertrottelten Spezies an. Auch wenn sie die Tochter eines Milliardärs ist und obendrein unendlich hübsch, hat sie kein Recht dazu, einen Junggesellen derart abzustempeln. So etwas gestatte ich niemanden. Meine Stimme wird kantig. „Ich bin übrigens gerne Junggeselle! Gewissermaßen aus Überzeugung!“
„So, so!“, erwidert sie lakonisch.
Ich spüre, dass die Frau mich nicht ernstnimmt. Während meine Wut steigt, wird meine Stimme noch eine Spur kantiger. „Ich liebe meine Freiheit. Alle Frauen, die ich bisher kennengelernt habe, wollten sie mir nehmen, wollten mich umerziehen. Aus einem Peter ein Peterle oder Peterchen formen. Und obendrein diese Wohnung mit Deckchen, Blumen, Nippes, Bildern und was es sonst noch an unnützem Zeug gibt, überziehen. Aber das gestatte ich niemandem. Ich werde immer frei und ungebunden leben und bis zu meinem Tot ein echter Peter Marowski bleiben!“
„Nun regen Sie sich mal nicht so auf! Ich bin nicht gekommen, um Sie umzuerziehen! Ich habe zusätzliches Geld bei mir.“
Doch ich denke nicht daran, zur Tagesordnung überzugehen, ich habe vielmehr das Bedürfnis für Klarheit zu sorgen. Durch nichts zu stoppen, fahre ich fort: „Und bevor Sie es mich fragen sollten, hier ist schon mal meine Antwort: Ich bin nicht schwul! Ich gehe gerne mit einer Frau ins Bett! Sehr gerne sogar! Aber das war’s dann auch! Keine gemeinsame Wohnung, kein gemeinsamer Haushalt! Kein gemeinsames Konto! Der Freiheit wegen!“
Kutusows Tochter starrt mich mit offenem Mund an. „Und wie sieht es mit Kindern aus?“
Verdutzt starre ich sie an, dann erwidere ich schnell. „Diesbezüglich bin ich noch am Überlegen!“
„Herr Marowski, ich glaube, wir sollten zum Geschäftlichen übergehen!“ Entschlossen legt sie beide Hände auf den Geldkoffer. „Was seinen Inhalt anbelangt: Alles in Hundert Euro Scheinen. Zählen Sie nach.“
„Zeitverschwendung! Die dafür zuständige Maschine der Bank hat sich noch nie verzählt! So ist das zu mindestens bei uns in Deutschland.“
Sie schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Sind Sie etwa ein Nazi?“
„Nein, nur ein SPD wählender Privatdetektiv.“ Nach diesem Hinweis beschließe ich, kurzerhand zum Geschäftlichen zurückzukehren. „Wieviel Geld haben sie eigentlich mitgebracht?“
„Eineinhalb Millionen.“
„Insgesamt?“
„Zusätzlich! In der Summe sind es damit zwei Millionen!“
Ich stoße einen Pfiff aus. „Zwei Millionen!“
„Wenn er es jetzt noch ablehnt, gehen Sie mit ihm zum Psychiater!“
„Ich könnte unterwegs überfallen werden.“
„Sie tragen doch eine Waffe! Schießen Sie, wenn es sich als nötig erweisen sollte!“
„Warum gehen Sie eigentlich nicht selbst zu diesem Brandt?“, platzt es aus mir heraus. Als ich die Sache rasch geraderücken will, fällt mein Blick auf Kutusows Tochter. Sie ist blass und bringt keinen Ton heraus. Als hätte ich ihr etwas Schreckliches angetan. Mir wird bewusst, dass ich mit meiner Frage einen wunden Punkt in dieser so cool auftretenden Frau getroffen habe. Eine Portion Schadenfreude steigt in mir hoch. Die Gelegenheit ist gekommen, mich als Junggeselle zu revanchieren. Doch ich kämpfe erfolgreich dagegen an und sage, so dezent wie ich es hinbekomme: „Dieser Brandt kann sehr, sehr unangenehm werden. Richtiggehend aggressiv! Der Mann ist nichts für eine zarte Person wie Sie!“
„Am besten, Herr Marowski, Sie halten einfach Ihren losen Mund!“ Sie zeigt zur Zimmerdecke. „Können Sie mir sagen, ob Herr Dr. Wohlleben zu Hause ist?“
Ich lausche angestrengt. Es dauert nur ein paar Sekunden, und ich kann verkünden: „Ich höre Schritte.