Apostasie. Marie Albes

Apostasie - Marie Albes


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Hand ihre Stirn.

      Chiara leidete gewöhnlich nicht an Ängsten oder Stimmungsschwankungen und wusste nicht, was ihr solch ein Unbehagen verschaffte. Ihr Leben war, wie sie es sich wünschte. Was war somit dieses undefinierbare Gefühl, das ihr den Magen zuschnürte?

      Wenn es anhält, würde sie die Äbtissin bitten, zum Arzt gehen zu dürfen. Ja, das würde sie.

      Liebe ist seltsam und schwer zu verstehen, vielleicht weil sie so natürlich ist, unkontrollierbar und vor allem menschlich. Der Mensch an sich ist seltsam. Vielleicht sind wir deshalb nicht in der Lage, Liebe zu verstehen. Sie ist uns ausgesprochen ähnlich. Wir sind unfähig, ihre Nuancen zu sehen oder eine schlaflose Nacht zu deuten, während das Herz ein Gesicht vorgibt, bevor der Verstand begreift. Es gibt eine Lösung vor.

      Die Farben geraten nicht durcheinander, sondern die Gefühle überlagern sich. Die Ruhelosigkeit lässt uns fragen, was die Liebe ist. Gibt es sie oder ist sie ein Hirngespinst des Menschen, dem der Mensch bis ans Ende seines Lebens folgt?

      Dennoch gibt es Menschen, die sich keine Fragen über Gefühle stellen. Sie suchen stattdessen beängstigt Antworten zu einer Krankheit, die zwangsläufig klinisch sein muss. Diese Menschen haben am meisten Angst vor der Liebe und haben es vielleicht am nötigsten, umarmt zu werden, zu lieben und geliebt zu werden.

      Chiara verstand nicht, dass die Kälte, die sie verspürte, und das Zittern, das sie überfiel, der Wunsch nach dieser Umarmung war. Sie bevorzugte es, dem Verstand zu folgen. Tatsächlich wäre sie, wenn sie sich nicht besser fühlen würde, zur Äbtissin gegangen, um sich eine Erlaubnis für einen Arztbesuch einzuholen.

      Sie drehte weiter ihre Runden um den Brunnen in der Mitte des Innenhofs und versuchte diese unerklärliche Melancholie zu kontrollieren. Sie ahnte, dass sich jemand hinter einem Fenster versteckte und sie beobachtete.

      

      

      * * *

      

      

      Die Uhr schlug Mitternacht als José erwachte und auf Zehenspitzen zur Holztür schlich, die zum Hof des Klosters führte.

      Sei es Zufall oder Fahrlässigkeit der Person, die sie hätte schließen müssen, sie war nicht abgeschlossen. José atmete auf, als er entdeckte, dass er nicht über den Mauerring klettern musste. Nicht, dass es für ihn ein Problem darstellte: Jahrelang hatte er auf Handels- oder Privatschiffen gearbeitet und war unendliche Male den Hauptmast hinauf- und hinunter geklettert. Er nutzte den Gefallen dieses unerwarteten Geschenks.

      Nachdem er zum Innenhof hinausgetreten war, schloss er behutsam die Holztür, um nicht die Scharniere knarren zu lassen. Dann schaute er sich nach rechts und links um und vergewisserte sich, dass niemand anwesend war. Er ging in Richtung Bibliothek, indem er dem Gartenzaun folgte, zu dem das Mondlicht nicht hinreichte.

      Als er den Sala de los libros betrat (wie dieser ihm vorgestellt wurde), meinte er, Chiara in der Mitte des Raumes am Tisch sitzen zu sehen, an dem sie ihm wenige Stunden zuvor Italienischunterricht erteilt hatte.

      Nein, er musste sich nicht schuldig fühlen. Er missbrauchte von keinem das Vertrauen, zumal ihm niemand das Vertrauen geschenkt hatte. Er war zu einem bestimmten Zweck gekommen und hatte nicht die Absicht, sich von seltsamen Sympathien durcheinander bringen lassen.

      Er war nervös. Aus seiner Jeans-Tasche zog er einen alten, vergilbten Brief, um ein weiteres Mal die Worte seines Interesses zu lesen.

      

      

       Wir haben noch eine Hoffnung.

       Habe Vertrauen! Nicht in Gott, sondern in mich und in das Leben.

      Erinnerst Du Dich an den Sala de los Libros, wie Du ihn nanntest?

      In diesem kleinen Kloster ist der Schlüssel zur Wahrheit. Er befindet sich in unserem Buch: Der Protestantismus und die Glaubensregel .

       Heute Nacht werde ich ihn dort suchen, damit Du sicher bist.

      

      

      José war sich sicher, dass dies das besagte Kloster war, denn er hatte den Brief mehrere Male gelesen. Alles stimmte überein. In einem dieser Bücher musste sich der Schlüssel befinden.

      Der Raum erschien ihm wie ein Labyrinth.

      Fantástico.

      Es reihten sich Lesetische und Regale mit antiken Büchern. Es gab wenige moderne Bücher. Jeder Gang war wie ein Schachbrett durch horizontale Gänge geteilt.

      Den Eingang nach Narnia zu finden wäre einfacher als das Buch Der Protestantismus und die Glaubensregel in diesem Sammelsurium. Aber er war fest entschlossen!

      Buch für Buch durchsuchte er das erste Regal. Mit seinem Taschenmesser, das er immer bei sich trug, markierte er den Holzrahmen mit einer kleinen Einkerbung.

      Auch wenn eine Kuh einfacher vom Eis zu holen war, würde er Nacht für Nacht jeden Gang absuchen. Dieses Buch sollte nicht von großem Interesse für die katholischen Nonnen sein.

      Unbemerkt hatte er eine halbe Stunde mehrere Regale durchstöbern können als plötzlich durch die schweren Vorhänge Licht schimmerte.

      Schnell knipste er seine Taschenlampe aus. Verdammt, zu dieser Stunde sollte keiner wach sein! Vorsichtig zog er den Vorhang zurück.

      Der Schatten im Lichtschein verriet ihm sofort wer es war, obwohl ihm der Rücken zugewendet war.

      Mit verschränkten Armen schützte sie sich vor der Kälte oder einer Qual.

      Was trieb sie dort? Er beugte sich vor.

      Offensichtlich marschierte sie nervös auf und ab. Warum? Wen erwartete sie? Sein Herz raste bei dem Gedanken.

      Nein, Chiara konnte nichts Unerlaubtes planen - sie hatte keine Geheimnisse: Ihre Augen waren zu klar und naiv.

      Sie war angespannt, das bezeugte ihre Eile.

      Seine Gedanken ließen ihn aufseufzen: Wer weiß, wie anmutig sie ohne das keusche Kopftuch und ihre Tunika ist? Wie verführerisch ihre gelösten Haare wohl sind? Wie zart ihre Haut sein mag? Hatte sie Muttermale? Ist ihr Körper schneeweiß wie ihr Gesicht?

      Das schlechte Gewissen strafte ihn sofort. Selbstverständlich meinte er, wie sie in Bluse und Jeans gekleidet aussehen mag? O hne Kleidungsstücke würde er sie sich nicht vorzustellen wagen.

      Mit einem Kopfschütteln verjagte er seine Träumereien. Sie bückte sich, um ihre Taschenlampe aufzunehmen und ging ins Kloster, gefolgt vom obligatorischen Kopftuch, das sie von der gesamten Welt trennte.

      Während sie allein und wehmütig im Hof umhertigerte, empfand José ein undefinierbares Gefühl, das die Vernunft schwer billigte, aber emotional eindeutig war.

      Nein, das war unmöglich.

      

      

      Die Liebe ist seltsam, stolz und zielstrebig.

      

      

      * * *

      

      

      Am folgenden Nachmittag war es für José nicht einfach, zum Unterricht zu gehen.

      Er fühlte sich emotional taub und nervös. Sein gewöhnlich sonniges Gemüt blieb schüchtern, was ihn noch mehr reizte. Launen von unbekannter Ursache lassen die Sicherheit der Personen erschüttern.

      „Guten Abend, José!“, begrüßte sie ihn mit ihrem üblichen Lächeln auf den Lippen.

      „Hallo Chiara“, antwortete er mechanisch mit trockener Kehle, während sich seine Zunge einfach nicht bewegen wollte - ein lästiges Gefühl!

      Der Unterricht


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