Luzifer junior 1 - Zu gut für die Hölle. Jochen Till
seinem Stuhl ein Stück zurück. Cerberus springt von seinem Schoß und stürzt fröhlich kläffend auf mich zu. Okay, das war’s dann wohl für mich.
Cerberus schleckt mir das Gesicht ab und ich kraule ihn kräftig an beiden Hinterköpfen. »Ja, lieber Hund«, sage ich lachend. »Hast du mich gefunden? Gut gemacht! Du bist der Beste!«
Das Gesicht meines Vaters schiebt sich von oben in mein Blickfeld. Aus seiner Nase zischt gelber Schwefelrauch. Seine Hand schnappt mich am Kragen und er zieht mich mit einem Ruck aus meinem Versteck.
»SAG MAL, SPINNST DU JETZT KOMPLETT, ODER WAS?«, poltert er los. »WIE OFT HABE ICH DIR SCHON GESAGT, DU SOLLST DIE FINGER VON DER PLAYLIST FÜR ABTEILUNG 27 LASSEN?«
»Äh … Moment …«, sage ich, an seinem ausgestreckten Arm in der Luft baumelnd. »Genau 1382 Mal.«
Hatte ich schon erwähnt, dass ich ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis habe? Wo das herkommt, weiß ich nicht – Papa vergisst ja schon nach fünf Minuten, wen er zum Frühstück gegessen hat.
»ABER MINDESTENS!«, brüllt er schnaubend. »UND WIE KOMMT ES DANN BITTESCHÖN DAZU?«
Er zeigt auf den Monitor von Abteilung 27. Die Jungs tanzen immer noch ausgelassen fröhlich und haben jede Menge Spaß.
»DA LÄUFT METALLICA!«, brüllt mein Vater weiter. »SOLL DA ETWA METALLICA LAUFEN? STEHT DAS SO IM BESTRAFUNGSPLAN FÜR ABTEILUNG 27? ICH GLAUBE NICHT!«
»Öh … keine Ahnung, was da steht«, sage ich. »Du weißt doch, ich lese nicht so gern.«
»DEINE FRECHEN BEMERKUNGEN KANNST DU DIR SPAREN! ICH ZEIG DIR, WAS DA STEHT!«
Er wühlt mit seiner freien Hand in einem Stapel Papier auf dem Schreibtisch herum.
»STEVEN! WO SIND DENN DIESE VERFLIXTEN BESTRAFUNGSPLÄNE AUF EINMAL HINGEKOMMEN? GESTERN WAREN SIE DOCH NOCH HIER!«
»Die digitalisiere ich gerade«, antwortet Steven. »Sie wissen doch, unser nächstes Großprojekt, die papierlose Hölle. Erinnern Sie sich? Das haben wir bei der letzten Jahressitzung beschlossen.«
»DAS IST MIR SCHNURZPIEPEGAL, WAS IHR DA BESCHLOSSEN HABT! ICH WILL DIE BESTRAFUNGSPLÄNE! AUF PAPIER! UND ZWAR JETZT GLEICH!«
»Ja, Chef. Kein Problem, Chef. Sofort, Chef«, sagt Steven und wühlt hektisch in einer Schublade herum.
»Die papierlose Hölle«, grummelt mein Vater vor sich hin, während er wartet und ich immer noch an seinem Arm baumle. »Was denn noch alles? Zuerst dieses verfluchte Finsternet und jetzt das. Die spinnen doch da oben. Und mich fragt natürlich wieder mal keiner. Das ist so …«
»Hier, Chef!«, unterbricht ihn Steven und drückt ihm ein Blatt Papier in die Hand. »Der Bestrafungsplan für Abteilung 27!«
Mein Vater hält mir das Blatt vor die Nase.
»Los! Vorlesen! Was steht da?«
Da steht:
Bestrafungsplan
Abteilung 27 (Heavy Metal Fans)
Die Inhaftierten haben sich des Vergehens schuldig gemacht, Heavy-Metal-Musik nicht nur zu hören, sondern auch noch gut zu finden. Dafür sieht der Bußkatalog eine Strafe von einhundert Jahren ohne Bewährung vor. In dieser Zeit muss den Verurteilten fortwährend und ausschließlich Volksmusik (wahlweise bayrischen und/oder österreichischen Ursprungs) in einer nicht zu überhörenden Lautstärke vorgespielt werden. Eine Verkürzung der Strafe kann nach frühestens neunundneunzig Jahren beantragt werden – perfekte Jodelkenntnisse vorausgesetzt.
»Hm? Was heißt das?«, hakt mein Vater nach. »Steht da irgendwas von Metallica?«
Ich schüttle den Kopf.
»Da steht dick und fett Volksmusik, oder?«, fragt er.
Ich nicke.
»Ist Metallica etwa eine bayrische oder österreichische Volksmusikkapelle?«
Ich schüttle wieder den Kopf.
»UND WARUM LÄUFT DANN DA UNTEN IN VOLLER LAUTSTÄRKE METALLICA?«, brüllt er und schüttelt mich dabei kräftig durch. »KANNST DU MIR DAS BITTE MAL ERKLÄREN?«
»Weil das nicht fair ist!«, antworte ich.
»FAIR? WIR SIND HIER IN DER HÖLLE, LUZIE! DAS EINZIGE, WAS HIER FAIR IST, IST DER TRITT IN DEN HINTERN, DEN JEDER ZUR BEGRÜSSUNG KRIEGT!«
»Aber die haben doch gar nichts gemacht!«, erwidere ich. »Die haben nur Heavy Metal gehört! Und jetzt werden sie mit Volksmusik dafür bestraft! Volksmusik, Papa! Das ist unmenschlich!«
»Ach, Luzie«, sagt mein Vater und setzt mich seufzend auf dem Boden ab. »Denkst du, das weiß ich nicht? Ich höre doch auch viel lieber Hard Rock. Und du hast vollkommen recht, dafür sollte man nicht in die Hölle kommen. Aber du weißt doch ganz genau, dass das nicht meine Entscheidung ist. Wer in die Hölle kommt und wer nicht, bestimmt einzig und allein der CEO. So wie alles andere hier. Und der CEO hasst Heavy Metal. Deswegen hat er Abteilung 27 gegründet und diese armen Teufel müssen Volksmusik hören.«
Oh Mann. Immer dieser blöde CEO. Das steht für Chronisch Einzigartiger Oberchef. Er wohnt ganz oben, heißt es. Wobei ich ihn noch nie gesehen habe. Eigentlich hat ihn bisher niemand gesehen, den ich kenne. Außer Papa. Der kennt ihn wohl von ganz früher. Und er hat Schiss vor ihm. Echt jetzt. Mein Vater, der Teufel höchstpersönlich, der fieseste und mächtigste Mann der Unterwelt, hat Schiss vor seinem Chef.
»Was glaubst du, was hier los ist, wenn der CEO mitkriegt, dass da unten Metallica läuft?«, fährt mein Vater fort. »Er hasst es, wenn seine Anweisungen nicht haargenau befolgt werden. Egal, wie schwachsinnig sie sind. Auch wenn ich das hier jetzt schon seit über 2000 Jahren mache: Ich bin nicht unkündbar, Luzie.«
»Jetzt übertreibst du aber«, sage ich. »Er wird dich schon nicht wegen ein bisschen Metallica rausschmeißen.«
»Du hast keine Ahnung, wie unberechenbar er ist. Kannst du dich noch an Onkel Azrael erinnern?«
Dunkel. Ganz dunkel. Weil er sich immer nur im Schatten bewegt und einen schwarzen Umhang getragen hat. »Ja«, sage ich. »Komischer Kerl. Hab ihn aber lang nicht gesehen.«
»Genau das ist es ja«, sagt mein Vater. »Er war eine ziemlich große Nummer hier unten, sozusagen meine rechte Hand. Bis er eines Tages in Abteilung 3 aus Versehen eine Erdnuss hat liegen lassen. Du kennst die oberste Direktive für Abteilung 3?«
»Ja«, sage ich. »Mörder kriegen keine Erdnüsse.«
»Stimmt genau. Und weißt du, was Onkel Azrael seitdem macht? Er zählt die Schneeflocken über der Arktis. Und wenn er sich auch nur um eine einzige Schneeflocke verzählt, muss er die komplette Ladung für den nächsten Tag aus eigener Tasche bezahlen. Glaub mir, der CEO versteht bei solchen Sachen keinen Spaß.«
Der wird mir immer unsympathischer, dieser komische CEO. Und das werde ich ihm auch sagen, sollte ich ihn irgendwann einmal treffen. Da kann er noch so mächtig und allwissend und der Oberchef sein – mir macht er damit keine Angst.
»Aber müsste er sich dann nicht schon längst beschwert haben?«, frage ich. »Es heißt doch immer, er hört und sieht alles.«
»Na ja«, antwortet mein Vater. »Er ist mittlerweile auf einem Auge so gut wie blind. Und um diese Uhrzeit hat er normalerweise sein Hörgerät ausgeschaltet, damit er in Ruhe stricken kann. Er ist eben auch nicht mehr der Jüngste. Vielleicht haben wir Glück und er hat es ausnahmsweise nicht mitgekriegt.«
»Na, dann ist doch alles in Ordnung«, sage ich und bewege mich unauffällig langsam rückwärts in Richtung Tür. »Falls du mich suchst, ich bin in meinem Zimmer.«
»Nicht so schnell, Freundchen«, knurrt mein Vater und schnappt mich wieder am Kragen. »Du