Luzifer junior 1 - Zu gut für die Hölle. Jochen Till

Luzifer junior 1 - Zu gut für die Hölle - Jochen Till


Скачать книгу
nicht die Tatsache, dass ich gleich als Schnecke geschätzte zehn Stunden bis zu meinem Zimmer brauchen werde – das Schlimmste ist die mit Sicherheit gleich folgende Ansprache meines Vaters.

      »Ich mache mir echt Sorgen um dich, Luzie.« Ja, so fängt es immer an. Aber wenn man sich um jemanden Sorgen macht, bestraft man ihn dann?

      »Das war ja heute nicht das erste Mal, dass du Mist gebaut hast.«

      Stimmt. Es war das dreihundertsechsundsiebzigste Mal.

      »Das Problem ist, dass du einfach zu nett bist. Wir sind hier in der Hölle, Luzie.«

      Ach was? Als ob ich nicht wüsste, wo ich wohne.

      »Du weißt, ich will in drei- bis vierhundert Jahren in Rente gehen. Und dann möchte ich, dass du den Laden übernimmst.«

      Ich kann es kaum erwarten. Dann würde hier nämlich einiges anders laufen. Metallica anstatt Volksmusik, zum Beispiel.

      »Das kriege ich da oben aber nie durch, wenn du weiter so lieb bist. Ich weiß auch nicht, woher du das hast, aber dieses … dieses Mitleid muss aufhören. Das kannst du dir in diesem Posten nicht erlauben. Du musst lernen, härter zu werden und Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefallen. Du bist jetzt fast zwölf, also alt genug. Und deswegen wirst du morgen früh am Team-Meeting teilnehmen, damit du das Geschäft langsam besser kennenlernst.«

      Oh, das mit dem Team-Meeting ist neu. Nichts dagegen. Da wollte ich immer schon mal Mäuschen spielen. Aber das muss er ja nicht unbedingt wissen. Vielleicht bleibt mir so ja das schleimige Schneckendasein erspart.

      »Was? Ich soll zu eurem langweiligen Team-Meeting? Muss das sein?«, stöhne ich.

      »Ja, das muss sein«, knurrt mein Vater.

      »Na gut«, seufze ich. »Das ist echt gemein. Dann also bis morgen früh.«

      Ich bewege mich wieder langsam in Richtung Tür.

      »Netter Versuch«, sagt mein Vater und lacht höhnisch. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass das schon deine Strafe war.«

      »Hätte ja sein können«, sage ich. »Aber mach mich bitte diesmal nicht so schleimig, das geht immer so schwer wieder ab.«

      »Ich werde dich überhaupt nicht schleimig machen«, sagt mein Vater fies grinsend. »Heute probieren wir mal was ganz Neues. Die Idee hatte ich gestern Abend während der Sportschau. Bist du bereit?«

      »Nein! Warte! Ich …«

      Aber da ist es schon zu spät. Mein Vater schnippt mit dem Finger, es ertönt ein lauter Knall und um mich herum erscheint eine gelbe, nach Schwefel stinkende Wolke. Als sie sich verzieht, sehe ich meinen Vater von ziemlich weit unten vor mir stehen. Ganz so winzig wie eine Schnecke bin ich nicht, aber immer noch ziemlich klein. Ich versuche, mich zu bewegen, aber es funktioniert nicht. Offenbar habe ich weder Arme noch Beine. Ich rolle meine Augen nach oben und unten, nach links und nach rechts, aber ich kann nichts von mir sehen.

      Mein Vater lacht laut los und schlägt sich dabei auf die Schenkel.

      »Was … was bin ich?«, frage ich verwirrt.

      »Das ist gut!«, grölt mein Vater. »Das ist wirklich saugut! Steven! Haben wir einen Spiegel?«

      »Nein«, antwortet Steven. »Aber Sie könnten ein Foto mit ihrem Schrei-Phone machen.«

      »Stimmt«, sagt mein Vater und greift nach seinem Schrei-Phone. »Wie ging das noch gleich? Kamera öffnen und auf den roten Kreis drücken, oder?«

      »Genau«, sagt Steven.

      Mein Vater richtet das Schrei-Phone auf mich und drückt ab. Ein schmerzerfüllter Schrei ertönt, wie bei allen Funktionen dieser Modellreihe. Mein Vater hält das Ergebnis vor meine Augen. Ich muss ein Kichern unterdrücken. Dieser Mann ist einfach zu doof, wenn es um moderne Technik geht – er hat ein Foto von sich selbst gemacht.

      »Super, Papa«, sage ich. »Jetzt sehe ich endlich genauso aus wie du.«

      Er schaut sich verwundert das Foto an.

      »Was? Wieso …«

      »Sie haben die Selfie-Funktion eingeschaltet, Chef«, sagt Steven grinsend. »Wahrscheinlich noch von gestern, als Sie das Profilbild für Hellbook gemacht haben.«

      »Hunderttausend heulende Höllenhunde«, knurrt mein Vater. »Ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen, diesen ganzen neumodischen Kram hier einzuführen. Und wie schalte ich diese verdammte Selfie-Funktion wieder aus?«

      Steven drückt einmal kurz auf das Display, wieder ertönt ein Schrei.

      »Ist eigentlich ganz einfach, Chef«, sagt er.

      »Ach ja?«, knurrt mein Vater. »So einfach wie Fensterputzen?«

      Er schießt noch ein Foto und hält mir das Schrei-Phone entgegen. Okay, diesmal hat es geklappt. Ich sehe mich. Und ich bin …

      »Ein Fußball?«

      »Ja!«, sagt mein Vater. »Ein absoluter Brüller, oder? Dass mir das nicht früher eingefallen ist!«

      »Spitzenwitz, Papa«, sage ich betont unbegeistert. »Wenn ich sterben könnte, würde ich wahrscheinlich gleich vor Lachen tot umfallen.«

      »Kannst du nicht!«, erwidert er. »Du bist ein Ball! Bälle können nicht umfallen!«

      »Haha. Noch so ein Witz und ich kugle mich vor Lachen. Kannst du mir vielleicht mal verraten, wie ich jetzt zu meinem Zimmer kommen soll?«

      »Ach, das ist doch überhaupt kein Problem. Steven, mach mal die Tür auf!«

      Steven öffnet die Tür. Mein Vater dreht mich mit dem Gesicht zum Ausgang. »Schön stillhalten!«, sagt er.

      Ich höre, wie er drei Schritte zurücktritt.

      »Was hast du vor?«, frage ich argwöhnisch. »Du willst mich doch wohl hoffentlich nicht … AAAAAAAAAH!«

      Ich sause durch die Luft und drehe mich dabei gefühlte tausendmal um mich selbst. Dann krache ich an den Türpfosten, knalle draußen gegen die Wand und kullere den Flur entlang.

      »KEINE SORGE!«, brüllt mir mein Vater hinterher. »JEDER, DER EINEN FUSSBALL AUF DEM BODEN LIEGEN SIEHT, TRITT AUTOMATISCH DAGEGEN! UND IRGENDWANN WIRST DU SICHER AN DEINEM ZIMMER VORBEI GEKICKT! WIR SEHEN UNS DANN MORGEN FRÜH! SIEBEN UHR! SEI PÜNKTLICH!«

      Alberne Hüte

      Hey! Was war das denn? Irgendwas hat meinen linken Fuß berührt! Da schon wieder! Was ist das? Irgendwas zwickt mich in den Fuß! Nicht! Das kitzelt doch!

      »AUFHÖREN!«

      Ich ziehe die Bettdecke nach oben und werfe einen Blick auf meine Füße. Ein Eichhörnchen hat meinen großen Zeh umklammert und beißt kräftig zu.

      »HEY!«

      Natürlich ist das nicht wirklich ein Eichhörnchen, das ist mir sofort klar. In der Hölle gibt es keine Eichhörnchen. Aber es gibt Dämonen. Und diesen kleinen Dämon kenne ich sehr gut. Er beißt noch einmal zu.

      »CORNIBUS! LASS DAS!«

      Cornibus ist mein kleiner Hausdämon. Papa hat ihn mir geschenkt, als ich fünf war. Weil ich mich so sehr für Tiere interessiert habe und immer welche sehen wollte. Cornibus kann sich nämlich in jedes Tier verwandeln, das es gibt. Sogar in einen Elefanten, obwohl er in seiner ursprünglichen Form nicht größer als ein Kapuziner-Äffchen ist. Er sieht auch ein bisschen so aus, nur nicht ganz so niedlich. Als Eichhörnchen ist er normalerweise sehr süß – wenn er nicht gerade in meinen Fuß beißt.

      »JETZT HÖR DOCH MAL AUF DAMIT, CORNIBUS! WAS SOLL DAS DENN?«

      »Muss Luzie wecken«, krächzt er. »Luzie aufstehen. Papa treffen. Gestern gesagt.«

      Was?


Скачать книгу