Irren ist göttlich. Daniel Sand

Irren ist göttlich - Daniel Sand


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war in ihr Dorf gekommen, in Gestalt eines Mannes, dem sie vertraut hatten.

      »Hast du noch etwas zu sagen, Thariel, bevor wir das Urteil sprechen?«

      Mit diesen kühlen Worten erhob sich der Bürgermeister, ein beleibter Herr, der es verstand, seinen weißen Bart kunstvoll zu zwirbeln und in dessem linken Auge ein Monokel steckte. Er stützte sich auf einen Spazierstock und fuhr fort.

      »Willst du vielleicht beichten, was du getan hast?«

      »Gar nichts habe ich getan«, rief Thariel mit zitternder Stimme und rüttelte am Käfig, »ich will aber eines wissen! Warum? Warum bin ich verflucht?«

      Alle Augen richteten sich auf den Zauberer (in Ausbildung).

      »Das ... darf ich dir nicht preisgeben. Die Reiter des letzten langen Wochenendes würden sonst Tod und Verderben über uns bringen«, rief er pathetisch und schlug die Hände vors Gesicht.

      Unbeeindruckt schrie eine alte Frau, »verrate schon, was du weißt!«

      Auch die anderen forderten Aufklärung. Die Situation fing an zu kippen, merkte der Zauberer (in Ausbildung).

      »Ruhe, Ruhe«, versuchte er die Gemüter zu beruhigen, wofür seine zu dünne Stimme aber kaum ausreichte, »ich werde euch den wahren Grund verkünden, warum ich es nicht preisgeben darf!«

      Stille senkte sich über das Dorf. Nur Thariels Haus war zu hören, als es wieder ein Stück mehr im Sumpf verschwand.

      »Ich«, der Zauberer (in Ausbildung) hob seinen Holzstab, denn einen echten Zauberstab durfte eine Gelbmütze nicht besitzen, »weiß es nicht!«

      Weiterhin Stille. Seine Schultern senkten sich herab.

      »So weit bin ich in meiner Ausbildung noch nicht. Ich kann erkennen, dass es ein Fluch ist, mehr nicht. Wenn ihr mich aber vielleicht in zwölf Monaten ... «

      »Lass gut sein«, unterbrach ihn der Bürgermeister, »es ist nicht deine Schuld, dass wir uns für dich entschieden haben und nicht für einen begabteren Zauberer-Aspiranten, du kannst jetzt gehen.«

      Tief gekränkt zog sich der Zauberer (in Ausbildung) in seine kleine Studierstube zurück. Wie sollte er den Unwissenden auch begreiflich machen, dass es kaum etwas Schwereres gab als den genauen Grund einer Verfluchung zu enträtseln? Auch, dass er der Jahrgangsbeste in seinem Fernstudiumskurs war, interessierte sie nicht. Wenn er davon erzählte, nickten sie nur gleichgültig und fragten ihn, ob er noch wüsste, dass ihm Thariel früher immer tote Frösche in die Stiefel gesteckt hatte.

      Nachdem der Zauberer (in Ausbildung) die Runde verlassen hatte, wandte sich der Bürgermeister an Thariel. »Du bist ein Sohn unseres Dorfes und der Sohn deines Vaters, der wiederum der Sohn seines Vaters ist, der der Sohn seines Vaters ist, der der Sohn seines Vaters ist. Wir sind enttäuscht und besorgt, weil du etwas Schlimmes getan hast, was du uns nicht verraten willst. Deswegen verbannen wir dich, wie es das Gesetz zwingend vorsieht, verzichten aber auf die Vierteilung, die ist zwar erlaubt, aber nicht zwingend vorgeschrieben!«

      »Ich bin unschuldig!«, rief Thariel dazwischen und Günter der Golem nickte als einziger, obwohl er das nicht glaubte, was Thariel ihm umso höher anrechnete.

      »Nun gut«, begann der Bürgermeister nach einer kurzen Denkpause, »aus Respekt vor deiner Familie lassen wir dir die Möglichkeit, zurückzukehren, sobald der Fluch gelöst ist! Nicht früher.«

      Dann öffnete er den Käfig. Aber frei war Thariel trotzdem nicht mehr.

      Thariel wusste, was das heißt. Er musste nach Mammama reisen, dort wohnte der Glasmeister und wachte über die Scherbe der einen Glaskugel, in der das Schicksal aller Menschen stand. Nur von ihm konnte er erfahren, was es mit dieser Regenwolke auf sich hatte. Mammama war eine Stadt, deren Gründerväter den Fehler gemacht hatten, den Stadtnamen im Rahmen eines Kinderschreibwettbewerbs festlegen zu lassen, den schließlich die kleine Irstin (3 Jahre) gewonnen hatte.

      Natürlich kam niemand, um Thariel zu verabschieden. Nur zwei Personen warteten vor der Kutsche. Die eine war Günter der Golem, der ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte und die andere Sulala, die ihn kurz umarmte und den Tränen nahe schien. Lydia fehlte, was Thariel ihr aber nicht übelnehmen wollte. Es war ein sonniger Tag und die Regenwolke regnete auf sein Gesicht. Mehrere Kinder beobachteten den Aufbruch schüchtern hinter einem Baum versteckt. Thariel umarmte noch einmal seinen erdigen Freund und roch diesen angenehmen Duft, der ihn immer in vergangene Zeiten entführte. Dann stieg er über die zwei Stufen in die Kutsche ein.

      Er hatte kaum Gepäck dabei. In einem Beutel befand sich eine kleine Kohlezeichnung von Lydia für seinen Nachttisch. Als die Kutsche gerade losfahren wollte, hörten sie eine Frauenstimme. Thariel blickte hinaus und sah seine Lydia zur Kutsche rennen. Mit Rucksack und zwei vollen Taschen aus Fledermausfell.

      »Halt!«, rief sie immer wieder.

      Thariel sprang aus der Kutsche und breitete die Arme aus.

      »Du kommst mit?« Natürlich hatte er heimlich davon geträumt, aber es doch nicht zu hoffen gewagt. Als sie ihn erreicht hatte, fiel sie ihm nicht in die Arme, sondern stützte sich auf dem Oberschenkel ab und atmete schwer durch. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, schüttelte sie den Kopf.

      »Nein, ich komme nicht mit, aber ich wollte dir noch etwas mitgeben.«

      Sie reichte ihm einen versiegelten Brief im gelben Umschlag.

      »Öffne ihn erst, wenn du vor einer schweren Entscheidung stehst. Er wird dir helfen, dich richtig zu entscheiden!«

      »Ja«, er war verwirrt, »aber warum hast du all das Gepäck dabei?«

      »Das«, sie deutete auf den Rucksack und die Taschen, »ach, das sind nur ein paar Sachen, die ich zum Picknick mitnehme.«

      »Du gehst zum Picknick?«

      Sie nickte und lächelte dabei.

      »Mit wem?«

      »Leider nicht mit dir, Thariel«, hauchte sie traurig, aber auch etwas aufgesetzt, und streichelte ihm über die Wange, »mach es gut, und verlier den Brief nicht!«

      »Mach du es gut!«, flüsterte er.

      »Nein, mach du es gut!«, kam es gespielt trotzig zurück.

      »Nein, mach du es gut!«, ging Thariel darauf ein und stupste ihr gegen die Nase.

      »Nein, mach du es gut!«, Lydia stupste nun seine Nase.

      »Nein, mach du es gut!«

      »Mach es immer so ein Stück besser gut!« Lydia breitete die Arme zur vollen Breite aus

      »Und du sollst es immer so ein Stück besser gut machen!« Thariel kam auf noch mehr Armlänge.

      »Du sollst …«, wollte sie gerade mit der Neckerei weitermachen, da schob sich der Kopf des Bürgermeisters aus der Kutsche, »Schluss jetzt, steig endlich ein!«

      Lydia gab ihm einen letzten Kuss und winkte ihm noch nach, bevor sie schwer bepackt mit jemandem zum Picknick ging, der nicht Thariel war.

      Scheppernd und klappernd setzte sich die Kutsche in Bewegung. Thariel verstaute den Brief


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