Irren ist göttlich. Daniel Sand

Irren ist göttlich - Daniel Sand


Скачать книгу
wieder ein Stück mehr im Sumpf. Neben ihm in der Kutsche saßen Zimon der Dorfzauberer (in Ausbildung) und der Bürgermeister, an dessen Händen Thariel mehrere Kleckse blauer Farbe auffielen.

      »In der Welt da draußen lauern Gefahren und Unsicherheiten. Ich rate dir eines: Sieh dich vor«, erklärte er Thariel, der sich bedankte, obwohl er fand, dass dieser Ratschlag recht allgemein ausgefallen war. Trotzdem zwinkerte der Bürgermeister ihm zufrieden zu. Der Zauberer (in Ausbildung) hatte seine langen Beine umständlich in die Kutsche gezwängt und musste sich ducken, um mit dem Kopf nicht gegen die Decke zu stoßen. Was dennoch bei jeder Wurzel und jedem Stein geschah, die sie überfuhren. Der Kutscher sprach kein Wort und konzentrierte sich darauf, seine beiden gezähmten Einhorngiraffen anzutreiben.

      »Thariel«, begann der Zauberer (in Ausbildung), »lange überlegte ich, was ich dir mit auf den Weg geben kann.«

      Wieder machte er eine der langen Pausen, wegen denen er bei den Dorfbewohnern so unbeliebt war.

      »Was denn?«, fuhr ihn der Bürgermeister an und schob nach, »tote Frösche?«

      Zimon überhörte die Spitze und fuhr fort. »Nimm diese zwei Goldstücke mit, alle großen Zauberer besitzen solche Goldstücke.«

      Thariel griff nach den beiden Münzen. Sie glänzten geheimnisvoll.

      »Danke, was haben sie für Fähigkeiten?«

      »Diese Münzen ermöglichen es dir«, der Zauberer (in Ausbildung) schob seine Mütze zurecht und donnerte wegen einer Boden­welle wieder gegen die Decke, »in jeder Gaststätte oder Herberge Speis und Trank und Übernachtungen zu erhalten.«

      »Für immer?«

      »Ja!«

      »Danke, das hilft mir sehr«, freute sich Thariel.

       »Also«, schränkte der Zauberer (in Ausbildung) dann doch noch ein, »natürlich nur so lange, bis das Geld eben aufgebraucht ist.«

      »Wann ist magisches Geld denn aufgebraucht?«

      »Ähm, das ist kein magisches Geld«, murmelte der Zauberer (in Ausbildung).

      »Es sind also nur zwei Goldmünzen?«

      »Zwei Goldmünzen«, wiederholte der Zauberer (in Ausbildung).

      »Keine Magie.«

      »Nein.«

      Thariel schaute kurz aus dem Fenster und murmelte dann, »trotzdem danke.«

      Er packte die beiden Goldstücke ein. Der Bürgermeister murmelte etwas in Richtung des Zauberers (in Ausbildung), was sich wie ein Schimpfwort anhörte.

      Die Kutsche hatte mittlerweile den engen Pfad hinter sich gelassen und eine Stelle erreicht, an der eine Hauptstraße kreuzte. Hier stieg Thariel aus.

      Der Bürgermeister wiederholte seinen Ratschlag: »Sieh dich vor.«

      Der Zauberer (in Ausbildung) warnte ihn vor allerlei falschen Feen und Druiden und der Kutscher haute ihm zum Abschied seine kräftige Pranke so fest auf die Schulter, dass Thariel sich sicher war, dass er den Schmerz noch bei seiner Rückkehr ins Dorf spüren würde – sollte es je zu einer solchen Heimkehr kommen.

      Weil langsam die Dämmerung hereinbrach, dauerte dieser letzte Abschied nicht lange. Die drei wollten das Dorf wieder erreichen, bevor es Nacht wurde, denn in der Dunkelheit konnten die Wesen hier draußen sehr unangenehm werden. Außerdem hatte Zimon noch eine private Verabredung, was ihm aber keiner glaubte. Die Kutsche wendete und verschwand nach wenigen Augenblicken in den Nebelschwaden.

      Thariel war zum ersten Mal auf sich alleine gestellt und der Regen prasselte auf ihn herab.

      Thariel lief los. Er sollte der befestigten Hauptstraße folgen und kam gut voran. Doch er fühlte sich nicht sicher auf den Beinen. Bei jedem Schritt hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Sein Weg wurde von mächtigen Fliederbäumen eingerahmt, deren Blätterwerk sich weit über ihm berührten und so den Eindruck eines Tunnels machten. Dann wurde ihm sein Problem klar: die befestigte Straße. Thariel war noch nie auf einer solchen gelaufen. Es fühlte sich unangenehm an, wenn der Untergrund nicht nachgab, weswegen er versuchte, zwischen der Straße und den Fliederbäumen zu gehen. Im Dickicht summten, pfiffen und zirpten die Kreaturen des Waldes. Bald würde die Sonne untergehen, was Thariel beunruhigte, weil in der Nacht seltsame Wesen durch die Wälder wandelten.

      Er wusste schon seit Kindertagen, dass man ihnen aus dem Weg gehen sollte. Normalerweise war das auch kein Problem, man ging einfach ins Haus und schloss die Türe oder unterhielt sich laut mit einem Begleiter, wenn man auf Reisen war. Aber Thariel hatte hier draußen weder Begleiter noch eine Haustüre und wenn er ... ein rot schimmerndes Wesen schwebte aus dem Wald hervor, der in der Nacht nur noch aus einem schwarzen Schlund zu bestehen schien. Man konnte durch das Wesen hindurchsehen wie durch klares Wasser. Es hatte den Kopf und den Körper eines Menschen, aber anstelle der Armen und Beinen nur unzählige schmale Streifen, die bei jeder Bewegung wie Papier im Wind flatterten.

      Thariel versuchte, nicht hinzusehen.

      »Du, hey du!«, rief das Wesen. Thariel tat so, als ob er nichts gehört hatte. Manchmal funktionierte es. Doch schon schwebte es an seiner Seite. Es hatte harte Gesichtszüge und seine Augen funkelten vor Wut. Seine Hände zitterten und ballten sich immer wieder zu Fäusten.

      »Ich kann es nicht mehr hören!«, schrie das Wesen aus der Dunkelheit Thariel an, »immer werde ich vertröstet. Wie lange noch? Gerade letzte Woche war es wieder soweit, ich warte und warte und mir wird versprochen, dass ich jetzt an der Reihe bin und was passiert dann? Mein Schalter wird zugemacht! Der Kerl vor mir wird noch durchgewunken, ich nicht! Seit Jahrhunderten geht das schon so. Was für ein Pech kann man haben? Wobei ich denke, das hat System. Man will mich bestrafen, mich brechen. Weil ich eine eigene Meinung habe. Das gefällt nicht allen. Und darum wird versucht, mich verrückt zu machen! Ich kann schon nicht mehr zählen, wie oft die direkt vor mir den Schalter zugemacht haben, glaubst du mir das?«

      Thariel ging weiter und er spürte anklagende Blicke auf sich ruhen. Er wollte nicht, aber etwas zwang ihn dazu, »ja« zu sagen.

      »Wenigstens einer glaubt es mir!«

      Jetzt schwebte das Wesen direkt vor Thariel. Ihre Köpfe trennten nur wenige Zentimeter.

      »Die wollen mich brechen, zermürben. Aber da kennen die mich schlecht. Meine Zeit kommt noch! Sie kommt!«

      Das Wesen schwieg jetzt und blickte Thariel ernst an, was fast noch gespenstischer war, als wenn es sprach.

      »Tut mir leid für Sie«, hörte er sich sagen und ärgerte sich schon beim Sprechen darüber.

      »Danke!«, donnerte das Wesen mit neuer Wut los, »manchmal denke ich, ich bin verflucht und das wird nie aufhören. Manche warten schon seit Tausenden von Jahren! Aber ich denke, irgendwann muss ich einfach an der Reihe sein. Es ist mein Recht, mein Recht!«

      Die letzten Worte schrie es so laut, dass Thariel die Ohren weh taten.

      »So«, kam es danach deutlich ruhiger und fast entspannt, »das hat gutgetan, sich mal Luft zu machen, den Ärger loszuwerden. Danke, mein Freund, danke.«

      Während es diese Worte sprach schwebte es in die Dunkelheit davon und schimmerte noch kurz zwischen den Ästen, bevor es vom Wald verschluckt wurde.

      Thariel dröhnte der Kopf und er beeilte sich, schnell weiterzukommen.

      In einiger Entfernung sah er drei weitere Wesen lautlos über den Weg gleiten. Eine ganze Gruppe, das hätte ihm noch gefehlt. Dabei hatte er durchaus Mitleid mit diesen Geistern noch nicht geborener Wesen, die sich immer übergangen fühlten. Oft sogar zu Recht, weil viele von ihnen wirklich schon lange warteten und deswegen irgend­wann keine Geduld mehr hatten.

      Endlich hatte er den Wald hinter sich gelassen und schlief in einer kleinen Höhle ein. Als er erwachte, schien die Sonne und er blickte staunend auf eine Wiese hinab, die er in der Nacht nicht gesehen hatte. Der


Скачать книгу