Irren ist göttlich. Daniel Sand

Irren ist göttlich - Daniel Sand


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Die Fläche dazwischen wurde von aufgespannten Fellen und Netzen ausgefüllt. Ganz hinten befanden sich Rotorblätter, ebenso ganz vorne, nur waren diese kleiner. Am Torso hingen Schlaufen herab, wohl um Beine und Arme einzuhaken. Das Ganze wirkte wie ein Gerät, mit dem man sich auf Volksfesten blamierte, weil es vor aller Augen direkt nach dem Sprung von der Brücke zerbricht und man im Wasser landet.

      »Beeindruckend«, log Thariel.

      »Nicht wahr«, freute sich Nichtadmiral Nelson, dessen Niesen und Augentränen mittlerweile fast aufgehört hatten.

      »Aber wo soll das eingesetzt werden?«

      »Eines Tages, du wirst schon sehen, wird es Schwebhafen geben, die von O-Booten angeflogen werden. Von gewaltigeren O-Boote als meinem, die werden von mächtigen Flugtieren über den Himmel gezogen werden. Das hier ist ja nur ein Prototyp.«

      »Wenn du das sagst!«

      »Du wirst schon sehen! Ich habe meine Pläne dazu schon an alle Städte geschickt. Das Schwebhafen-Zeitalter steht kurz bevor!«

      »Aber dann bist du arbeitslos, wenn niemand mehr ein Schiff braucht!«

      Nichtadmiral Nelson musste lachen. »Verstehst du es wirklich nicht? Ich werde dann Kapitän eines Schwebzeugs! Da oben am Himmel gibt es keine Pollen, da entkomme ich meinen Allergien!«

      Er sprach oft und gerne über diese kommende Zeit und auch wenn Thariel wusste, dass das nur die Träume eines alten Spinners waren, hörte er ihm gerne zu.

      »Offenbar ist diese Karte zur einen Hälfte vollkommen veraltet«, meinte er, »denn zwei der Länder, durch die du reisen solltest, sind schon vor Jahrhunderten untergegangen. Die Königreiche Friedensland und Herzensgut wurden von Zombies überrannt, die noch heute dort hausen. Und ich spreche hier nicht von diesen kultivierten Zombies, die große Musiker, Poeten und Tänzer hervorgebracht haben, ich spreche von primitiven Tötungsmaschinen. Kein Mensch, der bei Verstand ist, setzt da einen Fuß rein.«

      »Oh.«

      »Ja, das ist absolut oh!«

      Irgendwie empfand es Thariel als angemessen, einige Sekunden verstreichen zu lassen, bevor er weitersprach.

      »Und die restliche Karte, die andere Hälfte?«

      Nichtadmiral Nelson studierte sie genau. Er fuhr mit dem Messer die Einhornwälder, die Ödnis von Quarm, die Gebirge am Tee, den Fluss Tee und schließlich die Anhöhe der Tauburen nach, auf deren höchsten Punkt Mammama lag.

      HATSCHI!

      »Nun«, er räusperte sich beinahe verlegen, »wie soll ich es sagen, die Einhornwälder, die Ödnis und all das andere, das gibt es alles nicht.«

      »Was heißt das?«

      »Ausgedacht. Frei erfunden. Nicht echt. Betrug!«

      Thariel hatte sich selbst schon über diesen Teil der Karte gewundert, aber wollte den Bürgermeister bei der Abreise nicht vor den Kopf stoßen. Offensichtlich gab es nur eine einzige Landkarte und auch die nur zur Hälfte und veraltet. Also hatte irgendwer nachgeholfen. Man sah deutlich, dass all diese Teile der Karte mit unsicherem Strich und in blauer Farbe eingezeichnet waren, während die älteren Teile aus vergilbtem Braun bestanden.

      »Wie wäre meine Reise stattdessen verlaufen?«

      Nichts zwischen diesem lautlosen Blumenmeer und den fernsten Sternen störte die beiden in ihrem Gespräch.

      »Abgesehen davon, dass du schon im früheren Königreich Immergut auf grausamste Art bei lebendigem Leibe gefressen worden wärest?«

      »Abgesehen davon, ja.«

      »Und auch abgesehen davon, dass du nach dem Königreich Immergut auch im Königreich Liebeundfrieden auf grausamste ...«

      »Ja! Auch abgesehen davon.«

      »Nun, dann wäre die Einödige Tiefebene gekommen, die aus vielen kleinen Lava-Geysiren in einem riesigen Geysir besteht, der die Einödige Tiefebene ist. Du wärst also verbrannt.«

      »Und danach?«

      »Also abgesehen davon, dass …«

      »Ja!«

      »Danach wärst du am Worschworsch-Fluss angekommen, den du hättest überqueren müssen. Ein scheinbar ruhiges Gewässer, kniehoch und leicht zu durchwandern. Das Problem ist nur, dass er extrem wütend wird, wenn er geweckt wird!«

      »Er schläft?«

      »Immer. Außer, wenn jemand durch ihn durchläuft, dann wacht er auf und aus diesem sanften Gewässer wird ein reißender Gebirgsfluss, der nicht eher Ruhe gibt, bis du leblos davontreibst.«

      »Und danach?«

      »Also abgesehen …«

      »Ja!«

      »Mit hoher Wahrscheinlichkeit wärst du in die Hände von Südmoor-Riesen geraten, die Menschen jagen, weil die Nägel des menschlichen kleinen Zehs als potenzfördernd gelten. Oder du wärst auf der Mamukischen Anhöhe von Mausfaltern attackiert worden, deren Nestern du zu nahegekommen wärst, was sich nicht vermeiden lässt, weil die Mamukische Anhöhe ihr Brutgebiet ist. Und danach wärst du in der Wüste der Stille vor Stille gestorben!«

      Nichtadmiral Nelson kaute auf dem Blumenstängel, »sei froh, dass du ins Blumenmeer gefallen bist!«

      Danach drehte er sich um und wollte auf seine Kiste steigen, um den Kurs zu überprüfen. Er zog schon seinen Sextanten aus der Tasche, als Thariel nachfragte, »wie kann man denn vor Stille sterben?«

      Nichtadmiral Nelson schob den Sextanten zurück und drehte sich zu Thariel um. Er kam langsam auf ihn zu. Schritt um Schritt, bis er direkt vor ihm stand und ihre Köpfe sich so nahe waren wie der des roten Geistes und Thariels im Fliederwald.

      »Du hast noch nie wahre Stille erlitten, oder?« Nichtadmiral Nelson hatte einen sehr ernsten Gesichtsausdruck, der Thariel beunruhigte.

      »Nun ja«, fing er an, »also im Sommer, wenn die Brüllfrösche in kältere Regionen ziehen, ist es bei uns im Dorf schon sehr leise in der Nacht.«

      »Wie leise?« Nichtadmiral Nelson kam noch näher, ihre Nasenspitzen berührten sich. Thariel roch das Holz seiner Zähne.

      »Du kannst das Schnarchen aus dem Nachbarhaus hören, so leise ist es!«

      »Stell dir vor, dass es dieses Geräusch nicht gibt. Würdest du sonst noch was hören?«

      Zwei bedrohliche Augen fixierten Thariel. Wimpern berührten sich, so nahe kam ihm der Nichtadmiral Nelson mittlerweile.

      »Hmm, ein sehr leises Rauschen der Blätter und manchmal ein Zirpen aus dem Unterholz.«

      »Stell dir vor, dass es auch diese Geräusche nicht gäbe. Was gäbe es noch?«

      »Vielleicht hin und wieder das Flackern der Kerze.«

      »Was noch?«

      »Meine Schritte, wenn ich durchs Haus laufe.«

      »Gut, auch die werden absolut lautlos sein. Sonst noch was? Irgendwas, was Geräusche machen könnte? Denk ruhig ausgefallener!«

      Mittlerweile trennten auch die Lippen der beiden nur noch die Breite eines Bienenflügels.

      »Ein


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