Irren ist göttlich. Daniel Sand

Irren ist göttlich - Daniel Sand


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beide fast gleichzeitig, und schienen sich zu freuen, während sie die Waffen aber weiter gezückt hielten.

      Thariel lief jetzt rückwärts vorwärts, so dass er die beiden weiterhin sehen konnte.

      »Ich hoffe, das O-Boot hat nichts am Turm beschädigt.«

      »Keine Sorge, es hat nur etwas gewackelt und mir ist Suppe vom Teller geschwappt. Wir waren gerade beim Essen«, erklärte die Frau.

      »Oh, das tut mir leid.«

      »Muss es nicht«, entgegnete sie und auch der Mann winkte ab.

      »Da bin ich ja erleichtert.«

      Mittlerweile trennten Thariel und die beiden Wächter sicherlich dreißig Schritte.

      »Wirklich keine Ursache«, wiederholte sich die Wärterin und lächelte.

      Thariel lächelte zurück, doch dann gefroren seine Gesichtszüge, als er das plötzliche Funkeln in den Augen der Frau bemerkte. In einer fließenden Bewegung setzte sie die Armbrust an und als Thariel hörte, wie die Sehne nach vorne schnellte, hatte der Pfeil ihn schon fast erreicht. Er flog so knapp an seinem Ohr vorbei, dass er den Stahl an den dünnen Härchen seines Ohrläppchens spürte. Sofort ließ er alle Vorsicht fahren und entschied sich zu rennen als er schmerzhaft mit Fuß und Nase gegen etwas stieß, das eben noch nicht da gewesen war. Er stolperte und fiel zu Boden. Das Ungetüm, das erkannte er nun, war ein Rennpard. Einer der tödlicheren und schnelleren Verwandten der Geparden. Mit einem markerschütternden Jaulen stürzte er zu Boden und erst jetzt sah Thariel den Pfeil, der in dessen Kopf steckte.

      »Danke!«, rief er mit zitternder Stimme zum Turm hin und wieder kam es im Chor: »Gern geschehen, dafür sind wir hier.«

      Thariel schaute sich das Ungetüm einen Moment lang an, das neben ihm auf dem Boden lag und drei Mal so groß war wie er und auf sieben kräftigen Pranken durch die Einöden zog. Mit giftigen Zähnen, die jedes Lebewesen innerhalb von Sekunden lähmt und tötet.

      Danach lief er stur geradeaus, drehte sich nicht mehr um und lief und lief.

      Nach einer langen Wanderung durch die Steppe mit ihren trockenen Wiesen und einsamen Bäumen, die aber immerhin ohne weitere Angriffe oder Entführungen verging, erhob sich hinter einem Hügel das mächtige Mammama weit hinauf in den Himmel. Im ersten Moment dachte Thariel, er würde träumen. Aber was da vor ihm aufragte, blieb auch stehen, nachdem er sich mehrmals die Augen gerieben hatte. Bei Mammama handelte es sich im Grunde um eine Stadt in Gestalt eines gigantischen Turms, der nach oben hin immer schmaler wurde und schließlich in einer Turmspitze mündete, in der nur noch Platz für einen einzigen Stuhl blieb.

      Mammama hatte es nicht nötig, Gewalt auszustrahlen.

      Als er von der Anhöhe in das Tal wanderte, konnte Thariel es kaum erwarten, endlich Mammamaer Boden zu betreten. Er kam auf die Brücke, wo Kutscher ungeduldig auf Einlass warteten, während Gänse zwischen den Menschen umherflatterten. Ältere Frauen trugen Körbe mit Früchten und junge Männer schleppten Holz in die Stadt. Ein Junge trieb seine Schafsherde hinaus aufs Feld. Händler boten in kleinen Ständen Zauberschmuck, Liebestränke und Glücksamulette an. Schon hier auf der Brücke sah Thariel mehr Menschen als in seinem ganzen bisherigen Leben zusammen. Direkt unter dem Torbogen lehnten zwei Wächter an der Felsmauer und gaben hin und wieder Anweisungen, wenn jemand den Verkehr aufhielt, aber insgesamt hatten sie mehr mit der Müdigkeit zu kämpfen als mit den Menschen.

      Dann durchquerte Thariel das Tor, ein letzter Schritt, geschafft. Mammama! Er war am Ziel. Ergriffen von diesem Moment, hielt er kurz inne. Die Stadt Gottes, Ort der Harmonie und Ursprung allen Lebens, Inspiration für ... eine Fischverkäuferin stieß Thariel zur Seite.

      »Aus dem Weg, Elf!«, brummte sie.

      »Ich bin kein Elf!«, rief er ihr nach, während er in die Stadt lief.

      Er sah gelbe und grüne Zelte, in denen mal Gaukler und mal Heiler, mal Baumfäller und mal Schneider ihre Dienste anboten. Und in den Seitengassen ging es mit der Geschäftigkeit genau so weiter. Irgendwo spielte jemand Harfe. Thariel erhaschte einen Blick in eine Straße, in der es statt Zelten richtige Läden gab und Goldhändler ihre Türen mit falschem Gold bestrichen hatten und an Tischen voller Münzen auf Kunden warteten. Zwei Händler in blauen Mänteln standen beieinander und unterhielten sich leise. Nur eine Straße weiter zeigte sich ein vollkommen anderes Bild. Hier gab es kleine Läden, die Obst und Gemüse anpriesen. War es bei den Goldhändlern sauber und leise zugegangen, schrien hier die Verkäufer ihre Angebote heraus


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