Irren ist göttlich. Daniel Sand

Irren ist göttlich - Daniel Sand


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Nelson ließ ein Messer an seinem Gürtel aufblitzen, was Thariel nur noch mehr ins Schwitzen brachte.

      »Ich hatte damals mein Dorf verlassen und traf die Königin am Brunnen«, gelang ihm mit unendlich viel Mühe ein erster Satz.

      »Was für ein Brunnen?«

      »Dorfbrunnen«, antwortete Thariel, wobei es selbst mehr wie eine Frage klang.

      »Wenn du sie am Dorfbrunnen triffst, warum dann außerhalb des Dorfes?«

      »Äh«, grübelte Thariel unter den finsteren Blicken seines Zuhörers, »genau das fragten sich die Dorfbewohner auch, ist ja auch wirklich ungewöhnlich.«

      »Und dann?« Nichtadmiral Nelson wurde immer ungeduldiger.

      »Wir sprachen am Brunnen und die Königin schöpfte Wasser und ich schöpfte Wasser und … und … die Königin pflückte Blumen auf der Wiese und …«

      »Ich dachte, sie schöpfte Wasser aus dem Brunnen!«

      Nichtadmiral Nelson sprang auf und ließ den Dolch zwischen den Fingern tanzen: »Ich weiß nicht, was du hier für ein Spiel spielst, Glückspilz, aber ich spiele da nicht mit. Sage mir jetzt, was die Königin tat, schöpfte sie Wasser oder pflückte sie Blumen? Und lüge mich nicht an, Glückspilz, lüge mich nicht an!«

      Das Messer drückte leicht gegen Thariels Hals, bevor es Nichtadmiral Nelson wieder absetzte.

      »Wasser«, rief Thariel, vergaß aber in der Hektik sofort, was er gerade gerufen hatte und hoffte, dass es Blumen war, »sie hat Blumen gepflückt und ich kam zum Brunnen … «

      »Lügner!«, brüllte Nichtadmiral Nelson und holte mit dem Dolch aus. Bevor er jedoch zustechen konnte, gab es eine heftige Erschütterung. Das Schiff hatte in voller Fahrt das steinige Riff gerammt. Nichtadmiral Nelson wurde durch die Luft geschleudert und wäre beinahe über die Reling gestürzt. Thariel hatte sich mit aller Kraft an der großen Truhe festgehalten, die sich beim Zusammenstoß nicht bewegt hatte. Der erste Teil seines Plans hatte funktioniert, doch jetzt musste alles schnell gehen. Nicht nur, weil das Schiff sich schon zur Seite neigte und Blumen durch mehrere Risse eindrangen, was das Versinken noch beschleunigte. Sondern auch, weil Nichtadmiral Nelson sich fluchend aufrichtete und in Thariels Richtung torkelte. Thariel schob mit viel Mühe den Deckel von der Truhe und hob das O-Boot heraus.

      »Wag es nicht, Glückspilz!«, brüllte Nichtadmiral Nelson, aber es war zu spät. Thariel warf die Rotorblätter an und hob in dem Moment ab, als das Schiff endgültig vom gierigen Blumenmeer in die Tiefe gerissen wurde.

      Das O-Boot schleuderte Thariel mehr durch die Luft, als dass es flog. Wie ein verwundetes Zweihorn, das seinen Reiter abwerfen will. Himmel und Erde wechselten mehrmals die Positionen und für einen Moment konnte Thariel sehen, wie nur noch der Rumpf des Schiffes aus dem Blumenmeer ragte. Ganz vorne stand Nichtadmiral Nelson und brüllte in die Höhe: »Ich sagte doch, dass du ein Glückspilz bist!« Er schien zu grinsen, auch wenn er beim Sturz mehrere Holzzähne eingebüßt hatte, wie Thariel bemerkte.

      Dann fassten Rosen, Nelken, Gladiolen, Orchideen, Tulpen, Maiglöckchen, Enzian und Tulpen erst nach seinen Beinen, dann nach dem Oberkörper und schließlich verschluckten die Blumenwellen ihn ganz und gar.

      HATSCHI! HATSCHI!, war das Letzte, was Thariel von Nichtadmiral Nelson hörte.

      Aber auch seine Reise sollte bald vorbei sein, denn das O-Boot ließ sich kaum steuern. Es flog mal hierhin und mal dorthin. Die Rotoren ächzten unter der Last des Reisenden und mehrere entsetzliche Augenblicke lang schien es so, als ob es hinaus aufs offene Blumenmeer fliegen würde, bevor es Thariel irgendwie gelang, die Richtung zu korrigieren. Der Wind zerrte an seinen Kleidern und kniff ihm in die Wangen. Mehrmals kippte das Fluggerät um, so dass Thariel mit dem Rücken zum Erdboden dahinraste. Plötzlich kippte die Welt zur Seite und Thariel stürzte in ein blaues Nichts hinein. Es dauerte einige Augenblicke, bis er begriff, dass das O-Boot senkrecht in die Höhe schoss. Als er unter sich schaute, wirkten die Wälder und Felder unwirklich klein, wurden aber mit rasendem Tempo größer und größer, weil Thariel erneut zu lange brauchte um zu merken, dass das O-Boot jetzt senkrecht nach unten stürzte. Mit einem lauten Knall riss ein Stofftuch auf der linken Seite, wodurch der Flügel unbrauchbar wurde.

      Thariels Fluggerät begann um sich selbst zu rotieren und drohte wie ein Pfeil ungebremst abzustürzen. Aus Wäldern wurden Wipfel wurden Bäume wurden Vogelnester. Thariel konnte darin die Eier sehen, die gerade ausgebrütet wurden, und dachte, das sei das letzte, was er in seinem Leben sehen würde. Dann riss ein heftiger Ostwind das O-Boot zur Seite fort und das beschädigte Fluggerät taumelte über die Baumwipfel hinweg. Für einen Moment erleichterte das Thariel, bis er sah, dass direkt dahinter ein hoher Turm folgte. Es war weit und breit das einzige Gebäude in einer friedlichen Landschaft, die aus sanften Hügeln bestand. Vermutlich wäre eine Notlandung auf ihnen nicht angenehm gewesen, aber auf jeden Fall machbar. Stattdessen raste das O-Boot mit erschreckender Geschwindigkeit auf den Turm zu. Ein sehr schmaler Turm, kaum der Rede wert in dieser offenen Landschaft, die sich zu allen Seiten hin großzügig ausbreitete. Nur noch wenige Meter bis zum Einschlag. Thariel spürte schon längst seine Arme und Beine nicht mehr, die während des Fluges ausgekühlt waren. Als wäre es eine bewährte Methode, hielt Thariel die Luft an, als sich der Aufprall nicht mehr vermeiden ließ. Doch wieder rettete ihn ein kräftiger Windstoß, der ihn links an der Mauer vorbei schob – nur damit ein weiterer Windstoß ihn auf Höhe der Quermauer von der Seite erwischte und doch noch mit aller Macht gegen den Turm schleuderte. Splitternd zerbrach das O-Boot in tausend Teile und Thariel fiel in die Tiefe.

      Zu seiner Überraschung überstand er den Sturz. Eigentlich ging es ihm sogar recht gut, er schien weich gelandet zu sein. Allerdings brüllte jemand wie verrückt, was ihn irritierte und in den Ohren schmerzte. Er sah auch niemanden, als er sich umschaute. Um das Geschrei zu dämpfen, hielt er sich die Ohren zu. Er wusste nicht, wie lange er so dalag, bis sich ein Schatten über ihn legte. Eigentlich sogar zwei Schatten. Sie gehörten zu einem Mann und einer Frau in grünen Uniformen, die beide einen seltsam genervten Gesichtsausdruck hatten.

      »Hörst du endlich auf zu schreien!«, fuhr ihn die Frau an, deren rote Haare gut zum grünen Umhang passten.

      »Unmöglich, so ein Verhalten«, ärgerte sich auch der Mann, dessen schwarze Locken bis auf die Schultern fielen. Thariel verstand nicht, was sie meinten, bis sich die Frau zu ihm hinunter beugte und sein Kinn nach oben schob. Sofort hörte das Schreien auf.

      Verlegen starrte Thariel an den beiden vorbei und hoffte, dass sie sich auf diese Weise in Luft auflösen würden.

      »Ich heiße Sinah«, sagte die Frau, bei der Thariel erst jetzt auffiel, dass sie eine Armbrust auf ihn gerichtet hielt, »und das ist Tam«. Sie deutete auf den Mann, dessen gezücktes Schwert er zuvor auch übersehen hatte.

      »Wir sind die Turmwärter, wer bist du?«

      Thariel erzählte, wie es ihn bis hierher verschlagen hatte.

      »Und wegen deinem Fluch willst du nach Mammama?«, fasste Sina zusammen, während sie ihn weiter mit der Waffe fixierte.

      »Ja, ist es noch weit?«

      »Nein, eigentlich nicht.«

      »Eigentlich?«, meinte er, weil er mittlerweile misstrauisch reagierte, wenn etwas einfach nur zu funktionieren versprach, ganz ohne Intrigen und Fallen.

      »Vergiss das eigentlich«, meinte der Mann und hielt das Schwert einsatzbereit in der Hand, »du musst einfach geradeaus laufen. Du bist schon fast da.«

      »Fast?«, hakte Thariel wieder nach.

      »Naja, du bist halt noch nicht ganz da, aber auch nicht mehr weit weg, also fast da«, meinte der Turmwärter. Thariel schaute ihn skeptisch an, beließ es aber dabei.

      »Gut, dann«, meinte er vorsichtig und wendete sich zum Gehen, »mache ich mich mal auf den Weg.«

      Er hatte den beiden den Rücken zugekehrt und lief geradeaus durch die sanfte Hügellandschaft. Er wusste, dass die Wächterin mit der Armbrust auf ihn zielte.

      Er


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