Jagd mit Freunden. Udo Lau
Stieg“ – sein wahrer Züchtername, war die logische Konsequenz meiner späten jagdlichen Passion. Jagd ohne Hund ist Schund und Familie ohne Hund ist unvollständig. Dazu noch ein Leben auf dem Lande, drei Kinder, deren Tierliebe hätte längst erfüllt werden müssen und ein Haus und Grundstück, das groß genug für einen weiteren Zuwachs war.
Die Entscheidung fiel schnell. Der Name Fussel war die selbstverständliche Fortsetzung einer Vornamensserie unserer Kinder: Fendina, Friederike und Florens…also Fussel, so hatte auch mein Freund Rudi seinen ersten Dackel genannt.
Fussel war ein Bild von einem Rauhaardackel und sofort der Liebling der Familie. Mit all seinen liebevollen Eigenschaften aber auch mit seinem sturen Kopf stellte er an mich die höchsten Herausforderungen an Appell, Erziehung und jagdlicher Ausbildung. Die größte Schwierigkeit bestand in dem Spagat, familiäre Regeln und Hausordnung mit jagdlicher Führung zu vereinbaren. Diese beiden Aufgaben waren für Hund und Herrchen gleichermaßen schwer zu lösen. Wir gaben uns die größte Mühe.
Zwei Beispiele mögen für zahlreiche spannende und kuriose Geschichten stehen, die unsere Freundschaft so einzigartig gemacht haben.
Der erste Winter, den Fussel als Welpe erlebte, war noch ein Winter mit Schnee und Eis, Schneeballschlachten und Schlittenfahren und Fussel und die Kinder mittendrin. Einen solchen Wintertag verbrachten wir zu fünft im Lichtenhagener Revier, die drei Kinder, Fussel und ich. Dabei verband ich das Nützliche mit dem Spielerischen, zog die Kinder auf dem Schlitten mit dem Auto hinter mir her und beschickte die Kirrungen und kontrollierte das Revier. Fussel lief fröhlich nebenher und schnüffelte neugierig alles ab, was ihn interessierte.
Ganz am Ende dieser Runde, schon fast wieder auf dem Weg nach Haus war Fussel plötzlich verschwunden. Ich hörte nur noch in der Ferne sein helles Jiff und Jaff. Ohne große Sorge warteten wir auf seine Rückkehr und freuten uns schon auf die warme Stube. Doch Fussel kam nicht. Weder mein Rufen, noch die Pfeife brachten ihn zurück.
Unsere Unruhe wuchs von Minute zu Minute und die Kinder fingen an zu frieren. Ihre Angst um den armen kleinen Hund rührte auch mein Herz, allein Fussel blieb verschwunden. Inzwischen wurde es dämmrig und ich musste irgendetwas machen.
Also stellte ich den Schlitten an die Stelle, an der Fussel zuletzt im Unterholz verschwunden war, legte meinen Rucksack darunter und eine Decke obendrauf und fuhr mit den Kindern zurück ins Dorf. Angesichts der heulenden Kinder, des verlorenen Hundes und meiner schuldbewussten Miene brach ein mütterliches Donnerwetter über mich her, das sich gewaschen hatte.
Sesamstrasse geriet zur Nebensache, das Abendbrot in Vergessenheit und die einzige Frage war, wann fahre ich hoch um nachzuschauen was los ist. Keiner wollte mit, aber ich sollte es ja nicht wagen, ohne den Hund zurückzukommen. Zugegeben, mir ging`s auch nicht gut, aber ich hatte ja Schuld.
Die sieben Minuten Autofahrt ins Revier waren ein Martyrium und die letzte Kurve bis zum Schlitten eine Qual. Die Scheinwerfer erfassten den Schlitten und das helle Leuchten der Pupillen…von Fussel. Ein zentnerschwerer Felsen fiel mir vom Herzen. Da lag er auf meinem Rucksack, heftig mit der Rute klopfend und mit einem Blick, den ich nie vergessen werde: Freude, Dankbarkeit, Erleichterung und eine Riesenportion schlechtes Gewissen. Ich ließ ihn gar nicht wieder los und auf der Rückfahrt durfte er auf meinem Schoß sitzen und die Eiskugeln aus seinem Fell tauten langsam auf meine Hose. Ich war so froh. Aber noch glücklicher waren die Kinder. An diesem Abend hätten sie ihn am liebsten mit ins Bett genommen.
Es folgte eine intensive Ausbildung, deren Maßnahmen von professionellen Rüdemännern, den guten Ratschlägen meiner Jagdfreunde und selbst Hundebesitzer und der begleitenden Lektüre einschlägiger Fachliteratur auf das Beste unterstützt wurden. Vom einfachen Appell bis zu jagdlichen Übungen auf der Schweißfährte, vom Totverbellen des erlegten Wildes bis zu Wachhundpflichten auf unserem Grundstück, alles wurde geübt. Das Apportieren eines schwachen Überläufers oder einer Flugente aus dem Teich habe ich ihm erspart…dafür hatte er aber auch strengstes Verbot bei der Baujagd, ein Versprechen gegenüber der Familie.
Nun, seinen zweiten großen Auftritt hatte Fussel erneut bei einem winterlichen Spaziergang, den ich mit meinen engsten Jagdfreunden im tiefverschneiten Revier unseres Oberförsters Klaus machte. Vier Hunde vier Rüdemänner, ein sonniger Adventvormittag und beste Stimmung und Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest.
Mein grundguter Rauhaar war der jüngste, kleinste und unerfahrenste aller vier Jagdbegleiter und deshalb auch der größten Kritik und Skepsis aller Freunde ausgesetzt. Mancher verstieg sich sogar zu der missbilligenden Äußerung, der Hund sei nicht einmal zweihundert DM wert. Das verletzte mich zutiefst, auch wenn es im Spaß gemeint war.
Wortlos ließ ich Fussel ablegen und ging ohne Kommentar weiter. Nach mehr als hundert Meter schauten sich die anderen um und blickten mich fragend an, er lag noch auf der Stelle. Ein kurzer Ruf von mir und Fussel kam heran und legte sich bei Fuß ab. „Zufall“, höhnten die Freunde.
Ich wiederholte die Übung. Diesmal auf eine längere Distanz und in einer Kurve, sodass wir keine Blickverbindung mehr zum Hund hatten. Er kam erneut brav heran, diesmal auf Pfiff.
Das Erstaunen der Beobachter wechselte in leichte Ungläubigkeit. Noch immer sagte ich kein Wort und ließ Fussel zum dritten Mal ablegen und dieses Mal auf eine noch größere Entfernung, wieder ohne Blickkontakt. Dann forderte ich Rudi auf, den Hund heranzupfeifen, was er auch mit großer Erwartung tat. Jedoch, der Hund kam nicht! Spöttisch grinsend quittierte er den von ihm erwarteten Misserfolg mit der Bemerkung:“ Sage ich doch!“
„Nein“, konterte ich, „er hört nur nicht auf deinen Pfiff, versuch`s noch mal!“ Fussel kam nicht. Fassungslose Verwunderung ergriff die Truppe. Dann mein Pfiff. Nach wenigen Augenblicken sahen wir ihn mit wehenden Ohren um die Ecke kommen.
Ich werde diesen Anblick nie vergessen…die kleinen Eiskugeln klimperten an seinem Fell und mein Stolz fand keinen Platz mehr in meiner Brust. Wie ein Wilder stürmte er auf uns zu, als die allgemeine Sprachlosigkeit von einem Satz durchbrochen wurde: „Der ist ja sein Zehnfaches wert!“
Und genau in diesem Augenblick wetzte er an uns vorbei und ließ mich wie angewurzelt und blamiert stehen.
Eineinhalb Tage war Fussel verschwunden, kein Rufen, Pfeifen, Suchen hatten Erfolg, er war wie vom Erdboden verschluckt. Weihnachten drohte zum Drama zu werden, die Familie lag in kollektivem Kummer. Da klingelte es an der Tür. Ein Bekannter aus dem Dorf hatte Fussel auf dem Arm. Im Wald hatte er ihn gefunden, unweit der Stelle, wo er seine Übung entrüstet abgebrochen hatte.
Fussel war wieder da, Weihnachten gerettet, aber eine solche Demonstration habe ich nie wiederholt, dafür war mir mein treuer Hund zu lieb und unbezahlbar.
EIN UNZERTRENNLICHES DUO
GALLOWAY
Dezember 1989
Es gibt Menschen in einem kleinen Dorf, deren Charisma so vielschichtig ist, dass man um eine Freundschaft mit ihnen gar nicht herum kommt. Besonders dann, wenn die persönlichen Schwerpunkte gemeinsame Berührungspunkte haben. So erging es mir mit Dieter, einem dörflichen Original, dessen Vita man durchaus als speziell beschreiben darf, schillernd, exzentrisch, bodenständig und für jede Überraschung gut.
Er wurde allgemein „Lappi“ genannt, war der Dachdecker im Dorf, hätte aber auch genauso gut Landwirt sein können und hatte mit seiner Vorliebe für Pferde die Neigung zum „Lonesome Rider“.
Unsere Gemeinsamkeiten bestanden nicht nur in jagdlichen Interessen, auch alles was mit Natur und rustikalen Einsätzen zu tun hatte, vereinte uns machte uns neugierig. Dazu gehörte auch die folgende Geschichte.
Natürlich lagen die Vorläufer im jagdlichen Bereich. Von Zeit zu Zeit versorgten wir uns gegenseitig mit Nahrungsmitteln. Dabei tauschten wir Wildbret gegen landwirtschaftliche Fleischprodukte, die im Verhältnis 1: 1 ihren Erleger bzw. Erzeuger wechselten. Die Produktpalette bei Dieter lag bei Schafen, Rindern und Hühnern, ich konnte mit Schwarz – und Rehwild am Stück seinen Bedarf decken.
So