Jagd mit Freunden. Udo Lau

Jagd mit Freunden - Udo Lau


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mir meine Situation nicht zu sein.

      Noch immer rechne ich fest damit, dass mich eines der Stücke gleich mitkriegt und sich der Rest von selbst erledigt. Stattdessen komme ich ebenso langsam aus der Kniebeuge wieder hoch, wie ich runtergegangen bin und bringe noch das Kunststück fertig, gleichzeitig den Drilling von der linken in die rechte Hand zu wechseln. Dabei suche ich mit prüfendem Blick ein geeignetes Stück vor mir aus. Es sind vier oder fünf Frischlinge, zwei Überläufer und die Bache.

      So unvergleichlich intensiv das Schwarzwild wittern kann, so wenig ausgeprägt ist ihre Sehschärfe, sonst hätten sie mich längst als Fremdkörper ihrer Rotte eingestuft und das Weite gesucht. So aber erlauben sie mir, mein verwegenes Tun fortzusetzen.

      Alle stehen sie auf diese kurze Entfernung ziemlich dicht zusammen und machen mir das Ansprechen und die Auswahl zusätzlich schwer. Erst als ich die Waffe tatsächlich schon in Schulterhöhe habe und mit dem rechten Daumen den Sicherungsknopf nach vorne schiebe, scheint die Sache ernst zu werden.

      Da rückt die Bache noch einmal zwei Meter nach vorn, jetzt kann ich sie bald streicheln. Wenn ich mich nicht beeile, läuft sie mich über den Haufen oder verwechselt mich mit einem rauschigen Keiler. Was für eine irre Situation!

      Durch das sechsfache Glas sehe ich fast nur Schwarz und muss mit dem Zielstachel weit nach rechts und links schwenken, bevor ich den Rand des Pulks ausmachen kann. Da löst sich ein einzelner Brocken und steht breit vor meiner Mündung. Jetzt oder nie, diese Geschichte glaubt mir ohnehin keiner. Kurz hinter dem Teller fasse ich ihn an und drücke ab.

      Mündungsblitz und Kugelschlag zerreißen die Luft und befördern mich wie von magischer Zauberhand aus dem Traum in die Wirklichkeit. Plötzlich stehe ich allein da als wäre nichts geschehen. Den Bruchteil einer Sekunde hatte ich befürchtet, von der Bache überrannt zu werden und stehe nun stocksteif da, für einen Augenblick wie versteinert.

      Da sehe ich vor mir einen dunklen Fleck, einer der auch liegen bleibt und keinen Mucks mehr tut, der Überläuferkeiler liegt mit knapp 50 kg.vor mir, na,also…geht doch.

      Dieser flachsige Gedanke beweist die enorme Anspannung, die mich in den letzten sechs Minuten beherrscht hat und sich jetzt in einer unbändigen Erleichterung breit macht.

      Wo ist der Freund, mit dem ich dieses Abenteuer teilen kann? In diesem Moment hätte ich gern jemanden an meiner Seite gehabt, dessen Verständnis und ungeteilte Freude mein Glücksgefühl verdoppelt hätte, ganz abgesehen von der ehrlichen Bestätigung dieses unglaublichen Geschehens.

      Langsam löst sich die Spannung und es gelingt mir mit staksigen Schritten zum erlegten Stück zu gehen. Sieben Schritte sind es nur…unglaublich! Stolz und innerlich noch immer aufgewühlt lege ich die Hand auf seine borstige Schwarte und spüre fast eine Verbundenheit mit ihm. Da fällt mein Blick wie zufällig hinter den Körper des Überläufers und erfasst eine breite Schweißfährte, die unter den Fichtenzweigen verschwindet. Sofort denke ich an den beschossenen Frischling, der sich ja wieder hochgemacht hat und geflüchtet ist…Als wäre das vor Stunden passiert, so verzerrt kommen mir die realen Zeitabläufe vor und so sehr hat mich das eben Erlebte noch in seiner Gewalt.

      Bei klarer Überlegung kann das aber gar nicht sein, die Fluchtrichtung des Frischlings war ja eine ganz andere. Tausend Gedanken wirbeln mir durch den Kopf. Ich muss mich erst einmal beruhigen und einen klaren Gedanken fassen. Ich folge der Schweißfährte in die Dickung und werde nach 15 Metern ein weiteres Mal überrascht: da liegt sauber gestreckt einer der Frischlinge… aber welcher? Eindeutig nicht der erste! Dieser muss beim Schuss auf den Überläufer direkt dahinter gestanden haben und die gleiche Kugel erwischt haben, unglaublich.

      Solche versehentlichen „Paketschüsse“ kommen beim Schwarzwild immer wieder mal vor, zumal dann, wenn eine Situation so ungewöhnlich ist und einen schnellen Ablauf provoziert. Mir wiederfuhr das nun zum ersten Mal und ausgerechnet heute, ohne freundschaftliche Unterstützung.

      Was war aber mit dem 1.Frischling passiert? Noch bevor ich mich um die beiden erlegten Stücke kümmerte, suchte ich dessen Anschuss. In dem inzwischen von der zweiten Rotte aufgewühltem Terrain war es gar nicht so einfach, die Stelle zu finden, an der ich mir eingebildet hatte, mit dem Glas von der Kanzel aus den Schweißfleck gesehen zu haben. Aber dann fand ich einige Spritzer, die unter dem Neuschnee und zwischen den gelben Maiskörnern kaum zu entdecken waren.

      Sicherheit aber gab mir erst der Fluchtweg links an den Zaun, das Torkeln zurück und der weitere Weg nach oben in die „Sackgasse“. Soweit verfolgte ich das Fährtenbild und brach dann ab in der Überzeugung, morgen früh bei einer geordneten Nachsuche das Stück zu finden. Heute hatte ich noch genug Arbeit mit den beiden gefundenen Stücken.

       ALLEIN GEGEN ALLE

      Weit nach Mitternacht lag ich im Bett, völlig erschöpft von der Versorgung und dem Transport der beiden Stücke, die ich mit Mühe in den Kofferraum bekam. Aber das Glücksgefühl und die große Freude über dieses einmalige Erlebnis verliehen mir ungeahnte Kräfte, ließen mich aber auch nur schwer in den Schlaf kommen.

      Ich erwischte Klaus am nächsten Morgen noch beim Frühstück. Er schaute mich ungläubig an, als ich ihm meine Geschichte erzählte. Wir kennen uns nun schon lange und haben wohl auch manches Jagdabenteuer geteilt, aber bei diesem Bubenstück wäre er gern dabei gewesen.

      Als ich ihn dann um seine Hilfe bei der Nachsuche bat, war er sofort bereit. Hatte er doch damit die Gelegenheit, wenigstens noch Zeuge bei einem Ausgang sein zu können, dessen Ende wir beide ja noch nicht wussten.

      Unsere beiden Rauhaardackel assistierten eifrig und erfolgreich. Nach fünf Minuten rief mein Freund das erlösende Waidmannsheil und der zweite Frischling lag auf der Strecke.

      Wir konnten nicht umhin, dieses ungewöhnliche Erlebnis bei einem zünftigen Frühschoppen in unserer Lieblingsgaststätte zum„Rippchentrail“ noch einmal in all Einzelheiten zu würdigen. An aufmerksamen Zuhörern aus der Familie hat es nicht gemangelt.

      SOLIDARGEMEINSCHAFT

      Oktober 1991

      Eine nach Österreich geplante Jagdreise auf Vermittlung eines Bundeswehr Jagdbekannten muss kurzfristig wegen Gamsblindheit in der dortigen Region abgesagt werden. Die vier Jagdfreunde Rudi, Klaus, Karl Heinz und ich sind tief betrübt, hatte sich die Vorfreude auf dieses Unternehmen doch schon über Monate aufgebaut. Umso größer die Enttäuschung über diese Nachricht und die Sorge, kurzfristig eine Ersatzlösung zu finden, denn es war ja alles vorbereitet, der Urlaub eingereicht, die Ehefrauen hatten ihr Einverständnis gegeben und die behördlichen Formalitäten waren erledigt. Was nun?

      Eine vielversprechende und rustikale Kleinanzeige in WILD und HUND machte uns aufmerksam und ließ uns nach kurzer Beratung zu dem Entschluss kommen, einen Anruf zu wagen. Die freundliche Stimme und die sofortige Zusage freier Plätze in einer urigen Jagdhütte überzeugte uns zu einer sofortigen Buchung…

      An einem Dienstag gebucht, am Mittwoch gefahren und am gleichen Abend am Ziel: Der „JAGDHOF SCHNOPFENDUDEL“ in der niederösterreichischen Bergwelt des idyllischen Ybbs Tal. Das war in der Tat eine schnelle und mutige Entscheidung, deren Tragweite und Folgen wir in keiner Weise abschätzen konnten…wir vier unerfahrenen kleinen Provinzjäger, deren Jagdmaßstäbe eher an regionalem Niederwild und vertrauten Sauenwechseln gemessen werden, als an devisenträchtiger Trophäenjagd. Der einzige und gemeinsame Wunsch und Hintergrund war die Neugier auf eine Berggams und der Ehrgeiz, ein solches Wild einmal zu erleben oder vielleicht auch zu erlegen. Da hatte jeder auch so seine ganz persönlichen Preisgrenzen.

      Nun, weder die noch überraschend freien Jagdplätze, noch der überaus herzliche Empfang und Begrüßungsenzian ließen Zweifel an der richtigen Entscheidung aufkommen, dieses Wagnis eingegangen zu sein.

      Auch die übersichtliche Gästeschar, deren gelangweilter Habitus unsere Ankunft mit eher beiläufigen Blicken quittierte, ließ keinerlei Argwohn aufkommen. Vielleicht hätte das Geschlechterverhältnis der korrekt in Lodengrün gewandeten Damen und Herren und die muntere Kindermeute eher auf einen


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