Jagd mit Freunden. Udo Lau
hatten uns noch nicht mitgekriegt und suchten nach der saftigsten Äsung, der Wind stand günstig.
Doch es war das vorsichtige Alttier, das als erstes zu uns rüber äugte. Jetzt galt höchste Alarmstufe und ja keine falsche Bewegung. Der Hirsch stand breit und die weißen Enden seines Geweihs machten einen gewaltigen Eindruck auf mich und flößten mir eine enorme Ehrfurcht ein.
Das Bild schien mich zu hypnotisieren und machte mich fast unfähig, die zwei Millimeter am Abzug zu vollziehen. Das Absehen des Glases indes Ruhte genau auf dem Punkt als der Schuss brach. Der Knall, der Mündungsblitz, das laute Brechen der flüchtenden Stücke im trockenen Unterholz, der gutturale Erlösungsschrei von Jani, mein Herzschlag im Ohr vermischten sich zu einer jagdlichen Symphonie elementarer Stärke und Ungläubigkeit.
Während ich noch wie versteinert auf meinem Dreibein hockte und versuchte meine Gedanken zu sortieren, war Jani längst aufgesprungen, hinüber zur Waldkante gesprintet und im Unterholz des Steilhanges verschwunden. Das Flackern seiner Taschenlampe wurde immer schwächer und erlosch am Ende ganz.
Endlich hatte ich mein Bewusstsein wieder und folgte Jani bis an den Rand. Und entgegen seiner Praxis suchte ich zunächst erst einmal den Anschuss, um sicher zu sein, überhaupt getroffen zu haben. Doch bei der Entfernung sollte ein Fehlschuss eher unwahrscheinlich sein. Und richtig, der Anschuss war nicht zu übersehen: deutlicher Lungenschweiß auf den grünen Farnwedeln markierten den sicheren Treffer. Die Schweißfährte führte steil nach unten, dorthin wo ich auch Jani verschwinden sah.
Er kam mir bereits wieder entgegen und deutete mit aufgeregten Gesten und Handzeichen an, dass er die anderen um Hilfe holen wolle und verschwand ohne weitere Kommentare und ließ mich allein. Das war mir nur recht. So hatte ich Gelegenheit mich etwas zu sammeln und zu überlegen, was als nächstes zu tun sein.
Schusszeichen und die deutliche Schweißfährte konnten den Hirsch nicht mehr allzu weit kommen lassen. Also fasste ich mir ein Herz und wagte es allein, der Spur zu folgen. Die starke Taschenlampe half mir dabei, den steilen Hang und das dichte Dornengestrüpp mit dem armdicken Trockenholz zu bewältigen. Kurz vor Erreichen der Talsohle sah ich ihn vor mir…meinen ersten Hirsch! Er hatte sich vor seinem letzten Schnaufer mit seinem Geweih an einem Eschenstamm verhakt und war Gott Dank nicht noch weiter abgerutscht. Es war ein gerader Zehnerhirsch, mir kam er vor wie eine Goldmedaillentrophäe, so stolz war mein Empfinden.
Die kurzen Augenblicke der einsamen Besinnung an dem erlegten Stück taten mir gut, sie fokussierten meine Gefühle auf das Wesentliche: die Jagd mit Freunden.
Da hörte ich sie auch schon oben am Hang aufgeregt reden und rufen. Mit der Taschenlampe gab ich ihnen ein Signal wo ich steckte, und dann stolperten sie auch herunter und umringten mich mit herzlichem Waidmannsheil, Schulterklopfen und Glückwünschen für das erfolgreiche Ende eines „langen Tages Reise in die Nacht“.
Die Bergung des Hirsches mit seinen rund 150 kg. gestaltete sich als außerordentlich anstrengend und Schweißtreibend. Auf dem fast senkrechten Hang fanden wir kaum Halt. Mit sechs Mann, Seilen und vereinten Kräften hatten wir Mühe, die drei Zentner schwere Beute die 150 m. bis zur Kante hochzuziehen. Immer wieder rutschte der schwere Wildkörper auf den glatten Wechseln ein gerade geschafftes Stück zurück und verdoppelte die Anstrengungen. Alle waren in Schweiß gebadet und die Hemden klebten nass am Körper.
Endlich hatten wir es gemeinsam geschafft und der Hirsch lag im Subaru und konnte zur Hütte transportiert werden.
Was dort geschah, lässt sich nur mit der eingespielten Praxis verschworener Wilddiebe und ihrem Sinn für elementare Überlebensstrategien erklären…so schnell, geschickt und heimlich habe ich noch nie ein so mächtiges Tier von der Wildbahn in einem Kühlkeller verschwinden sehen! Aufgebrochen, aus der Decke geschlagen und zerwirkt und sauber portioniert verschwand das Stück im schwarzen Untergrund ungarischer Beutegreifer und wurde allenfalls mit einem verschmitzten Lächeln quittiert .So geht Jagd im sozialistischem Osten.
Dafür war das abschließendes Horrido und Zechgelage umso intensiver und ließ uns keine Chance, unsere angeschlagene Kondition zu pflegen. Aber bei so viel ungarischer Fröhlichkeit und ansteckender Gastfreundschaft hatten wir keine andere Wahl als mitzumachen.
EIN UNGARISCHES HUSARENSTÜCK
In dieser Jagdhütte von Karlo Batschi verbrachten wir noch schöne Tage und feierten noch manche Sause. Das selbst zubereitete Goulasch, auch Pörkelt genannt, über offenem Feuer im Kessel am Dreibein zubereitet, die original Fischsuppe vom Meisterangler gewürzt, der selbst gekelterte Wein aus dem begehbaren in Löß gehauenen Keller gleich nebenan waren nur einige Höhepunkte ihrer Herzlichkeit und Freude.
Sie waren immer bemüht, uns jagdlichen Erfolg zu bescheren und uns alle Wünsche von den Augen abzulesen. Auch wenn die weitere Strecke übersichtlich blieb, ihr offenes Haus und unser Wohlfühlambiente, die Urigkeit der Jagd und ihre Ehrlichkeit bleiben die Eindrücke, die die vier Freunde aus Ungarn mitgenommen haben und sie schon ein Jahr später wiederholten… aber das ist eine andere Geschichte.
5 MAGYAREN UND EIN HIRSCH
ÜBERLISTET
März 1989
Schon einmal haben Klaus und ich den Anlauf genommen, uns der Fallenjagd zu widmen. Doch wenig Erfahrung und Halbherzigkeit brachten den Versuch schnell wieder zum Erliegen. Zu gering waren unsere Kenntnisse, zu kurz die Ausdauer, vor allem aber zu groß unsere Enttäuschung über die immer wieder mutwillig zerstörten Fangplätze. So gaben wir das Unternehmen auf, bevor es richtig angefangen hatte. Denn eins war uns klar, ein solches Vorhaben bedurfte absoluter Professionalität und größter Sorgfalt.
Viel später – fast zwei Jahre danach – brachte uns ein junger passionierter Jäger und Fallensteller wieder auf unsere alte Idee. Hans-Heinrich jagte im Groß Schneer Revier und hatte sich auf die Fallenjagd spezialisiert, stellte auch dort seine Eisen auf…und das mit großem Erfolg, wie er uns auf den gemeinsamen Treibjagden anschaulich und begeistert berichtete.
Mit dieser Begeisterung steckte er Klaus und mich erneut an und versprach uns mit großer Freude seine Hilfe bei der Einweisung und Handhabung, vor allem aber auch seine wertvolle Erfahrung mit uns zu teilen.
Für mich war diese anspruchsvolle Jagdart nicht nur eine Herausforderung, sie reizte auch meine Neugier und forderte meinen Ehrgeiz heraus. Außerdem steckte ein ganz persönlicher Eigennutz dahinter, der mich zu diesem Entschluss der Fallenjagd zwang: die Sicherheit für meine Familie und mich…
Die Erklärung war ebenso einfach wie verständlich: seit fast zwei Jahren trieb ein „Automarder“ auf unserem Grundstück sein Unwesen! Lange Zeit konnten wir uns die Vorfälle nicht erklären. Die häufigen Defekte an unseren Autos, die ständig notwendigen Reparaturen an Kabeln und Schläuchen und vor allem deren Folgen.
Viermal schlug der kleine Kerl zu: beim ersten Mal war es ein zerbissener Kabelbaum am „Kübel“, der den Jagdwagen für mehrere Tage außer Gefecht setzte, das zweite Mal brach die gesamte Elektrik beim Kadett zusammen, der dritte Schaden führte fast zu einem Unfall, als bei einem Bremsmanöver die Fußbremse nicht mehr reagierte und ich knapp einer Kollision entging. Der entscheidende Anstoß aber war ein durchbissener Benzinschlauch, der sich entzündete und den Audi 80 meines Vaters total ausbrennen ließ!
Immer standen die Wagen bei uns auf dem Hof oder in der offenen Garage. Unser Grundstück, das Fachwerkhaus, der bäuerliche Nachbarbetrieb mit Scheunen und Ställen waren die idealen Schlupfwinkel für die kleinen Räuber und Übeltäter. Ihre Spuren auf den Motorhauben und ihre Kothäufchen unübersehbar. Aber ein aufmerksamer und unermüdlicher Beweisträger war mein treuer Rauhaardackel Fussel. Seine Nase und sein Instinkt, seine jagdliche Passion auf all diese kleinen Räuber waren für mich Vorbild und Stolz zugleich; und ihm entgingen kein neuer Pass, keine Duftmarke und kein Wechsel. Wir beide bildeten ab sofort eine verschworene Jagdgemeinschaft auf einen gemeinsamen „Gefährder“.