Jagd mit Freunden. Udo Lau
Jägerlatein noch nichts gehört hätte, spätestens jetzt müsste jedem klar sein, diese Story kann keiner erfinden, die ist einfach nicht zu glauben…und doch entspricht sie der vollen Wahrheit, erzählt und meisterhaft inszeniert von einem Künstler der Dramaturgie, der sie selbst erlebt und seinen Freunden geschenkt hat. Danke Klaus.
Zum wahrhaft krönenden Abschluss holt er die beiden Birkhähne aus seinem Rucksack und gemeinsam bereiten wir ihnen ein würdiges Stillleben für ein Foto der ewigen jagdlichen Erinnerung an ein unvergessliches Abenteuer. HORRIDO!
EINE WAHRE GESCHICHTE
VATER UND SOHN
27. Dezember 1986
Über die Weihnachtstage lag Schnee, zum ersten Mal wieder seit über fünf Jahren…das schönste Geschenk für die Feiertage. Am meisten freuten sich die Kinder, aber auch die Großeltern schauten gedankenverloren den weißen Flocken nach, wie sie langsam den Garten, die Bäume und Beete mit einem Wattetuch zudeckten. Für mich ist eine „Weiße Weihnacht“ ohnehin ein Kindheitstraum voller Erinnerungen.
Die Familie ist versammelt. Von der Uromi bis zum jüngsten Enkel, von den Eltern bis zu den Großeltern haben wir zusammen Weihnachten gefeiert, so wie in jedem Jahr. Mit allen liebgewonnenen Traditionen und kleinen Überraschungen, mit Kirchenglocken und Weihnachtsgans, Tannenbaum und echten Kerzen trotz Rauhaardackel und Kindertoben. So soll Weihnachten sein, und so liebt es die ganze Familie…und ganz besonders mit Schnee!
Otto – mein Vater - drängelte schon am 2. Weihnachtstag, mit mir raus ins Revier zu fahren. Am drauffolgenden Tag konnte ich ihn nicht mehr halten, denn auch mir war nach kalter, frischer Luft und einem verschneiten Winterwald, so wie wir ihn in meiner Kindheit in Gerzen- einem kleinen Dorf in meiner ersten Heimat- oft zusammen erlebt haben.
Außerdem mussten die Kirrungen und Futterstellen für Sauen und Rehwild beschickt werden, auch wenn noch längst keine Not für die Tiere bestand. Mit Schlitten, Futtereimern und dem treuen Hund fuhren wir los. Normalerweise hätten sich die Kinder nicht abschütteln lassen; eine Schlittenfahrt an einem Seil hinter dem Auto war immer ein großes Gaudi und hat so manchen Purzelbaum verursacht. Nun, heute waren sie noch mit ihren Weihnachtsgeschenken beschäftigt.
Otto war mit 71 noch erstaunlich rüstig und ohnehin ein passionierter Waldgänger, von dem ich viel gelernt und sicherlich auch das Jagdgen geerbt habe, wenngleich er nie aktiv gejagt hat. Glücklich streiften also Vater und Sohnemann durch den inzwischen tiefverschneiten Wald und wunderten sich, dass alle Futterstellen ratzekahl abgeräumt waren. Also hatte sich der Einsatz doch gelohnt.
Derart zufrieden und glücklich machte ich meinem alten Herren auf der Rückfahrt ins Dorf den Vorschlag, mit mir heute Abend auf Sauansitz zu gehen. Als würde ein Funken ein loderndes Feuer entfachen, konnte er sich vor Begeisterung kaum auf seinem Sitz halten, das war ein Volltreffer, und sicher noch ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk für ihn.
MEINE TREUESTEN BEGLEITER
Wir hatten schon einmal im Sommer zusammen auf einen Bock angesessen -leider vergeblich – aber bei weitaus angenehmeren Temperaturen. Heute musste ich ihn gut einpacken, denn ein gesundheitliches Risiko wollten wir nicht eingehen.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit machten wir uns fertig: warme Klamotten, den Schlitten für einen eventuellen Abtransport der Beute, Gläser, Taschenlampen, Rucksack, Munition… und den Drilling. der eine ganz besondere Bedeutung hatte!
Vor drei Jahren, genau zu Weihnachten, schenkte mir mein Vater diese Waffe nachträglich zu meiner bestandenen Jägerprüfung mit den Worten, er wäre stolz darauf, dass ich seinen geheimen Traum von der Jagd nun verwirkliche und wünschte mir allzeit Waidmannsheil und eine sichere Hand.
Otto war ein vorsichtiger Mensch und hatte den Krieg in Russland nur überlebt, weil er vorausschauend und fürsorglich für sich und seine Kameraden dachte, plante und handelte. Später erzählte er mir von den Geschichten und überraschte mich immer wieder auf dem Schießstand unseres dörflichen Schützenvereins mit seiner Treffsicherheit und mancher erworbenen Ehrenscheibe.
Er wusste, wie sehr ich den Drilling hegte und pflegte und ihn wie meinen Augapfel hütete. Als ich ihm dann im Revier anbot, die Waffe zu tragen, spürte ich seine Ergriffenheit und seinen Stolz; diese Ehre wusste er zu würdigen und nahm sie dankbar an.
Die Kirchturmuhr des nahen Dorfes schlug gerade 18: 00 Uhr, als wir in den Pirschweg einbogen. Die Temperaturen waren leicht gestiegen und der Schnee knirschte nicht unter unseren Stiefeln, er knarschte leise und dämpfte unsere Schritte. Der Wind kam von Südwest und wehte uns sanft entgegen; der Mond stand kurz vor halb und versteckte sich noch hinter den Wolken.
Der Pirschpfad schlug einen kleinen Bogen bis zur „Saukanzel“ und dauerte höchstens sechs Minuten. Die Kanzel selbst bot genügend Platz für zwei Personen und war seniorengerecht eingerichtet. Also alles perfekt. Doch noch waren wir nicht da. Otto hielt sich in leichtem Abstand etwa acht Meter hinter mir und bemühte sich, meinen Schritt aufzunehmen, um möglichst wenig Geräusche zu machen.
Wir sind noch etwa fünfzig Schritt von der Kanzel entfernt, da sehe ich die dunklen Schatten bereits auf der kleinen Lichtung…drei, vier schwarze Gesellen stehen bereits munter im Gebräch und haben uns offensichtlich noch nicht mitbekommen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und gebe Otto nach hinten ein Zeichen, es auch zu tun. Leider versteht er es genau falsch und kommt mir entgegen. Die Schritte können die Sauen doch nicht überhören…
Heftig wiederhole ich mein Zeichen, da klappt es – Otto steht wie eine Säule. Den Blick auf die Sauen, den Arm nach hinten fordere ich den Drilling von ihm und gebe ihm erneut einen Wink, sich nicht von der Stelle zu rühren.
Durch das Glas spreche ich die Rotte an. Es sind die gleichen, die ich beim letzten Neumond gesehen habe, vielleicht ein Stück mehr? Wie angewurzelt bleibe ich stehen und weiß nicht so recht, was ich tun soll? Von meinem Standort aus sind Schuss – und Blickfeld zu klein, außerdem ist für den sicheren Schuss kein Baum zum Anstreichen in der Nähe. Andererseits könnte jeder weitere Schritt die Sauen aufmerksam machen oder ihnen unseren Wind zutragen.
Endlich entschließe ich mich doch noch ein paar Meter nach vorne zu kommen, in eine günstigere Position. Der Schnee scheint wie Donner unter meinen Sohlen zu dröhnen, da habe ich den richtigen Baum erreicht. Otto steht noch am gleichen Fleck, die Sauen Gott sei Dank auch.
Ich nehme noch einmal das Glas hoch, um sicher zu sein, welches Stück das richtige ist, da schiebt sich von rechts ein weiteres Stück aus der Dickung. Mir fällt der etwas schwerfällige und schleppende Gang auf; es ist nicht dieses kurze, stakkatoartige Trippeln eines Frischlings oder die respektgebietenden Bewegungen einer Baches oder eines alten Keilers, dieses Stück ist ganz offensichtlich krank und zieht einen Hinterlauf fast mühsam hinter sich her und hält sich von den anderen fern und gehört sicherlich nicht zum Familienverband. Ich tippe auf einen Überläufer, dessen Verhalten mir Rätsel aufgibt.
Das ganze Szenario spielt sich nun keine 30 bis 40 Schritt vor mir ab und dauerte bisher keine 2 Minuten, ich musste mich schnell entscheiden! Normal wären die Frischlinge zuerst dran, aber in diesem Fall…?
Ich mache die Waffe fertig und streiche an der armdicken Buche an, die ich mir ausgesucht hatte. Das Stück steht ruhig und breit; langsam fahre ich mit dem Zielstachel am linken Vorderlauf hoch, atme aus und drücke ab. Durch den grellen Mündungsblitz sehe ich das Stück gerade noch nach rechts in der Dickung verschwinden, zwei Frischlinge folgen ihm, der Rest der Rotte spritzt nach links weg, dann ist die Bühne leer! Nur das leise Knacken der flüchtenden Sauen und das hohe Sirren des Kugelknalls in den Ohren und dann die Ruhe und gleichzeitige Erkenntnis: kein schwarzer Fleck im weißen Schnee, keine Sau im Dampfe… verfluchte Tat, welche Enttäuschung!
Nicht schon wieder eine Nachsuche, um die ich meinen Freund Klaus bitten muss. Sein Försterjob und die vielen Ehrenämter halten ihn ohnehin