Jagd mit Freunden. Udo Lau
kurzen Worten deute ich an was geschehen ist und bitte ihn noch um einen Augenblick Geduld. Zum Anschuss und einer ersten Kontrolle gehe ich lieber allein.
Mit der Taschenlampe leuchte ich vorsichtig die Kirrung ab und taste mich langsam zum vermeintlichen Anschuss in der Hoffnung, dort irgendwelche verwertbaren Schusszeichen oder gar Schweiß zu finden. Doch so sehr ich auch meine Augen anstrenge und jeden Zentimeter untersuche, nichts, kein Schnitthaar, kein Schweiß, …nichts, so ein Mist! Dabei bin ich doch gut abgekommen! Ich erweitere meinen Suchradius, aber erfolglos. Die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschusses wurde immer größer und meine Enttäuschung auch. Armer Otto, so ein Pech auch für ihn. Meine letzte Handlung war es, den Strahl der Taschenlampe in jeden der vielen Wechsel zu lenken in der Hoffnung, dort den schwarzen Fleck zu entdecken – auch vergebens.
Gerade wollte ich die Suche enttäuscht abbrechen, da sehe ich einen schwachen roten Tupfer in dem aufgewühlten grauen Schnee – endlich, ein einziger, winziger Schweißtropfen, nicht größer als ein Fingernagel. Ein kleiner Jubel durchzuckt meinen Körper. Ich verbreche die Stelle mit einem Zweig, winke meinen Vater heran und zeige und erkläre ihm alles. Den Rest berichte ich ihm auf der Rückfahrt und kann seine aufgeregten Fragen gar nicht so schnell beantworten, wie er sie stellt.
Er hat für alles Verständnis, auch seine Enttäuschung, nun gar keine Sau gesehen zu haben, kann er fast verbergen.
Als hätte Diana unseren gemeinsamen Kummer gehört, macht sie uns doch noch ein unverhofftes Geschenk: auf der Fahrt zurück ins Dorf führt die Landstraße über den „Dreisch“, eine große Acker – und Wiesenfläche beiderseits der Straße, die ringsum vom Wald eingeschlossen ist…ein Eldorado für die Sauen zu jeder Jahreszeit und ein Magnet für alle anderen Wildarten, aber auch hoch Wildschaden gefährdet.
Und dort stehen, keine 30 Meter von der Fahrbahn entfernt, etwa 20 Sauen und buddeln unter dem Schnee nach nahrhafter Äsung. Sie lassen sich durch unser langsames Vorbeifahren in keiner Weise stören und Otto und ich sind beide fasziniert über diesen Anblick. Damit hatten wir nicht gerechnet. Erst als wir auf dem nahen Parkplatz wenden und nochmal zurückfahren, zieht die bunte Rotte in einem geordneten Schweinemarch in den Bestand zurück. Ein imposantes Bild in der nachweihnachtlichen Winterlandschaft und ein versöhnlicher Abschluss unseres aufregenden Jagdabends.
Am nächsten Morgen.
Ich hatte mit Klaus am Vorabend noch eine Nachsuche um 8: 30 Uhr vereinbart. Wir treffen uns pünktlich vor der Försterei: Otto, mit Rauhaardackel Fussel an der Leine, Karl Heinz, Jagdfreund und Nachbar, mit seinem Mischlingsrüden Tell, Klaus mit seinem erfahrenen Oberdackel Raudi und ich. Eine gemischte Truppe aus Erfahrung, Neugier und gutem Willen.
Das Wetter ist nass und ungemütlich, die Temperaturen sind weiter gestiegen und der Schnee ist matschig und beginnt zu tauen. Insgesamt schmuddelige Voraussetzungen.
Die Wagen lassen wir am Waldrand stehen und ich ziehe nur den kleinen Schlitten hinter mir her, immer noch in der leisen Hoffnung, darauf doch noch eine Beute abtransportieren zu können. Klaus und ich haben sicherheitshalber unsere Büchsen mitgenommen.
Am Anschuss wird alles noch einmal von Klaus und mir genau abgesucht, aber auch bei Tageslicht sehen wir nicht viel mehr als ich gestern Abend mit der Taschenlampe. Mir steigen Aufregung und Unruhe ins Blut, die Ungewissheit macht mich total kribbelig.
Endlich schnallt Klaus seinen Hund und lässt ihn frei suchen; sofort ist der Rüde auf der wahrscheinlichen Fluchtfährte in der Dickung verschwunden. Gespannt warten wir auf Geräusche oder Lautzeichen. Zwei Minuten vergehen unendlich langsam, aber nichts ist zu hören. Da entschließt sich Klaus dem Hund zu folgen. In seinem wasserdichten Nachsuchenoverall schlieft er in die bürstendichte Dickung ein und ist kurz darauf nicht mehr zu sehen. Und wieder entsteht ein ungeduldiges Warten.
Dann hören wir endlich die erlösenden Worte: „Sau tot – Waidmannsheil!“ Ein Fels fällt mir vom Herzen. Jetzt gibt`s kein Halten mehr. Ich mit Fussel voran, dann Karl Heinz mit Tell und Otto am Ende stolpern wir geduckt hinterher, den Spuren von Klaus folgend. Der nasse Schnee hat uns schnell durgeweicht.
Noch kann ich Klaus nicht sehen, da höre ich schon seine Stimme: „ Sag mal Udo, worauf hast du denn da geschossen!?“ Der vorwurfsvolle Unterton ist kaum zu überhören und fährt mir wie ein Blitz durch die Glieder. Um Himmels Willen, schießt es mir durch den Kopf, was ist passiert? Hast du etwa aus Versehen die Bache geschossen oder ein anderes unerlaubtes Stück?
In Sekundenschnelle kommen mir die schrecklichsten Gedanken und die Erinnerungen an den gestrigen Abend. Zwei bis drei Schritte weiter bringen mir die fürchterliche Gewissheit: da liegt ein Keiler – 2 bis 3 jährig – kein Zweifel!!
Klaus steht anklagend dahinter, sein Blick lässt mich fast in den Boden versinken: „Das gibt Ärger…!“ Eine minutenlange Strafpredigt könnte keine größere Wirkung erzielen als dieser einzige Satz. Ich bin erschüttert, von freudiger Erleichterung oder Erlösung über die erfolgreiche Nachsuche keine Spur.
Die anderen stehen triefend vor Nässe und genauso bedröppelt daneben, als Klaus sich über den Schwarzkittel beugt und erstaunt ausruft: „Moment mal…! „ Er hebt den linken Hinterlauf an und da sehen wir es alle: eine unterarmlange Schusswunde hat die Keule zerfetzt und den Knochen total freigelegt. Ohne Zweifel war das nicht mein Schuss, denn das Fleisch ist bereits bräunlichgrau verfärbt und die Wunde arg verbrandet.
Jetzt fallen mir auch wieder meine Beobachtungen vom Vorabend ein, die schleppenden Bewegungen und das Schonen des Hinterteils. Das Stück hatte eine alte Schussverletzung und quälte sich offensichtlich schon seit Tagen damit rum. Ein Wunder, dass es noch nicht verendet war, aber auch ein Beweis, wie hart diese Wildart ist.
Später erfuhr ich über Klaus, dass auf einer vorausgegangenen Drückjagd im Nachbarrevier eine Nachsuche auf ein beschossenes stärkeres Stück erfolglos abgebrochen wurde. Vermutlich war es dieser Keiler.
Aber in unserem Augenblick veränderte allein diese überraschende Erkenntnis eines Hegeabschusses die Sach – und Stimmungslage total. Ich hatte mit einem sauberen Kammerschuss den Bassen von seinen Leiden erlöst und damit seinen Qualen ein Ende bereitet. Mir fällt ein mittelgroßer Felsbrocken vom Herzen, auch wenn ein wenig Glück dabei war.
Als mir alle kräftig auf die Schulter klopfen, mir nochmals Waidmannsheil wünschen und auch Klaus mir freundlich und versöhnlich zuraunt „alles richtig gemacht!“, da beginnt sich auch bei mir die Freude einzustellen und mit großer Erleichterung mache ich mich an die Rote Arbeit.
Auch wenn es mit knapp sechzig Kilo kein übermäßig starkes Stück ist, so ist doch etwas mehr Masse dran, als bei einem Frischling.
Mit viel Mühen ziehen Karl Heinz und ich ihn aus der Dickung, die Hunde sind außer Rand und Band und giften sich wie die Berserker an.
Draußen auf der Lichtung überreicht mir Klaus den Bruch und in seiner freundlichen Ansprache klingt schon wieder der vertraute und scherzhafte Ton. Und als er bei alledem noch das einmalige „Vater – Sohn – Erlebnis“ würdigt, da bekommt Otto ein wenig feuchte Augen. Um alles in guter Erinnerung zu behalten werden reichlich Fotos gemacht, vom Stück und seiner alten Schusswunde, von den Rüdemännern und ihren treuen Hunden, dem strahlenden Erleger und vor allem vom stolzen Senior, der Zeuge wurde, wie sein Sohn seinen ersten Keiler erlegt.
EINE BESONDERE EHRUNG
TRÄUMEREIEN
September / Oktober 1988
Müde schwanke ich auf meinem Sitzstock hin und her, kaum fähig, die Augen aufzuhalten. Was soll das eigentlich hier, geht es mir matt durch den Kopf? Verzweifelt versuche ich wachzubleiben, dabei schaukelt mein Körper auf dem wackeligen Dreibein unruhig hin und her. Die Füße halten mühsam die Balance.
Neben mir – drei Schritt entfernt – sitzt Jani, ein kleiner wildaussehender Ungar mit blitzenden Augen und einem Rauschebart, der sein Gesicht fast verdeckt.
Wir beide kennen uns