Jagd mit Freunden. Udo Lau

Jagd mit Freunden - Udo Lau


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geräuschlos vorwärts kommen ließ. Während ich nur auf meinen Führer und den Waldboden achtete, sorgsam jedes Geräusch vermeidend, musste Frank noch das Rudel im Auge behalten. Inzwischen war es leicht dämmrig geworden und ich konnte von dem Wild schon kaum noch was sehen. Immer wieder pirschten wir uns 15 bis 20 Schritte vor, blieben stehen, sicherten und gingen langsam weiter. Hinter jedem Reiserhaufen konnten sie stehen und ich war erstaunt, dass er immer wieder sagte: „Sie sind noch da“.

      Ich musste mich ganz auf ihn verlassen. Inzwischen waren höchstens fünf Minuten vergangen, die mir endlos vorkamen. Plötzlich blieb Rübezahl entgegen dem Pirschrhythmus stehen, blickt schräg nach links vorn und sagte durch fast geschlossene Zähne: „Da, ein Schaf, schießen, sofort, freihändig!“ Mir blieb das Herz stehen!

      120 Schritt vor uns sichert ein Schaf direkt zu uns herüber; die inzwischen zugenommene Dämmerung lässt die Entfernung noch größer erscheinen, doch ich zögere keine Sekunde. Irgendwie ist mir klar, dass ich nur diese einzige Chance habe. Während der Drilling bereits an meiner Schulter liegt, suche ich mit den Füßen noch einen sicheren Stand. Jede Bewegung erfolgt ruhig und ohne Hast, dabei lasse ich das Stück nicht aus den Augen. Vielleicht habe ich noch drei Sekunden Zeit, bevor es seinen Warnpfiff abgibt, abspringt und das ganze Rudel auf und davon ist.

      Der Zielstachel saugt sich wie gezogen auf das Blatt, kein Wackeln, keine Nervosität…Schuss!

      „Nachladen, das Lamm!“, raunt er mir zu, das Glas nicht von den Augen nehmend. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, während ich bereits wie automatisch den Drilling erneut lade, was deutlich langsamer geht, als das Repetieren einer Büchse, dafür aber umso geräuschloser ist. Vielleicht waren es diese Automatismen, die mir die Ruhe für den zweiten Schuss gaben.

      Beide Detonationen noch in den Ohren, Franks „alle Achtung“ wie durch Watte dazu, überschlagen sich meine Gedanken wie eine Welle…getroffen, vorbei, krankgeschossen, Nachsuche? Alles wirbelt durcheinander, ebenso wie das Rudel, das jetzt Hals über Kopf in die angrenzende Dickung flüchtet.

      Nur „Muffel Frank“ schien ganz ruhig zu sein. Ohne Worte geht er den Rückeweg weiter, der etwa parallel zur Schussrichtung verläuft. Mein Blick wandert immer nach links, dorthin, wo ich den Anschuss vermute. Da sehe ich einen weißen Fleck, das Schaf! Im gleichen Moment hüpft mein Herz in die Höhe…es liegt, ich habe getroffen! Eilig gehen wir darauf zu und ich merke erst später sein verschmitztes Lächeln, so als wollte er sagen, …“na, das war doch klar!“

      Ich freue mich, als er bewundernd den Einschuss der Kugel kommentiert, besser hätte sie kaum sitzen können, welch ein Glück! Und als er dem Stück zur Altersbestimmung in den Äser greift und statt einer Zahnreihe nur noch den glatten Kiefer fühlt, da werden seine Freude und mein Stolz noch einmal dupliziert: ein Uraltschaf von ca. 15 Jahren, das den Winter nicht überlebt hätte. Wir können es beide nicht fassen.

      Fast vergessen wir das Lamm. Keine zehn Schritt entfernt lag es ebenfalls im Knall und rundet unser beider Glück so richtig ab.

      „Muffel Frank“ überreicht mir mit herzlichen Worten den Bruch, wir trinken Brüderschaft mit Bitterwurzen und sind hochzufrieden mit unseren Taten: er, weil er seinem sprichwörtlichen Widder-und Muffelinstinkt erneut gerecht geworden ist und ich, weil ich zwei so saubere Schüsse hingelegt habe, die mir selten wieder so gelungen sind.

      Abends gibt`s Hirschwickel mit Klößen, die übliche Sause in der „Bauernstube“ und eine Einladung für den letzten Abend bei der Familie Uhlmann.

      Bei der Frühpirsch am nächsten Morgen hatte ich noch einmal das Glück mit „Muffel Frank“ gehen zu dürfen. Die Ereignisse des Vorabends hatten schon eine große Befriedigung in mir ausgelöst, deshalb empfand ich diesen bewaffneten Spaziergang durch einen sonnendurchfluteten Herbstwald als einen willkommenen Abschluss einer wunderbaren Jagd mit meinem Freund Rudi, der mit seinem ersten Widder ja auch seinen glücklichen Erfolg hatte. Eine weitere Beute für mich kam mir gar nicht in den Sinn.

      So in Gedanken glücksseliger Zufriedenheit vertieft, laufe ich Frank fast in die Hacken, als er abrupt vor mir stehen bleibt und wortlos nach links vorne in einen schattigen Winkel lichteren Altholzes blickt. Ich folge seinem Blick und sehe nichts. Nur sein leichtes Kopfnicken lässt mich genauer hinschauen und da entdecke auch ich den weißen Muffelfleck, den Widder, seine Schnecken und das leise Raunen von Frank: „Einwachser, schießen!“

      Seine Aufforderung trifft mich wie ein Donnerschlag. Meint er das ernst? Seine Geste ist unmissverständlich. Ich wundere mich nur, dass der Widder sich nicht bewegt und auf achtzig Schritt neugierig zu uns rüber äugt…

      Der Drilling gleitet langsam von der Schulter, ich gehe wie in Trance in Anschlag, habe das Stück schnell drin und nehme mir nicht mal die Zeit, ihn einzustechen, als der gekrümmte Zeigfinger nur ein „Klick“ auslöst. Was ist das denn? Ein fragender Blick zwischen Frank und mir, ein erneutes Spannen der Waffe, zweiter Anschlag, das gleiche Geräusch: „Klick“. Ich fasse es nicht! Welch eine Blamage, welch eine Schande!

      Aber noch größer als meine Fassungslosigkeit ist die Tatsache, dass der Einwachser stehen bleibt und diesen ganzen Zirkus aushält. Unglaublich!! Während ich die Fehlpatrone aus dem Lauf nestele und eine neue einschiebe, bin ich mir sicher, dass da vorne nur eine Attrappe steht und mich zum Narren halten will. Der dritte Anschlag, diesmal steche ich ein, auf diese zwei Sekunden kommt`s jetzt auch nicht mehr an! Dann ist der Schuss endlich draußen und das Phantom verschwunden. Die Verwirrung ist komplett und meine Knie beginnen jetzt zu zittern.

      Frank hat das ganze Drama mit dem Doppelglas wortlos verfolgt und auch jetzt keinen Kommentar gegeben, nur eine erste von drei Zigaretten angesteckt und die Aufforderung an mich, ihm mal die defekte Patrone zu zeigen. Wir schauen sie uns an: ein deutlicher Abdruck des Schlagbolzens auf dem Zündhütchen… eine Fehlzündung!

      Seine Ruhe und Gelassenheit machen mich nervös. Er macht keinerlei Anzeichen, sich um den Widder, den Schuss oder dessen Folgen zu kümmern. Erst am Ende der dritten Zigarette klopft er mir auf die Schulter und fordert mich auf, ihm zu folgen. Nach hundert Metern stehen wir vor dem vierjährigen Einwachser, dessen Neugierde, Unerfahrenheit oder Leichtsinn ihm zum Opfer gefallen ist.

      Frank und ich können es beide nicht fassen, dass diese unglaubliche Situation wirklich passiert ist…aber es war so und hat ein paar Jagdtage im Erzgebirge zum Abschluss gebracht, die man getrost als „Rübezahls Wunder“ bezeichnen kann. Horrido

       …VERSTECKT

      HERBSTLAUB

      Oktober 1985

      Indianersommer im Bruch. Die Natur hat ihr buntestes Kleid angezogen. Die Farben prahlen um die Wette und die Sonne lässt sie leuchten, ein Schauspiel für die Augen. Man möchte an jeder Stelle innehalten und sich einfach nur erfreuen.

      Deswegen waren die herbstlichen Niederwildjagden auf Enten, Hasen und Fasanen, ein Erlebnis für die Sinne, ein Bad der Gefühle und ein Mekka der Traditionen.

      Dabei fing alles ganz klein an, zu viert: mit Rudi, Fivos, Erle und mir als blutigem Jungjäger, das Quartett der ersten Stunde, der Kern einer Freundschaft, deren gegenseitige Ergänzung einen geradezu legendären Kultstatus erreichte.

      Die oft mühsam erkämpften Wochenenden lagen mitten in unseren beruflichen Belastungsphasen, waren wichtig für das Abschalten und bedeuteten uns sehr viel. Allein ihr psychischer Erholungswert ersetzte eine ganze Urlaubswoche. Aber erst im vollgepackten Auto, wenn Fivos seine erste „Fume“ anzündete, und wir den Dunstkreis von Göttingen und unsere familiären Pflichten hinter uns gelassen hatten, entspannte sich das Trio, hatte Erle zu Rudi`s Füssen ihren Platz gefunden und ich unser Gefährt sicher auf die Autobahn und die nächsten 225 km. gesteuert.

      Wenn uns dann die Euphorie schon mal besonders packte, wurde hinter Hannover auf der B 6 die erste Flasche Herforder entkorkt und dem Fahrer fröhlich zugeprostet.

      Bis ins Revier hatte jeder Streckenabschnitt sein besonderes Ritual und steigerte sich bis zu einem lauten Juchzer, wenn die Hütte


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