STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3). Raymond Benson

STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3) - Raymond Benson


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verriet mir, dass Chinatown noch nicht zum letzten Mal von der Black Stiletto gehört haben dürfte.

      6| Judys Tagebuch 1960

      

       4. Februar

      Ich habe bisher nichts niedergeschrieben, weil es bis zum heutigen Abend nichts zu erzählen gab. Die letzten Wochen lief alles wie gewohnt – ich leitete das Gym, besuchte Freddie und brachte meinen Körper wieder in Ordnung. Freddie geht es besser. Er ist sehr ungeduldig. Er fühlt sich wieder gesund und will das Krankenhaus verlassen, aber der Arzt will ihn noch zwei weitere Wochen dabehalten. Er fürchtet, dass Freddie es nicht langsam genug angehen wird, wenn er erst einmal im Gym zurück ist. Da stimme ich ihm zu. Freddie wird den Laden wieder übernehmen wollen. Aber er muss sich darüber im Klaren werden, dass sich die Dinge für ihn geändert haben.

      Die Stiletto kehrte zweimal nach Chinatown zurück. Ich wollte wirklich diesen Teenagerjungen wiederfinden, also beobachtete ich an zwei unterschiedlichen Nächten für ein paar Stunden das Restaurant und das Haus. Ich wäre beinahe erfroren, so kalt war es. In New York schneite es, und jetzt ist es ziemlich matschig. Nach ein paar Tagen waren die Straßen und Gehsteige voller schwarzem, eisigen Schneematsch, und es ist das reinste Chaos. Frischer Schnee ist immer ganz hübsch, aber dann verwandelt sich alles recht schnell in die reinste Pampe.

      Egal, heute war ich endlich erfolgreich. Aller guten Dinge sind drei! Ich traf Billy Shen Lee. Er verriet mir, dass man seinen Namen auf Chinesisch korrekterweise Lee Shen ausspricht. Sie nennen ihre Nachnamen zuerst. Sein Vorname lautet Shen und sein Nachname Lee, aber jeder außer seiner Mutter ruft ihn mit seinem amerikanischen Namen. In der Schule nennt er sich Billy, und so wollte er auch von mir genannt werden. Er ist fünfzehn Jahre alt und in der zehnten Klasse.

      Und so trug es sich zu: Ich zog mir mein Stiletto-Outfit an und huschte nach Chinatown. Dort ist es schwierig, weil so viele Leute auf den Straßen unterwegs sind. Es war erst 21 Uhr und ich ging daher ein ziemliches Risiko ein. Aber andererseits dachte ich mir, dass ich ihn viel später nicht mehr erwischen würde, denn er ist immerhin noch ein Kind. Bei meinem vorigen Besuch in Chinatown hatte ich ein gutes Versteck ausfindig machen können. Es ist so eine Art Alkoven in einem Haus, welches derzeit renoviert wird, mit einem Baugerüst davor, und befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Restaurants. Es lag nicht direkt gegenüber, aber der Winkel genügte, dass ich von dort aus den Laden sehen konnte. Wie bei den letzten beiden Malen, als ich dort war, kroch ich über eine große Sperrholzplatte in die Dunkelheit. Unentwegt liefen Menschen nur wenige Meter von mir entfernt vorüber, aber niemand sah mich. Dazu hätten sie schon direkt in die Dunkelheit sehen müssen. Und aufgrund des Baugerüsts, den Stapeln mit Sperrholzbrettern, dem Schnee und all dem konnte ich mir nicht vorstellen, dass das jemand tun würde. Ob mir kalt war? Aber so was von! Ich fing bereits an, mir zu sagen, dass ich komplett übergeschnappt sei, so etwas zu tun, und wollte schon aufbrechen, als er plötzlich auftauchte.

      Der Junge trat aus der Tür, die zu den Apartments führte. Er trug einen schweren Mantel und wandte sich zielgerichtet nach Süden. Er lief – auf der anderen Straßenseite – an meiner Position vorüber und immer weiter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte mir das nicht gut genug überlegt. Es waren immer noch Menschen auf der Straße. Ich konnte doch nicht einfach auf die Straße treten und rufen: »Hi, Kleiner, erinnerst du dich noch an mich?«

      Also saß ich da und beobachtete ihn. Ich beschloss, dass ich aufstehen und ihm folgen würde, wenn er um eine Ecke biegen und die Elizabeth Street verlassen würde. Aber das tat er nicht. Er lief in einen geöffneten Mini-Markt. Ein paar Minuten später tauchte er wieder auf, mit einer Einkaufstüte und ein paar Lebensmitteln darin. Ich spähte über die Straße, und siehe da – sie war praktisch leer! Als er auf der anderen Straßenseite auf meiner Höhe angekommen war, stand ich auf und zischte: »Psst! Hey, Kleiner!« Ich musste es zweimal sagen, bis er sich umdrehte. Ich trat aus den Schatten, damit er mich sehen konnte. Er blieb stehen und starrte mich an. Sein Mund stand offen. Ich winkte ihn zu mir herüber. Er zögerte, blickte sich in beide Richtungen um.

      »Komm schon, ich möchte mit dir reden«, rief ich mit unterdrückter Stimme.

      Schließlich tat er, worum ich ihn gebeten hatte. Der Junge näherte sich mir vorsichtig.

      »Hi«, sagte ich. »Erinnerst du dich an mich?«

      »Klar.« Seine Augen wurden immer größer. Er sah sich weiter um.

      »Mach dir keine Gedanken. Ist nicht weiter schlimm, wenn man uns sehen sollte.«

      »Ich darf nicht mit dir gesehen werden«, entgegnete er.

      »Wieso das denn?«

      »Wenn sie mich sehen, werden sie … ich muss gehen.«

      »Warte. Wer sind die?«

      »Es tut mir leid.«

      Er wollte weitergehen.

      »Warte bitte. Komm her, wir können uns hier ins Dunkel stellen. Und flüstern. Ich möchte nur für eine Sekunde mit dir reden. Ich verspreche es.«

      Zögerlich folgte er mir ins Dunkel. Ich lehnte mich gegen die Hauswand und deutete mit dem Kopf auf seine Tüte. »Was hast du da?«

      »Milch. Reis.« Er zuckte mit den Schultern.

      »Wie heißt du?«

      »Billy.«

      »Billy Lee?«

      Er nickte, und dann nannte er mir seinen vollen Namen. Billy Shen Lee. Ich sagte, dass man mich die Black Stiletto nannte.

      »Ich weiß«, erwiderte er.

      Dumm von mir.

      Dann fragte ich ihn über jene Nacht aus. Darüber, was dort vorgefallen war.

      Im Kern lautete seine Geschichte folgendermaßen: Das Restaurant gehörte seinem Vater und seinem Onkel (der Bruder seines Vaters), aber sie hatten sich Geld von der Tong geliehen und mussten zudem Schutzgelder bezahlen. In den letzten Monaten konnten sie die Tong jedoch nicht mehr bezahlen, weil Billys Onkel gesundheitliche Probleme bekommen hatte. Die Tong wurden ungeduldig und brachten die beiden um. Nun musste Billys Mutter das Restaurant wieder zurück an die Tong verkaufen.

      Ich hatte keine Ahnung, wer oder was diese Tong darstellen sollten. Billy erklärte mir, dass es sich dabei um eine Gruppe chinesischer Krimineller handelte.

      »Oh, so wie die Mafia?«

      Er nickte.

      Ich erzählte ihm, dass ich bereits mit der italienischen Mafia zu tun gehabt hatte und ihm und seiner Mutter vielleicht helfen könnte.

      Er schüttelte nervös den Kopf. »Du darfst dich nicht mit den Tong anlegen! Das ist viel zu gefährlich!«

      »Willst du denn nicht, dass sie für den Mord an deinem Vater und deinem Onkel zur Rechenschaft gezogen werden?«

      »Doch, aber es ist sinnlos. Selbst wenn man sie verhaftet, wird meine Mutter nicht gegen sie aussagen. Und mir wird sie es ebenfalls verbieten. Die Tong würden uns umbringen.«

      Es war immer wieder die gleiche alte Geschichte. Die chinesischen Gangster arbeiteten offenbar ganz genau so wie die italienischen. Wenn man nicht befolgte, was sie von einem verlangten, taten sie einem weh. Und wenn man sie verriet, brachten sie einen um.

      »Wie geht es dir und deiner Mutter?«, fragte ich.

      Er zuckte mit den Schultern und blickte zu Boden. »Ganz okay.« Es war offensichtlich, dass das nicht stimmte. »Ich muss gehen«, wiederholte er noch einmal.

      »Okay, aber hey, eine Frage habe ich noch.«

      »Was?«

      »Was war das für eine Kampftechnik, die du da benutzt hast? Die habe ich noch nie zuvor gesehen.«

      »Wir nennen sie Wushu

      »Das ist wie


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