STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3). Raymond Benson

STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3) - Raymond Benson


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habe ich auch für ein oder zwei Sekunden das Bewusstsein verloren, denn das Nächste, woran ich mich erinnere, war, dass die Frau wieder schrie. Ich blickte auf und traute meinen Augen kaum.

      Der Teenager kämpfte nun gegen die beiden Killer und er benutzte dabei dieselbe Technik wie seine Gegner. Die Frau, bei der es sich zweifellos um seine Mutter handelte, flehte ihn an, damit aufzuhören. Eine Übersetzung ihre Worte war nicht nötig. »Hör auf, sie bringen dich sonst um.«

      Benommen, etwas verletzt, und ja, ein wenig aus Mund und Nase blutend, zwang ich mich, aufzustehen. Ich hatte keine Ahnung, wie alt der Junge genau war, aber wenn mir ein vierzehn- oder fünfzehnjähriger Junge zu Hilfe geeilt war, dann würde ich bei Gott dasselbe auch für ihn tun!

      Also schloss ich mich dem Handgemenge an. Und der Junge war wirklich gut! Er stand seinen Mann. Ich erinnere mich noch, dass er an einem Punkt hinter einem Tisch stand, auf dem noch etwas schmutziges Geschirr herumstand. Der Junge packte die Tischdecke, zog daran und ließ sie so in die Luft wirbeln, dass die Teller wie Raketen auf Blauauge zurasten. Die Tischdecke breitete sich in der Luft aus und senkte sich wie ein Baldachin über den Kopf des Mannes herab. Auf diese Weise seiner Sicht beraubt, war er für einen kurzen Moment hilflos. Der Junge sah mich an und nickte mir zu. Ich war an der Reihe. Also deckte ich den von der Tischdecke eingehüllten Eindringling mit einer einfachen Dreierkombination aus amerikanischen Boxschlägen ein.

      Doch als ich für einen kurzen Moment nicht aufpasste, überwältigte mich Pockengesicht. Ich muss wohl noch von dem Kampf zuvor beeinträchtigt gewesen sein, denn ich hatte nicht bemerkt, dass er sich mir genähert hatte. Normalerweise konnte ich jeden Angriff vorhersehen, doch dieses Mal klappte es nicht. Etwas Hartes und Schweres traf mich seitlich am Kopf und der Lärm um mich herum erstarb. Es war, als hätte man mich unter Wasser gedrückt.

      Alles um mich herum verschwamm, dann tätschelte mir jemand sanft das Gesicht.

      »Lady! Lady!«

      Ich hob die Hand, damit er aufhörte. Ich sah immer noch verschwommen, wusste aber, dass es der Junge sein musste. Er kniete neben mir.

      Ich hörte seine Mutter wimmern. Drehte den Kopf. Sie hatte sich über die Leiche des älteren Mannes geworfen und jammerte kummervoll.

      Dann drang ein anderes, mir wohlbekanntes Geräusch in meine Ohren. Polizeisirenen, die sich schnell näherten.

      »Sie schnell gehen!«, sagte der Junge. Er hielt mir mein Stiletto entgegen.

      »Wohin?« Ich sah mich in dem Restaurant um.

      »Männer sind weg. Sie jetzt gehen! Schnell!«

      Ich nahm mein Messer und steckte es in die Scheide. Der Junge half mir auf. Mir tat alles weh.

      Liebes Tagebuch, wir haben das ganze Restaurant demoliert. Soweit ich mich erinnerte, standen hier mindestens zehn Tische, dazu eine Bar, ein Kassentresen und eine Schwingtür, die in die Küche führte. Als alles vorüber war, waren gerade noch drei Tische unberührt stehengeblieben.

      Ich deutete auf die Frau und den toten Mann. »Deine Mutter?«

      Der Junge nickte.

      »Dein Vater?«

      Er nickte wieder und seine Augen füllten sich mit Tränen. Dann wies er auf den anderen toten Mann. »Mein Onkel.«

      Die Sirenen wurden lauter und kamen immer näher.

      »Danke«, sagte er. »Jetzt Sie gehen!«

      Das musste er mir kein zweites Mal sagen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass man die Black Stiletto mit einem Doppelmord in Chinatown in Verbindung brachte.

      Also humpelte ich davon. Die eiskalte Luft traf mich wie ein Schlag, half aber dabei, meine Sinne wiederzubeleben. Ich riss mich zusammen und verschwand auf der Elizabeth nach Norden, hielt mich in den Schatten und schaffte es so sicher ins Gym zurück.

      4| Maggie

       Heute

      Die Arbeit im Woodlands-Pflegeheim umfasst nur einen kleinen Teil meiner Tätigkeit, aber von allen erfüllt sie mich wahrscheinlich am meisten. Ich besuche das Heim zweimal pro Woche und untersuche eine Reihe von Patienten, oder Bewohner, wie sie von dem Personal dort genannt werden. Ein Pflegeheim ist normalerweise die letzte Station für diese Menschen auf ihrem Weg durchs Leben. Niemand spricht es gern laut aus, aber dort gehen die Menschen hin, um zu sterben. Das Personal – und ich – versuchen, diese Erfahrung für sie so angenehm und komfortabel wie möglich zu gestalten. Bei jenen Patienten, denen noch etwas Zeit bleibt, behandle ich alle Arten von Erkrankungen. Demenz ist davon wahrscheinlich die Häufigste. Alzheimer ist eines meiner Spezialgebiete, obwohl ich zugeben muss, dass es eine Menge gibt, was ich oder wir noch nicht über diese Krankheit wissen. Es gibt Medikamente, mit denen sich die Begleiterscheinungen behandeln lassen, aber ein Heilmittel existiert bis zum heutigen Zeitpunkt nicht.

      Meine eigene Praxis befindet sich in Lincolnshire. Ich teile sie mir mit drei weiteren Ärzten, die alle auf Innere Medizin und Altenpflege spezialisiert sind. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie stolz ich war, als ich meinen Namen auf einer der Glastüren lesen konnte: »Margaret H. McDaniel, M.D.« Es war ein langer, steiniger Weg bis dorthin, und ich habe es geschafft, die Praxis seit zwölf Jahren am Laufen zu halten. Mit einunddreißig Jahren hatte ich sie eröffnet. Jetzt bin ich dreiundvierzig und ich kann mir ein anderes Leben nicht mehr vorstellen. Ich nehme meinen Beruf sehr ernst.

      Was meine Patienten betrifft, möchte ich gern so gewissenhaft wie nur möglich verfahren. Je mehr man über einen Patienten mit Alzheimer weiß, desto besser. Sie haben es hier mit dem kompletten Leben einer Person zu tun. Und damit meine ich Erinnerungen. Wir alle nehmen unsere Erinnerungen als selbstverständlich hin, bis wir anfangen, sie zu verlieren. Deshalb kenne ich gern die komplette Lebensgeschichte eines Patienten, seine oder ihre Biografie, alles, was mir dabei helfen könnte, den Patienten dabei zu helfen, etwas von ihrer sehr flüchtig gewordenen Vergangenheit zu erhalten.

      Und deshalb bereitet mir der Fall von Judy Talbot solche Kopfzerbrechen.

      Judy – ich rede meine Alzheimer-Patienten gern mit dem Vornamen an, weil es mir so leichter fällt, mit ihnen zu kommunizieren – lebte bereits im Woodlands, als ich dort anfing. Sie ist dreiundsiebzig Jahre alt, doch ihr Zustand lässt sie älter wirken. In ihrem Fall begann die Erkrankung unverhofft und schnell. Nach nur wenigen Jahren befand sie sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, während es bei den meisten Patienten sechs bis zehn Jahre dauert, um von ersten leichten Symptomen über moderate Probleme bis zu jenem Stadium zu gelangen. Ihr Fall ist nicht ungewöhnlich, nur nicht allzu häufig anzutreffen. Im Moment ist Judy noch in der Lage, sich verständlich zu machen, auch wenn es ihr oft schwerfällt, sich an die richtigen Worte zu erinnern. Sie spricht nur das Allernötigste, meist gebräuchliche Redewendungen, die der Situation angemessen sind, wie »Danke«, »Ja«, »Nein«, »Das ist nett«, »Hallo« und »Auf Wiedersehen«. Ihr Langzeitgedächtnis scheint sie komplett verloren zu haben, auch wenn Martin mir erzählt, dass sie ihn gelegentlich mit ein oder zwei Sätzen überrascht, die sich auf irgendein Ereignis ihrer Vergangenheit beziehen. Judy zeigt keinerlei Anzeichen für Aggressionen, Wutausbrüche oder Umherirren. Sie hat auch noch keine abendliche Verwirrtheit gezeigt. Die Patientin ist damit zufrieden, dazusitzen und aus dem Fenster zu starren oder fernzusehen. Sie ist eine der ruhigsten Patientinnen mit Alzheimer, die ich je gesehen habe. Das Personal im Woodlands sorgt dafür, dass sie tägliche Spaziergänge durch die Flure unternimmt und hinaus in den Garten geht, wenn das Wetter schön ist. Früher muss Mrs. Talbot einmal sehr athletisch gewesen sein, denn ihr Muskeltonus ist für eine Frau ihres Alters und in ihrem Zustand höchst außergewöhnlich. Abgesehen von ihren Muskeln ist sie jedoch fürchterlich untergewichtig und daher dünn und zerbrechlich. Trotzdem überrascht sie das Personal immer wieder mit ihrer Stärke. Wie ich hörte, gab es vor meiner Zeit im Woodlands einen Zwischenfall, bei dem sie einen Mordverdächtigen mit einem Tritt in die Weichteile ausschaltete! Das hätte ich zu gern gesehen. Und seit ich diese Geschichte gehört habe, mache ich mir um die ganzen Narben und Wunden am Körper dieser Frau noch mehr Sorgen.


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