Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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alles vergebens, ganz allein bin ich auf dieser Welt geblieben, wie so'n einziger sündiger Finger ... ganz allein ...« »Hale, krieg' einer einmal ein Kind, wenn hundert Jahr vorüber sind.«

      »Ihr solltet nicht solches Zeug daherreden, Czerwinski, bin ich vielleicht nicht auch einmal jung gewesen, wie?«

      »Unser Herrgott ist in den Himmel, der Teufel ins Weib und die Säure ins Bier gefahren – nur weiss keiner, wann das gewesen ist! – merk' dir das, Frau, denn so hat es dir Czerwinski gesagt.«

      In der Ecke auf einer Lade sass ein junger Bursche, der Sohn des Dorforganisten, und vor ihm stand ein steinaltes Weiblein und murmelte mit gedämpfter, noch seltsam wohlklingender Stimme:

      »Sechsundsiebenzig Jahre lebe ich schon, junger Herr, – da habe ich weisse und schwarze und verschiedene andere Jahre gesehen. Ich habe bei Herrschaften gedient, die mit Hengsten fuhren, von silbernen Schüsselchen assen und auf Ausländisch miteinander redeten – und wo sind die jetzt! wo? Und im Gebetbuch kann ich lesen, und die erste Hofbäuerin war ich im ganzen Dorf, habe eigene Kinder gehabt und Hab und Gut bis an die Gurgel ... oh ... und alles ist vorübergegangen, verblichen wie die Sommersonne, die der Herr Jesus uns Sündigen zum Trost schenkt. Ich weiss alles, junger Herr, ich weiss, dass, ob Herrenleben oder Bauernleben, alles doch nichts anderes ist als schlimme Quälerei. Ich bin eine ganz einfache Bauersfrau, sechsundsiebenzig Jahre hab' ich auf dem Buckel – da hab' ich mir denn schon alles gut zurechtgelegt. Die Welt steht doch schon sechstausend Jahre, junger Herr?«

      »Fast sechstausend Jahre.«

      »Sehen der junge Herr, dass ich alles weiss, und darum denke ich so: wenn die Welt so viele tausend Jährchen ohne mich bestanden hat, und alles ist gut gegangen, warum musste ich da so viele Jahre leiden? Was hatte sie davon, die Welt?«

      »Na ja, was soll man tun, der liebe Gott hat einem das Leben gegeben, so ...«

      »Junger Herr,« unterbrach ihn die Alte rasch: »ich bin nur eine einfache Bauersfrau und der junge Herr ist ein Studierter, er kann auch auf der Orgel aufspielen, lateinisch mit dem geistlichen Vater singen und weiss richtig, wie er einen feinen und einen tiefen Ton singen soll, aber ich will's doch sagen: vielleicht sind meine Gedanken sündig, – aber ich sag' es doch: dass es gewiss der Teufel ist, der die Seelen in die Welt setzt, damit sie leiden sollen, damit sie im ärgsten Menschenelend sich auf der Welt so viele Jahre herumtreiben wie ich. Das ist nicht der liebe Gott, der das macht, wenn das auch in den Büchern steht und die Priester es sagen, nein. Was hätte der liebe Herr Jesus davon, dass sich so viel Volk abquälen, abmoracken muss und einfach zugrunde gehen soll? ... Der liebe Gott ist ein guter Herr und ein gerechter ... Nicht süss ist das Leben und nicht aus weichem Samt – es kratzt über einen wie mit dem Pferdestriegel, bis der Mensch sein eigen Herzblut von sich geben muss.«

      »Was Ihr bloss redet, Jagustynka, das ist doch Sünde ...«

      »Nur dem anderen Menschen Unrecht zu tun, ist Sünde, ich würde nicht einmal den Hund mit einem Stecken anrühren, denn es ist ein lebendiges Geschöpf und leidet dadurch. Junger Herr, eine einfache Bauersfrau bin ich nur, aber mein Herz ist wie eine Kohle ausgebrannt, durch all die Bitterkeit, die ich mein leblang für mich und für die anderen habe trinken müssen, und das weiss ich, dass der Teufel uns das Leben gegeben hat, aus Bosheit gegen den lieben Gott, damit sich die armen Leute in alle Ewigkeit in der Welt zugrunde richten, aber unser geliebter Jesusherr hat sich unser erbarmt: er hat den Bösen herumgekriegt und sucht sich so bei und bei die Menschen für seine Seligkeit aus – und einmal wird er sie alle herausgeholt haben. Ich wart nur bloss, bis die Knochenfrau kommt und mir sagen tut: komm her, Jagustynka! ... ich wart' bloss und bitte Gott, dass ich doch schnellstens die Augen schliessen könnte und keine Qual und kein Elend mehr sehen brauch', dass ich ausruhen darf, gründlich einmal ausruhen, junger Herr!« ...

      Sie reckte sich über den jungen Organistensohn, der eingenickt war, und neigte ihr dürres, von Alter und Sorge zerfurchtes Gesicht, und in den verblassten, vom vielen Weinen wie ausgelaugten Augen blitzten Tränen auf ... sie wischte sie rasch mit der Beiderwandschürze ab, seufzte leise auf und wandte sich Tomek zu, der für sich allein auf einer Lade sass mit seiner Schnapsflasche in der Hand.

      »Tomek! Dir sieht was Schlimmes aus den Augen,« murmelte sie und berührte sanft seine Schulter.

      »Was anderes als die Not? Wissen Mutter es nicht? ...«

      »Ich hab' so etwas gehört, aber die Leute reden allerhand durcheinander, man weiss nicht, was wahr und was ausgedacht ist.«

      »Sie haben mich verabschiedet,« murmelte er traurig.

      »Weswegen denn?«

      Aus ihrer Stimme klang besorgtes Mitgefühl.

      »Weswegen? ... weil man dem Aufseher hat immer was schenken müssen: im Herbst Gänse, zu Fastnacht Butter, ein Ferkel und Eier zu Ostern, dann wieder junge Hühnchen zu Pfingsten, – ich hab' ihm aber nichts hingetragen, wie das die anderen taten; wo sollte ich es denn hernehmen? Den Kindern konnte man kein Essen mehr geben – die Frau ist mir bei dem Elend zugrunde gegangen, die Kuh ist mir verreckt, und das auch nicht vor lauter gutem Leben; wie die Kartoffeln im vergangenen Jahr waren, wisst Ihr ja ... ich habe weniger herausgeholt als hineingesteckt. In Stücke gerissen hab' ich mich, aber helfen konnte man darum doch niemandem, weder der Frau noch sonst wem. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, im Dienst und zu Hause, das Elend hab' ich doch nicht rumkriegen können. Der Aufseher schimpfte nur immerzu auf mich ein – was sollt' ich ihm denn geben? mit der Faust eins zwischen die Rippen? Denn ich und die Kinder hatten doch selbst nichts zu beissen. Er trieb mich immerzu an und bewachte mich ganz niederträchtig aus lauter Bosheit, versteht Ihr. An den Streckenvorsteher hat er nur immerzu ›Laporten‹ geschrieben, dass ich frech bin und ein faules Wesen habe, dass ich im Dienst schlafe und den Eisenbahndamm nicht bewache, wie es sich gehört – und dann hat er auch gesagt, dass ich das Eisen aus dem Magazin gestohlen haben soll, und dass ...«

      »Hast du es genommen, Tomek? Sag' mir die reine Wahrheit, jetzt ist es ja doch ganz gleich, wie?«

      »Ich hab' es nicht genommen, Mutter, nein, das hab' ich nicht – dass ich hier auf der Stelle verreck' wie ein toller Hund! Ich sag' Euch die reine Wahrheit wie bei der heiligen Beichte; ich habe nie und nimmer gestohlen, die anderen Kameraden haben manches Mal sich etwas weggenommen, aber mein Vater haben nicht gestohlen, so wird auch der Sohn kein Dieb sein. Arm bin ich, aber ein Dieb bin ich darum doch nicht.«

      »Und darum haben sie dich davongejagt? Die Leute erzählen doch, dass sie bei dir das Eisen gefunden haben ...«

      »Versteht sich. Das ist so richtig wahr, nur dass ich es nicht dort hingebracht habe, wo sie es gefunden haben. Rafael sein Michal hat dem Aufseher fünfzig Rubel versprochen, wenn er ihn zum Bahnwärter macht, und da keine Stelle frei war, so hat er mir das Eisen untergeschoben und mich dann angezeigt. Sie haben revidiert bei mir, das Eisen gefunden und mich davongejagt. Alles ist umsonst gewesen, denn wenn ich auch wusste, wer das gemacht hat – einen Zeugen habe ich dafür doch nicht gehabt. Sechs Menschen sind ohne Brot geblieben. Zum Verdienen hat man keine Gelegenheit, zu essen gibt es nichts, zu leben hat man nichts, und wenn der barmherzige Herr Jesus nicht Hilfe schafft, dann ertrag' ich es nicht mehr, nein, dann ertrag' ich es nicht mehr!«

      »Oh, Menschenlos: das Weinen wird einem die Wangen zerfressen, die Seele sich vor Schmerz zusammenkrampfen wie ein Vöglein im argen Frost, aber Hilfe wird von nirgendwo kommen. Dummes Volk kann nur reden, dass es Gutes in der Welt gibt; jawohl, es gibt so viel Gutes, dass es einem zur Gurgel hinausfährt!« murmelte die Alte bitter.

      »Lass dich aber nicht unterkriegen, Tomek; auch den Bösen hat unser Herr Jesus besiegt, warum sollte nicht ein natürlicher Mensch unter Beihilfe der allerheiligsten Jungfrau mit der Not fertig werden?« versuchte sie ihn zu trösten; sie wandte sich darauf dem Schanktisch zu, kaufte zwei Reihen Semmeln und ein Quart Hirsegrütze und kehrte damit wieder zu ihm zurück.

      »Hier,


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