Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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kann ich nichts tun. Komme zur Messe, beichte deine Sünden, dann wird es dir leichter fallen, das Kreuz weiter zu tragen, das dem Herrn gefiel, dir aufzuerlegen.«

      Tomek blickte auf den Priester mit verblüfften Augen, ganz ratlos war er, was er darauf erwidern sollte, er bemerkte jetzt die Häuflein Kupfermünzen auf dem Tisch und fühlte einen Augenblick einen dunklen Drang, nach diesem Geld zu greifen und damit zu entfliehen, aber dieses ging sehr schnell vorüber, er rieb sich nur die Augen mit der Faust, seufzte tief und sagte:

      »Vielleicht könnten der geistliche Vater für mich ein Wort bei den Herren Beamten oder auch auf dem Gutshof einlegen, es ist mir einerlei, was sie auch zahlen würden, wenn ich nur Arbeit hätte, aber sie haben sich alle gegen mich verabredet und werden mir nirgends Arbeit geben. Ich möchte doch so gern arbeiten, ... so gern ...«

      »Du bist trotzig gewesen. Wer Wind sät, erntet Sturm, ein demütiges Kalb wird von zweien Müttern gesäugt. Vergiss das nicht. Ich werde wegen dir reden, weil du arm bist; was mich anbetrifft, würde ich dir gleich helfen, aber du weisst ja, dass es bei mir immer knapp ist ... Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst! ... Ich habe nichts ... Du weisst, den Rappen hat mir dieser Nichtsnutz Antek, möge er nicht in seiner Sterbestunde Gott schauen, so rehe gemacht, dass mir das arme Tier eingegangen ist. Ich habe mir etwas abgespart, um ein Pferdchen zu kaufen, aber der Laurenz ist dazwischen gekommen, du weisst, er ist abgebrannt, und dem Klemb ist die Kuh verreckt – und, Gott sei mir gnädig, nun hab' ich wieder keinen Heller mehr ... Was sollt' ich dir nur geben können, mein Kind ... hast du Hunger?«

      »Versteht sich, aber das macht nichts, nur dass die Kinder schon den zweiten Tag nichts zu essen gehabt haben.«

      »Mein Gott ...« murmelte er und wandte sich nach dem Wandschrank, holte einen kaum angebrochenen Brotlaib heraus und wollte ihn schon ganz Tomek hergeben, als er jedoch seine gierig auf das Geld gerichteten Augen bemerkte, hielt er noch zur rechten Zeit inne, schnitt nur ein beträchtliches Stück ab und reichte es Tomek.

      Tomek dankte ihm herzlich und schickte sich zum Gehen an.

      »Warte noch, ich will dir auch etwas Geld geben, viel kann ich nicht, denn es ist nicht meines.« Er nahm eine Handvoll Kupfermünzen vom Tisch. »Das ist nämlich, siehst du, das Geld für den Heiligen Vater!«

      »Für den Heiligen Vater!« murmelte der Bauer mit frommer Ehrfurcht, und bekreuzte sich rasch.

      »So ist es! Gute, barmherzige Christenmenschen opfern das Geld, damit der Heilige Vater was zu leben hat ... Man hat ihm alles genommen, was er besass, und so ist er ganz bettelarm geblieben. Ja! Der Nachfolger des heiligen Petrus! So ist es. Er, der die Macht hat, auf Erden zu lösen und zu binden, er ist auch arm, muss auch Mangel leiden, mein Kind,« er tat fast unbewusst die Hälfte der aufgenommenen Kupfermünzen in die andere Hand, »aber die treue Herde lässt ihren Hirten nicht umkommen,« er tat noch einige Münzen beiseite, »jeder bringt seinen Notgroschen mit Kindesliebe, denn was du dem Bedürftigen gibst, das ist so, als ob du es Gott selbst gegeben hättest!« Abermals schaffte er von dem in seiner Hand übriggebliebenen Geld einige Kupfermünzen beiseite. »Hier hast du, mein Kind, mehr habe ich nicht, gehe mit Gott! Ich werd' schon für dich ein Wort einlegen, wo es nötig sein wird. Arm bist du, mein Tomek, aber Gottes Erbarmen und Macht können alles bewirken ...« Er küsste ihn aufs Haupt und machte das Zeichen des Kreuzes über ihm, wobei er halblaut ein Gebet murmelte.

      Tomek verliess das Pfarrhaus in innerster Seele gestärkt und aufs tiefste gerührt.

      »Dass dich Gott gesund erhält, du bist ein guter Herr!« redete er vor sich hin und wandte sich sogleich vom Pfarrhof, ohne auf Weg und Steg zu achten, in der Richtung seiner Hütte.

      »Mein Gott! auch der Heilige Vater sind arm. Alles haben sie ihm weggenommen! O diese Deutschen, diese Hundeäser, diese Ketzer!« sann er bitter und ballte drohend die Fäuste beim Gedanken an das traurige Los des Statthalters Christi.

      Es war ihm nun viel leichter zumute, als hätte er nach all der Sorge und Qual neue Zuversicht geschöpft. Die frommen und mitfühlenden Worte des Priesters erfüllten sein einfältiges, gutes Herz mit Rührung – ein warmer Hoffnungsstrahl war in sein Inneres gedrungen.

      »Arm bist du, Baran, eine arme Waise bist du, Tomek! ...« wiederholte er sich die Worte des Priesters, und war durch die blosse Erinnerung an den Klang der sanften Stimme des Pfarrers so bewegt, dass ihm Tränen der Rührung über die Backen flossen. Ohne es selbst zu wissen, verbeugte er sich im Gehen, als wollte er jemandes Knie umfassen.

      Der immer fester zupackende Frost brachte ihn wieder ganz zur Besinnung, so dass er fast den Priester und das erhaltene Essen vergessen hatte und mit immer sehnsüchtigeren Augen nach seiner Hütte ausschaute, die wie ein blasser, grauer Schatten am Walde sichtbar wurde. Sein Herz klopfte unruhevoll, in der Sorge um die Kinder. Die Hütte, die man einst für einen Ziegelmacher und -brenner erbaut hatte, war jetzt schon ganz baufällig geworden. Das flache Lattendach war eingebrochen und hing schief über der Balkendecke, die Wände waren altersgekrümmt und wurden nur noch durch die Stützen gehalten, die man in den Boden gerammt und von einer Seite mit Erde und Kiefernnadeln beworfen hatte.

      Ringsum war eine solche Einöde, dass einem die Angst wie ein eisiger Hauch durch die Glieder fuhr; der düstere Tannenwald reckte sich unmittelbar hinter dem Hause als eine drohende, dumpfe Wand auf, aus deren Schattenbereich es rauschte, flüsterte und mit tausend wunderlichen Stimmen oft so unheimlich heulte, dass die Leute diesen Ort, wenn irgend möglich, schon von weitem scheu mieden. Während besonders strenger Frostnächte und zur Zeit der Schneeschmelze im März sah man die Wölfe haufenweise aus diesem Tannenforst herauskommen und sich, Atzung suchend, nach den Dörfern wenden. Es war eine wilde und menschenleere Gegend, Tomek hatte die Hütte vom Gutshof gemietet, weil sie dicht am Bahndamm lag, wenig Miete kostete und weil die Kinder im Sommer hier die Kühe hüten konnten. Er hatte sich an diese Einöde gewöhnt und den Verkehr mit den Menschen und dem Dorf ganz aufgegeben, wodurch er etwas verwildert war, aber er fühlte sich hier wohl, im Kreise seiner Lieben.

      Als er endlich laufend das Haus erreicht hatte, versuchte er sofort durch das vereiste Fenster in die Stube hineinzusehen, sie war ganz dunkel. Leise trat er ein und zündete ein Lämpchen an. Die Kinder schliefen, aneinandergeschmiegt, tief im Stroh vergraben und mit allerhand Lumpen sorgfältig zugedeckt, in dem einzigen vorhandenen Bett. Im Haus war es kälter noch als unter freiem Himmel; die dumpfe, von einem faulen Geruch durchdrungene Feuchte benahm ihnen den Atem. Die Wände, von denen der Kalk abblätterte, waren mit einer dichten Frostschicht bedeckt, so dass sie wie versilbert gleissten. Der festgestampfte Lehmboden, der den Holzfussboden ersetzte, hatte durch die Kälte eine solche Härte angenommen, dass er unter seinen Füssen dumpf dröhnte. Tomek beugte sich besorgt über das Bett, um nach den Atemzügen der Schlafenden zu lauschen, denn es hatte ihn eine plötzliche Angst befallen, sie könnten inzwischen erfroren sein.

      »Es schläft sich, das liebe Zeug schläft sich ruhig,« murmelte er freudig.

      Von der Diele holte er emsig Holzspäne herbei und fachte im eisernen Kanonenofen ein Feuer an, dann schlug er mit der Axt etwas Eis in einem Eimer klein und legte die Stücke in einen Topf, den er sogleich ans Feuer stellte. Die Hälfte des mitgebrachten Brotes schnitt er in eine Schüssel hinein, bestreute es mit Salz und wartete, dass das Wasser ins Kochen käme. Er bewegte sich fast geräuschlos in der Stube und trat immer wieder ans Bett heran, um einen Blick auf die Kinder zu werfen ... Aus seinen blauen, wie verblassten Augen leuchtete dabei eine so tiefe Kinderliebe auf, wie sie nur im bäuerlichen Leben und nirgendwo sonst in der Welt gedeihen mag.

      »Arme Würmer, gleich sollt ihr was zu essen haben, gleich,« murmelte er erfreut und legte immer neues Holz aufs Feuer, und als das Wasser zu brodeln anfing, ging er gleich wieder ans Bett heran.

      »Marysch! Juswa! Wacht auf, Kinder!« rief er und schüttelte sie. »Aufstehen, Abendbrot ist da!«

      Die Kinder wurden gleich wach. Es waren fünf an der Zahl, vier Mädchen


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