Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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Kinder weinten und Jusek klagte leise vor sich hin, über Drücken unter der Brust und Pfeifen in den Eingeweiden, er war ganz in Fiebergluten, sprang immer wieder aus dem Schlaf auf, weinte und bettelte um Brot.

      »Weine nicht, mein Sohn, ich bring' euch etwas zu essen,« sagte Tomek kurz. Er nahm den Sack, griff nach der Axt und ging in der Richtung des Herrenhofs davon.

      Er watete bis fast an den Gurt im Schnee, erreichte aber schliesslich sein Ziel, jene Scheunen, wo er vor kurzem die Hunde ihr Festmahl halten gesehen hatte. Er suchte umher nach dem Aas – tastete im Schnee mit den Füssen, dann wieder mit dem Axtgriff, aber er fand nichts. Schon wollte er unverrichteter Dinge gehen, als ein leises Knurren von der Firstseite des Gebäudes sein Ohr traf – dorthin wandte er sieh jetzt eilig.

      Einige Hunde zerrissen untereinander ein totes Schaf und knurrten sich dabei an. Er jagte sie mit der Axt auseinander. Die Hunde machten nur widerwillig Platz und fletschten die Zähne gegen den unerwarteten Nebenbuhler.

      Tomek schnitt sich die am wenigsten verdorbenen Teile des Schafkadavers heraus, steckte sie in den Sack und wandte sich, nachdem er ihn auf den Buckel geladen hatte, heimwärts.

      Die Hunde verfolgten ihn, wild aufwinselnd, sie sprangen gegen seinen Sack an, rissen an seinem Schafpelz und gingen ihm gierig zu Leibe. Er versuchte sie mit der Axt von sich abzuhalten und lief, so schnell er laufen konnte, nach Hause; da aber ein verschneiter Graben seinen Weg kreuzte, geriet er ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Die Hunde stürzten über ihn her. Es entspann sich ein kurzer Kampf, aus dem er als Sieger hervorging – aber mit einem im Rücken ganz zerfetzten Schafspelz, einer durchbissenen Hand und blutendem Gesicht.

      Zwei Hunde wälzten sich, vor Schmerz heulend, in ihrem Blut im Schnee, der Rest war entflohen. Er stand mühsam auf und schleppte sich langsamen Schritts, mit seiner Beute beladen, heimwärts.

      »Hier habt ihr was zu essen,« sagte er scheu zu der Maryscha und schleuderte den Sack in die Stube.

      Sie hatten jetzt wirklich zu essen, aber der Jusek, sein Lieblingskind, wurde am zweiten Tag nach diesem Essen schlimm krank.

      Er lag rot, geschwollen und schweissgebadet da und war so kraftlos, dass er nicht einmal den Kopf erheben konnte. Tomek rannte schon mit dem Schädel gegen die Wand vor tödlicher Verzweiflung, war es doch sein einziger Sohn, und schliesslich machte er sich sogar auf den Weg, eine Medizin aufzutreiben.

      Der Milchpächter vom Herrenhof, der heimlich verschiedene Arzneimittel verkaufte, gab ihm ein paar Pulverchen auf Borg, desgleichen etwas Lebensmittel. Die Pulver hatten gar nicht geholfen, denn schon am dritten Tag nach deren Einnahme lag sein Jusek bewusstlos da und redete unverständliche Dinge im Fieber vor sich hin.

      In seinen höchsten Nöten rannte Tomek ins Dorf zur alten Jagustynka, die sich auf Krankheiten auskannte und sehen konnte, ob einer einen Weichselzopf bekam, oder Schmerzen im Inneren hatte, oder ob nicht gar Zauber vorlag, den man bannen musste. Kinder nachmessen verstand sie auch und es gelang ihr alles mit gleichem Glück durch Besprechungen, Beschwörungen oder Kräuter zu kurieren.

      Sie kam gleich mit und griff sich an den Kopf, als sie den kranken Jungen erblickte.

      »Du mein Gott! dem kann nur noch der Herr Jesus helfen,« murmelte sie entsetzt.

      »Versucht es, Mutter, heilt mir doch meinen lieben Burschen!«

      »Man müsste ihn abmessen oder auch beräuchern und besprechen ... Weiss ich denn, was man tun soll! ...«

      »Macht alles, damit mir das arme Ding nicht wegstirbt. Mein Gott! solch ein lieber Bursche. Zum Frühjahr hätte er schon hüten können – und so artig immer, und solch ein Observant, so ein gutes Kind, mein Gott!« wehklagte Tomek, die Augen voller Tränen.

      »Ist der Herr Jesus einem gnädig, dann knausert er mit nichts ... Aber was ich da sagen wollte, Tomek, der geistliche Vater haben gesagt, dass Ihr gleich nach dem Bahnhof gehen sollt; es kommt da der Vorsteher hin, der die Schneewehen besichtigen soll. Geht gleich hin und seid nur nicht halsstarrig, umfasst schön seine Knie und bittet ihn demütig. Der Pfarrer kommt später auch hin und wird mit ihm reden, das hat er mir gesagt.«

      »Und den Jungen soll ich allein lassen!«

      »Geh, Tomek, den Jungen werde ich hier beaufsichtigen, was er braucht, werde ich schon tun.«

      »Gut seid Ihr, Mutter, auch die eigene könnte nicht besser sein.«

      »Sieh mal an! warum sollt' ich denn schlecht sein! ...«

      »Die anderen Frauen haben aber nicht ein solches Verstehen.«

      »Weil die anderen nichts sehen ausser ihren Männern, ihrem Kinderzeug und ihren Sorgen ... Na geh doch schon.«

      Tomek begab sich, wenn auch etwas widerstrebend, nach dem Bahnhofsgebäude.

      Die Alte hatte Kräuter mitgebracht, dazu einen silbergrauen irdenen Topf mit einem Deckel und begann alsbald darin etwas zu kochen. Sie entkleidete den Jungen und legte ihn mitten in der Stube auf einem ausgebreiteten Bund Stroh zurecht; er lag ganz still da, war nicht mehr bei Besinnung und schien kaum zu atmen.

      Darauf tat sie etwas Wachs von einer Totenkerze in den Topf, und als es in dem heissen Absud zerschmolzen war, begann sie damit das Kind einzureiben, wobei sie etwas Unverständliches vor sich hinmurmelte.

      Die Mädchen hatten sich ängstlich am Ofen zu einem Häufchen zusammengedrängt und sahen der Alten zu.

      Sie goss das vom Einreiben des Jungen übrig gebliebene Wasser in einem Dreieck aus, in dessen Mitte der Jusek lag, und in die nächste Stubenecke tretend, sagte sie laut und salbungsvoll:

      »Dem Schwarzen ein Tröpflein ... dem Weissen ein Mass!« Sie besprengte mit einigen Tropfen die Ecke vor ihr und goss einen ganzen Stoss Flüssigkeit nach der Stube zu aus. Dieses wiederholte sie dreimal. Dann nahm sie den irdenen Deckel, legte glühende Kohlen darauf, bestreute sie mit getrockneten Schaflorbeeren, tat getrocknete Wiesenraute hinzu und einen halben Kranz Sonnentau, der in der Fronleichnamswoche geweiht worden war. Neunmal blies sie darauf, bis alles in Glut geriet und ein dünner Streifen Rauch emporstieg – da erst begann sie den Daliegenden zu beräuchern und eine Beschwörungsformel vor sich hinzuflüstern.

      Zum Schluss beräucherte sie noch die Wände und trat vors Haus hinaus. Ungeachtet der Schneewehen umkreiste sie die Hütte dreimal ohne anzuhalten, dabei immerwährend weiterräuchernd.

      Jusek lag immer noch steif und unbeweglich da. Sein mit bläulichen Flecken bedeckter Körper war aufgedunsen, seine Haut trocken und glänzend.

      Jagustynka wickelte das Kind, nachdem sie es nochmals mit Wasser abgerieben hatte, in ein Leinentuch und legte es aufs Bett, dann erst nahm sie sich der übrigen Kinder an.

      Tomek hatte inzwischen den Vorsteher auf dem Bahnhof ausfindig gemacht, dieser wandelte gerade mit dem Streckenaufseher in dem prachtvoll grossen, schmutzigen Wartesaal dritter Klasse auf und ab. Darum blieb er dicht an der Tür stramm wie eine gespannte Sehne stehen und wartete, denn weiter wagte er sich nicht vor.

      Die beiden anderen durchmassen indessen den Wartesaal und waren so stark durch ihre Unterhaltung in Anspruch genommen, dass sie nicht einmal seinen Eintritt bemerkt hatten. Jedesmal, wenn sie näher kamen, reckte sich Tomek noch strammer und war schon im Begriff seinen Mund zu öffnen, aber die Herren wandten sich immer so schnell ab, dass es zu spät dazu war, etwas zu sagen. Schliesslich, nach einem längeren Schweigen und Warten auf eine passende Gelegenheit, fasste er sich den Mut und sagte mit gedämpfter, bebender Stimme:

      »Ich möchte den wohlgeborenen Herrn Streckenvorsteher um die Gnade gebeten haben ...«

      Der Vorsteher hörte ihn aber nicht, denn der Aufseher redete jetzt gerade


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