Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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sich ans Feuer, – der verschlafene Junge weinte und liess sich nicht beruhigen.

      »Still, Söhnchen, still! Hier ist ein gutes Brötchen, das der geistliche Vater für euch gegeben hat, da, mein Söhnchen, iss!«

      Der Junge rieb Nase und Augen und kaute gierig am Brot.

      »Na, kommt doch her, Mädchen, es gibt gleich Wassersuppe.«

      Er goss das kochende Wasser über die Brotbrocken.

      Sie krochen vom Bett herunter, hockten rund um die Schüssel und machten sich mit wahrem Heisshunger daran, die Suppe zu essen.

      Die bläulichen, ausgehungerten Kindergesichter hatten im Ton der Hautfarbe etwas von den kahlen, reifüberzogenen Stubenwänden, sie ergänzten sie gewissermassen. Ein langes Elend, so ein richtiges Bauernelend, das ganz allmählich bis an die Gurgel hochkriecht und langsam abwürgt, hatte diesen Gesichtern einen besonderen Ausdruck verliehen, ihnen jede kindliche Rundung genommen, bis nur Haut und Knochen blieben, stechende, stumpfe Blicke und herabhängende, zuckende Münder voll willenloser Müdigkeit. Tomek umfasste die Kinder mit einem väterlich sorgenden Blick und langte selbst nur selten nach dem Essen in der Schüssel, um ihnen möglichst viel zukommen zu lassen, nur dem Jungen schob er ab und zu einen Extrabissen in den Mund.

      »Iss, Söhnchen, iss. – Habt ihr sehr viel Hunger gehabt?«

      »Versteht sich,« entgegnete Maryscha. »Um Mittag bin ich ins Dorf gegangen, die Muhme Adamowa hat mir Kartoffeln gegeben, die habe ich gekocht, dann haben wir sie gegessen – und jetzt bei Dunkelwerden haben der Jusek und die Anka geweint und gesagt, dass es sie in der Bauchgrube schmerzt – sie hatten wohl Hunger, ich habe sie schlafen gelegt, mehr ist nichts gewesen.«

      »Esst, Kinder, – dieses Brot hat euch Mutter Jagustynka gegeben und dieses der geistliche Vater.

      »Marysch, nimm mal dies – das ist Hirse, die kannst du ihnen morgen kochen. Der liebe Gott ist barmherzig, er wird uns helfen, und findet sich eine Arbeit, dann wird man sich vielleicht einen Sack Kartoffeln oder ein Mass Grütze kaufen können, um erst einmal bis zum Lenz durchzuhalten.«

      »Dann kaufen wir uns eine Kuh, nicht wahr, Vaterle?« fragte Jusek.

      Das Feuer brannte hell und von dem rotglühenden Ofen her breitete sich eine ganz angenehme Wärme in der Stube aus, so dass selbst irgendwo an der Ofenbank ein Heimchen laut zu zirpen begann; die Mädchen duckten sich in einem Häuflein zusammen zu Füssen des Vaters und starrten auf ihn wie auf ein Heiligenbild. Nur Maryscha sass etwas abseits auf der Bank und stocherte ab und zu mit einem Stöckchen in der Glut.

      »Kauft Ihr eine Kuh zum Frühjahr, was Vaterle?«

      »Jawohl, ich kauf eine, mein Söhnchen. Du sollst sie mit Jaguscha gemeinsam hüten.«

      »Sie hat mich doch aber heute verprügelt, Vaterle!«

      »Hab' keine Angst, wenn' ich sie verprügele, dann wird sie es gleich aufgeben, dich zu schlagen.«

      »Eine bunte werdet Ihr kaufen, Vaterle?«

      »Eine bunte oder auch eine graue, mein Söhnchen.«

      »Und wird uns die Maryscha denn die Milch zu trinken geben, Vaterle?«

      »Ja, das wird sie, mein kleiner Wurm!«

      »Wann denn, Vaterle?«

      »Zum Frühjahr, wenn erst der Herr Jesus Wärme macht.«

      »Und warum ist es jetzt kalt und kein Frühjahr, Vaterle?«

      »Dem Herrn Jesus zur Freude und den sündigen Menschen zur Besinnung.«

      »Sind wir denn sündig, Vaterle? Die Juswa und die Marysch, die Jaguscha, die Anka und ich, Vaterle?«

      »Alle sind sündig, mein Söhnchen.«

      »Und warum sind wir sündig, Vaterle?«

      »Mein Gott, so ein kleiner Wurm und überlegt sich schon was.«

      »Da sind dann alle Bauern sündig, Vaterle?«

      »Die Bauern und die Herren, mein Söhnchen, alle sind sündig.«

      »Und kauft Ihr auch ein Schäflein, Vaterle?« fragte das Kind abermals nach einem längeren Schweigen, indem es mit Mühe versuchte, die zufallenden Augenlider zu heben.

      »Ich kauf es dir, mein Söhnchen, ich kauf es. Marysch wird die Wolle spinnen und macht dir ein Paar Höschen daraus.« »Und eine Jacke! mit Knöpfen? wie dem Wawschon sein Franek eine hat, nicht, Vaterle? Und der Juswa einen Rock und der Anka auch einen Rock, nicht, Vaterle?«

      »Dir eine Jacke und der Juswa einen Rock und allen Kleider, – wenn uns nur die allerheiligste Mutter Gottes hilft, dann werdet ihr alles haben, meine lieben Würmer.«

      Er trug den Jusek ins Bett und deckte ihn sorgsam zu.

      »Geht, Kinder, geht schlafen, dann ist die Nacht schneller zu Ende.«

      Die Mädchen fingen an, laut zu beten, er brachte ein Bund Stroh aus dem Flur herein, breitete es zwischen dem Bett und dem Ofen aus, löschte das Lämpchen, wickelte sich in seinen Schafspelz und legte sich ebenfalls zum Schlafen nieder.

      Es wurde still in der Stube, die gleichmässigen Atemzüge der schlafenden Kinder und ein leises Aufschluchzen unterbrachen nur in gleichmässigen Abständen die Stille.

      »Marysch!« fragte der Vater nach einer Weile, als er plötzlich das Weinen vernahm, »was fehlt dir denn, mein Kind?«

      »Nichts, Vaterle, es ist mich nur so angekommen, dass wir so arm sind, und wir haben doch keinem etwas Schlechtes getan!«

      »Sei still, Kind, weine nicht. Der geistliche Vater hat uns versprochen zu helfen und hat so schön geredet, dass es wohl kommen wird, wie er sagt, und der Herr Jesus uns eine Besserung schickt; irgend eine Arbeit kriege ich vielleicht, dann wird auch die Not ein Ende haben. Fürcht' dich nicht, der liebe Gott hat keine Eile, aber gerecht ist er.«

      Es wurde wieder still, das Weinen riss ab, nur das Heimchen zirpte ganz laut, durch die Wärme angeregt, und ab und zu knallten ein paar Kohlen im Ofen und zerstäubten zu einem in der Dunkelheit verglimmenden Purpurstaub – ein immer tieferes Dunkel und eine wachsende Schlaftrunkenheit begannen die Stube zu füllen.

      »Schläfst du, Marysch?«

      »Kann ich denn das! Das Schlafen ist ganz von mir weggeflogen und wenn ich nur die Augen zumache, dann scheint mir, dass Mutterle vor mir stehen, und dann wieder kommt immer eine feine Dame, die ganz wie eine Gutsfrau angezogen ist, sie winkt mir, und manchmal ist mir so, als wenn dieses Schweinchen, welches Ihr verkauft habt, hinter der Wand quiekt.«

      »Bete ein Gebet, Tochter; das ist nur vom Hunger, wenn einem solche Träume kommen. Wir wollen morgen in den Wald gehen, vielleicht wird man morgen das Holz hauen können.«

      »Hale! Die Muhme Adamowa hat gesagt, dass man nicht auf den Wegen und nicht auf der Waldschneise durchkommen kann, denn der Schnee liegt mannshoch. Und der Klemb haben erzählt, dass der Waldschreiber einen Zehner mehr zahlen will, wenn ihm die Leute das Holz nur hauen wollten.«

      »Gehen denn welche aus dem Dorf?«

      »Wie sollen da welche gehen, wenn so viel Schnee ist, dass ich kaum wieder herausgekrochen bin, als ich hin war, um Holz zu holen.«

      Sie schwiegen abermals. Ein Eisenbahnzug kam vorübergerattert, dass die ganze Hütte erbebte und es in den Wänden bedrohlich zu knarren und zu rasseln anfing, worauf der schwache Widerhall der


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