Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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einer etwas, dann kann er kaufen, was er will, ich aber bin nur eine arme Kätnerin. Doch ich will dir einen Rat geben, Tomek ...«

      »Gebt mir einen Rat, Mutter, dann werden Euch der Herr Jesus und die Allerheiligste für mich Armen belohnen.«

      »Geh du morgen zum Aufseher, Tomek, und verneig' dich schön tief vor ihm, vielleicht erbarmt er sich deiner; er hat doch selber Kinder, denn dass du Hungers sterben solltest, macht nichts – aber solche armen Würmer, die sich nicht recht was überlegen können, die halten es nicht aus und das wäre doch die reine Sünde, wenn die Kinder vor Hunger jammern müssten.«

      »Nein, Mutter, ich geh' da nicht wieder hin,« murmelte Tomek mit düsterer Verbissenheit. »Lass mich verrecken, wenn man Hungers sterben soll, dann sterb' ich, aber den bitten, das tu' ich nicht. Habe ich doch schon diesem Höllenvieh zu Füssen gelegen und habe wie ein Hund um Arbeit gewinselt und wie ein Hund gebettelt, dass er sich der Kinder erbarmen sollte, – da hat er mich zur Antwort mit dem Fuss von sich gestossen und mich zur Tür hinausschmeissen lassen! ... Nein, ich geh' nicht zu ihm hin, denn ich hab' Angst vor der Sünde, Angst hab' ich – wenn ich den bloss zu sehen bekomme, dann packt mich so ein Zittern, dass ich ihm an die Gurgel springen könnte und den Kerl wie ein böses Tier zu Tode schlagen!«

      Er murmelte dieses mit einer scheuen und von Hass erstickten Stimme und ballte immer wütender die Fäuste, darauf griff er sich an die Brust und sprach weiter:

      »Es tut mir schon ordentlich in der Brust weh davon, aber ich hab' schon so viel ausgestanden, dass ich nicht weiss, ob ich noch mehr aushalten kann.«

      »Halt ihn in dir, diesen Wolf, Baran, halt ihn fest, ein Unglück ist leicht geschehen.«

      »Ich will morgen in den Wald gehen, Holz hacken.«

      »Muss der Magen entbehren, kann das Hemd nicht lehren.«

      »Für ein Viertel Klafter zahlt diese Hundeseele von Judenmensch nur einen Silberling und zehn Groschen, und dafür muss man zwei gute Tage die Rippen ordentlich um und um racken.«

      »Geh du jetzt gleich zum Pfarrer, Tomek, und bitte ihn – er ist doch mit den Herren Beamten gut bekannt, da könnt' er für dich ein Wort einlegen, damit sie dir eine Arbeit am Bahndamm geben.«

      »Hale, der Pfarrer kennt doch den Vorsteher, er fährt immer zu ihm hin ...«

      »Dummer, der Priester hält noch am meisten auf Gerechtigkeit und auf das arme Volk. Der kann dir was raten, und helfen kann er dir auch.«

      »Ich habe nichts in die Hand zu nehmen und so ganz bloss, ohne etwas, da wag' ich mich nicht hin.«

      »Dumm bist du, die Kinder kannst du ihm, versteht sich, nicht zum Geschenk bringen, und was anderes hast du nicht!«

      »Das ist schon wahr, aber ... immer doch ... Hochwürden nichts hinzutragen ...«

      »Dumm bist du; geh gleich hin, falle Hochwürden zu Füssen und sag' ihm alles – schlag dich immerzu auf die Brust, weine und rede nur von den Kindern – du wirst schon sehen, dass der Pfarrer gleich weich wird.«

      »Te! dann will ich auch hingehen,« murmelte er schnell, schon ganz überzeugt, und stand von der Lade auf, zupfte seinen Schafspelz zurecht, setzte seine Schafspelzmütze auf und versuchte sich durch die Giebelstube und dann durch das Gedränge der Tanzenden hindurchzuzwängen.

      Die Alte folgte ihm nach, und als sie vor der Schenke waren, sagte sie ihm:

      »Sei nicht bockig, Tomek, bei Hochwürden, bitt ihn hübsch artig um seinen Beistand; ein Bauer ohne Land ist wie ein Vögelchen im Wasser, das seine Flügel flach ausgebreitet hat und laut um Hilfe schreien muss, sonst müsst' es ertrinken.«

      Er entgegnete nichts mehr, denn eine solche Kälte wehte ihn draussen an, dass er ausser Atem kam, die Schafspelzmütze noch tiefer über die Augen drückte und von der Schenke geradeswegs über die Felder auf den ausgetretenen Fusspfad zu davoneilte.

      ... Wollen trinken! dideldei – wollen essen! dideldei – wollen immer fröhlich sein! ... sangen die Geigen hinter ihm drein.

      »So Gott will, so Gott will, so Gott will! ...« knurrten die Bassgeigen gedämpft und hüpften lustig hinterdrein, aber Tomek hörte nicht auf all diese Stimmen, die unter dem Strohdach der Schenke hervordrängten und in der Frostluft wie ein kristallener Regenschauer zerstoben, sondern schritt rüstig aus.

      Auf den Feldern war es hell vor lauter Schnee und Mondenschein, wie am lichten Tage.

      Gewaltige weisse Wolken ruhten im Raume, der sich über der Erde in der Majestät der Stille und der Unendlichkeit wie silberfahle Vorhänge dehnte. Die leicht gewellte Ebene, auf der sich die nackten Baumgerippe und Steinhaufen schwarz abzeichneten, flutete wie ein Meer und blendete die Augen durch die glitzernde Weisse. Ein solches Schweigen lag über den Feldern, dass Tomek noch lange die Stimmen, die aus der Schenke kamen, hören konnte. Zuweilen blickte er sich um, auf das für sich stehende, erleuchtete Haus, und liess zugleich seine Blicke über die goldenen Lichtpunkte des Dorfes schweifen, aber sofort beschleunigte er wieder seine Schritte und eilte weiter, ohne auf den Frost zu achten, der ihn wie mit Nadeln in die Backen stach und ihm den Atem benahm.

      Die bereiften Kreuze am Wege warfen lange bläuliche Schatten auf den Schnee; er nahm vor ihnen die Mütze ab, bekreuzigte sich fromm und seufzte tief auf – manchmal schlug er mit seinen frosterstarrten Händen gegen die Arme, blieb stehen, zog den Gurt fester an und ging dann wieder weiter.

      Ab und zu flog eine Schar Rebhühner auf mit einem leisen, aber dennoch scharf klingenden Warnruf, kreiste eine Weile und versank in den weissen, silbrigen Glast, der über der Schneeweite hing – dann wieder rannte ein Hase über die Felder, hielt jäh an, horchte auf, machte Männchen und floh entsetzt davon; eine unförmige graue Wolke glitt über den Himmelsraum dahin und warf einen blauen Schatten auf die weisse Schneefläche, dann wieder flog die trockene Stimme des Frostes über die Erde hin und zu flimmernden Myriaden von Zuckungen zersplitternd, funkelte sie in glitzernden Sternkristallen auf und trübte die göttliche Ruhe der Mitternacht, oder ein dumpfes Murren, das einem Ächzen ähnlich klang, kam von der fernen Waldwand herübergegeistert, und wieder gewannen die grosse Stille, die Totenstarrheit und eine süsse Schlaftrunkenheit neue Gewalt über die frostgebundene Erde.

      Tomek achtete auf nichts mehr, denn er war damit beschäftigt, sich in Gedanken zurechtzulegen, wie er zum Pfarrer kommen, ihm zu Füssen fallen und sagen würde: Hochwürden! ... Und dann würde er losheulen und diesem lieben geistlichen Vater alle seine Sorgen und all sein Elend beichten. Eine so grosse Rührung überkam ihn bei dem blossen Gedanken daran, dass Tränen in seinen Augen aufblitzten, über seine Wangen zu kollern begannen und in seinem Schnurrbart wie kleine Eisperlchen hängen blieben. Daraufwandten sich seine Gedanken wieder dem eigenen Heim und seinen Kindern zu.

      »Die Maryscha geb' ich in Dienst, die Josefa auch – die Mädel werden es besser haben und mir wird es auch leichter sein,« aber es gab ihm plötzlich einen Stich mitten ins Herz bei dem Gedanken an die Trennung von den Kindern. »Sie schlafen, die armen Würmer, sie schlafen,« dachte er und tastete vorsichtig nach seinen Semmeln und dem Säcklein Grütze, die er unter dem Rock geborgen hatte. »Der Herr Jesus hilft uns schon bis zum Lenz auszuhalten, dann gibt es leichter Arbeit und die Mädchen können auch noch was dazuverdienen,« sann er weiter ... »Was der liebe Jesusherr einem mit Höllenfrost zusetzt,« murmelte er und begann sich das Gesicht mit Schnee abzureiben. »Er lässt sich was aus, der Herr Jesus, er lässt sich ...« und er blieb wieder stehen und horchte in die Nacht hinein. Von den Scheunen des Herrenhofes, deren graue Wände sich in der Ferne undeutlich abzeichneten, kam starkes Hundegegeifer. Er verlangsamte abermals seine Schritte und spähte immer angespannter und besorgter umher, denn diese Hundestimmen, ihr Gekläff und Gewinsel wurden immer deutlicher vernehmbar und schienen ihm immer drohender zu klingen. Zuletzt gewahrte er einen Haufen Hunde, die ganz wütend etwas untereinander


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