Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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nur das dumpfe Rauschen des Waldes und das trockene Pfeifen des Windes drangen jetzt durch die kleinen Scheiben in die Stube. Tomek konnte nicht einschlafen, er warf sich von einer Seite auf die andere und grübelte schwer.

      »Würdest du in den Dienst gehen, Kind?« fragte er leise und ängstlich.

      »Wenn Vater befehlen, dann werd' ich hingehen – nur dass ich allein es besser haben werde, euch wird es nicht helfen.«

      Tomek antwortete nicht mehr darauf, und bald hatte auch sie beide der Schlaf übermannt.

      Am nächsten Tag schlug das Leben wieder denselben Gang des Elends ein, auf dass es sie mit immer festerem Kreis umspannte.

      Gegen Mittag assen sie den Rest des Brotes vom vergangenen Tag und die Grütze dazu.

      Tomek sah nur immerfort den Kindern in die Augen, streichelte ihre Köpfe und sagte nichts, denn die Verzweiflung wühlte in ihm. Er ging ums Haus herum wie ein Schlafwandelnder, hackte Holz, behaute irgendwelche Pflöcke, bereitete sich vor, irgendwohin aufzubrechen, und sah stumpf den unmittelbar an seinem Haus vorüberjagenden Zügen nach; zu den Stunden, in denen er sonst in den Dienst gemusst hatte, schickte er sich auch jetzt an, fortzugehen, wandte sich eilig dem Eisenbahndamm zu und kehrte noch schneller um, denn das bittere Bewusstsein kam über ihn, dass er nunmehr nirgends hinzugehen brauchte!

      Die vielen Jahre im Joch des maschinenmässig ausgeführten Dienstes hatten in ihm eine tiefe Spur hinterlassen – eine verhängnisvolle Ratlosigkeit. Er verlor einfach die Geistesgegenwart und wusste nicht, wie er jetzt weiter leben sollte ohne seinen Dienst und ohne seinen Grundbesitz. Er hatte es niemals nötig gehabt, über irgend etwas auch nur nachzudenken, denn sechzehn Jahre hindurch hatte für ihn seine selige Frau gedacht und vorher die Menschen, bei denen er diente. Er war einer von dieser Art, denen man durchaus sagen muss: gehe dorthin, tue das, denke dieses; dann wäre er hingegangen und hätte es getan, aber jetzt fiel auf ihn die Mühe des Denkens zugleich mit der Not, und obgleich er in sich tobte, mit sich rang und in seiner Hilflosigkeit am liebsten aufgeheult hätte, konnte er ganz und gar nichts ausdenken. Die Not bleckte ihm die Zähne entgegen und biss seine Kinder, er aber sass, ganze Tage lang gedankenlos vor sich hinbrütend da, und wusste nicht, wie er all dieses abwenden sollte. Ins Dorf zu den Leuten ging er nicht, um sich Hilfe zu erbitten, denn es kam ihm einfach gar nicht in den Sinn, etwas Derartiges zu unternehmen. Sein ganzes Leben lang musste er um jede Krume Brot schwer arbeiten, musste sie sich mit eigenem Blut und Schweiss erringen, niemals war ihm etwas von selbst in den Schoss gefallen – so war es auch jetzt, und wenn er an irgend etwas dachte, dann war es immer nur das eine: zum nötigen Verdienst zu kommen. Es gab aber jetzt nirgends eine Möglichkeit, Geld zu verdienen – er sank müde von all dem Denken nieder.

      Erst gestern war ihm in der Schenke der Gedanke aufgeblitzt, Holz im Walde zu zerkleinern, und die alte Jagustynka hatte ihm den Rat gegeben, sich um Hilfe an den Priester zu wenden.

      Nach Mittag, als der Frost etwas nachgelassen hatte, nahm er die Maryscha mit und wandte sich dem Hau zu, wo ganze Mengen im Herbst gefällter Baumstämme lagen, die aber so hoch mit Schnee bedeckt waren, dass der ganze Hau wie eine einzige blendend weisse Ebene aussah.

      »Marysch, kriegen wir es?« murmelte Baran und kratzte sich dabei besorgt den Schädel.

      »Das ist ein Hund von Winter!« knurrte das Mädchen düster und stiess den Spaten in den Schnee.

      Ohne mehr zu reden gingen sie daran, die Tannenstämme freizumachen.

      Sie machten sich mit Fiebereifer an die Arbeit. Tomek schaffte für vier, und Maryscha grub unermüdlich mit einer verzweifelten Wut, ohne auf den Schweiss zu achten, der ihr über die Augen herabfloss, noch auf die Erschöpfung, die sie nur allzubald verspürte. Sie gingen auf die Schneemassen los wie auf einen verhassten Todfeind, wie auf die Verkörperung all ihrer bitteren Not, und hieben auf sie ein mit ihren Spaten in einem wilden, steinernen Bauerntrotz.

      Der Schnee war hart gefroren und fast so fest wie Eis, sodass man ihn nur mit grosser Mühe mit dem Eisenspaten durchstechen konnte, die Arbeit ging deshalb sehr langsam vorwärts, und dieser Widerstand versetzte sie in verzweifelte Wut. Tomek warf seinen Schafspelz ab, so dass er nur in Hemd und Hose dastand und, ohne um sich zu sehen, in einem wahnsinnigen Eifer schaffte – sein dickes Leinwandhemd färbte sich auf dem Rücken dunkel von all dem Schweiss, auch die Schafspelzmütze hatte er abgetan, so dass sein Haar bei jeder Bewegung hin und her flog wie ein zerzauster Strohwisch.

      »Schwein, Hundeaas!« knurrte er ab und zu hasserfüllt dazwischen; sein ermüdetes und drohende Verbissenheit atmendes Gesicht leuchtete über dem Schnee auf wie ein dunkelroter, blutiger Fleck. Maryscha musste sich hin und wieder niedersetzen, um Atem zu schöpfen und etwas auszuruhen, sie sprang dann aber gleich wieder auf und hieb mit ihrem Spaten voll neu erwachenden Trotzes auf die weisse Schneedecke ein.

      Der durch die auf allen Zweigen lastenden Schneemassen wie weissverhüllte Wald stand wie eine ragende Mauer rings um sie herum da, in tiefen Winterschlaf versunken, still und friedlich. Manchmal nur zuckte ein Zweig unter der Schneelast, und eine Kaskade weissen Staubes rieselte zur Erde herab, Krähen zogen krächzend über den Waldeswipfeln vorüber, dann liess sich eine Schar Elstern auf die hochragenden Samenbäume nieder; sie schaukelten sich in den Zweigen, schlugen mit den Flügeln und kreischten, als wollten sie sich über Tomek lustig machen:

      »Dummer, Baran, dummer, hä!« und sie schrien dermassen, dass es Tomek schien, die Vögel hielten ihn zum besten. – Er warf mit Schneeklumpen nach ihnen und jagte sie schliesslich fort. Wieder umhüllte sie eine die Augen blendende Stille voll Schnee und Sonnenglast, die nur durch das Knirschen ihrer Spaten, durch das schneidende Pfeifen der durch die Luft sausenden Schneeschollen und durch das schwere Keuchen der Grabenden unterbrochen wurde.

      Die Stunden flossen langsam dahin, der Wald begann unmerklich trüber zu werden, sich in veilchenfarbene Purpurnebel des Sonnenunterganges zu hüllen; dann wurde er grau und sog allmählich die Dämmerung ein, die sich aus den kupferfarbenen Gluten der Abendröte am Himmel zu ergiessen begonnen hatte, bis dass er zuletzt langsam in die Untiefen der nahenden Nacht zu versinken anfing, mit dem Schnee und dem Raum in eine Masse ohne Ende verschmolz und in schlaftrunkene Starrheit sich hüllte.

      Es war schon richtig dunkel geworden, als sie die Arbeit beendigt hatten. Drei gewaltige Tannen lagen vom Astwerk gesäubert da.

      Totnek reckte sich auf, streckte seine Glieder und, mit dem Spaten gegen den Schnee stossend, sagte er rauh:

      »Rumgekriegt haben wir die Äser!« Er zog sich schnell an. »Geh nach Hause, Marysch. Ich will gleich zum Juden, mein Geld für die Arbeit abholen, denn morgen werde ich wie nichts mit einem Viertelklafter Holz fertig. Gleich hole ich euch auch was zu essen. Geh, Tochter, und pack dich gut ein, denn du hast mächtig geschafft, und der Nachtfrost kommt. Er streichelte ihr liebkosend über die Backen und wandte sich der Waldtiefe zu.

      Maryscha wickelte das Tuch fester um den Kopf, nahm die Spaten und ging langsam durch die Waldesdämmerung heimwärts. Sie fühlte sich weniger müde, als hungrig und schläfrig. Zuerst ging sie gedankenlos vor sich hin, dann aber fing der Wald an, ihr so drohend und düster zu scheinen, nahm ein so finsteres Aussehen an und liess aus seiner Tiefe solch ein ächzendes Stöhnen vernehmen, dass sie eine unerklärliche Angst packte. Es war ihr, als ob zahllose Baumstämme auf sie zukämen, um ihr von allen Seiten den Weg zu versperren, als ob rötliche Augen von überall her sie böse anfunkelten und dreieckige Wolfsschnauzen um sie herum im Dunkel vorbeihuschten; sie schloss fortwährend ihre Augenlider, aber die Angst wuchs nur immer stärker in ihrer Brust. Sie fing an immer schneller zu rennen, und um sich Mut zu machen sang sie schon halb bewusstlos vor Angst laut vor sich hin:

      Mazuren, Mazuren! Kerle wie die Eichen.

       Hühner könnt ihr hüten und nicht unseresgleichen!

       Hu –ha!

      und darauf:

      Ich


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