Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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und wären's selbst ein Schock!

       Hu –ha!

      Aber sie hatte doch eine grosse Angst, das arme Ding.

      Tomek erhielt auf die Arbeit hin vom Waldschreiber für ganze acht Gulden Nahrungsmittel und einen Rubel in bar. Der Jude gab ihm alles gern, denn er kannte seine Ehrlichkeit, ausserdem hatte er auch das Holz dringend nötig der Bahnlieferungen wegen.

      Am nächsten Tag liess Tomek die Maryscha sich am frühen Morgen festlich ankleiden, wickelte seinen Rubel in ein Tuch, und beide begaben sich nach der Kirche, aber der Pfarrer wollte von ihm nichts für die Messe annehmen und wurde so gerührt durch seine Bereitwilligkeit, dass er ihm noch einen Scheffel Kartoffeln und ein paar Mass Grütze hinzuschenkte.

      Tomek hatte gebeichtet und lag während der ganzen Messe kreuz; er betete und flehte so inbrünstig, schluchzte so herzerweichend, bat so heiss um Gottes Erbarmen, ächzte so schwer in seinem Kummer und gab seinen Klagen und Bitten so innigen Ausdruck, dass die Leute voll Achtung auf den wie ein Gekreuzigter vor dem Altar mit ausgebreiteten Armen daliegenden Mann hinschauten.

      »Jesus! Czenstochauer heilige Jungfrau ... erbarme dich des Sündigen ... Nach Czenstochau will ich zu Fuss pilgern ... den Rosenkranz jeden Tag beten ... eine Kirchenfahne werd' ich kaufen ... Kerzen für den Altar werd' ich kaufen ... erbarme dich nur des Sündigen ... Oh, süsse Jungfrau, ... oh, Königin ... dir weih' ich mich, dir Mutter mit all meinen Kindern ... lass es uns besser gehen ... Allerheiligste ... Für ganz wenig Lohn will ich arbeiten, wenn ich nur nicht betteln muss, wenn mir die Kinder nicht Hungers zu sterben brauchen ... Oh, Heiliger, ... oh, Heiliger! ...« stöhnte er und weinte unaufhaltsam in blutiger Pein und flehte demutsvoll um Erbarmen.

      Die Orgel klang in einem gedämpften, feierlichen Lobgesang, der wie eine purpurne Welle von Klängen ihm zu Häupten zerstäubte und sein Herz in Ehrfurchtsschauern erbeben liess; die Stimme des Priesters hatte etwas wie ein regenbogenfarbenes Leuchten und durchdrang ihn mit einer solchen süssen Besänftigung, erfüllte ihn dermassen mit Rührung, dass seine Tränen immer reichlicher und immer leichter flossen. Die altersschwarzen Vergoldungen der Altäre, das Summen der Glocken, die tiefen Seufzer der Andächtigen ringsum, das Gemurmel der Gebete, die gütigen Blicke der Heiligen aus den Altarbildern, die regenbogenbunte Dämmerung, die durch die gemalten Fenster drang, die goldenen Zungen der Kerzen und immer wieder die balsamischen Klänge der Musik, die unaufhörlich vom Chor herab auf ihn zugeflutet kamen – alles dieses, zu einem geheimnisvollen Einklang verschmolzen, der namenlos beseligend war, bewirkte, dass Tomek sich noch ehrfürchtiger zu Füssen der göttlichen Allmacht niederwarf, war er doch erfüllt von einer tiefen Zuversicht und ganz durchdrungen von Trost und Glauben; so dass er gegen das Ende der Messe nicht mehr seiner Gedanken Herr zu werden vermochte und immerzu nur seufzte, den Fussboden küsste und Tränen auf Tränen vergoss.

      Er verliess die Kirche, neu gestärkt in seinem zuversichtlichen Glauben und voll frischer Arbeitslust.

      »Marysch!« sagte er mitten auf der Landstrasse, als sie schon heimkehrten, er blieb etwas stehen, denn das Mädchen ging hinter ihm. »Marysch! es scheint mir, dass uns der Herr Jesus eine Wendung zum Guten zuteil werden lässt, denn, wie der geistliche Vater gesagt haben: er sorgt für die Lilien und Vögelein und selbst für den kleinsten Wurm und das sollte der liebe Herr Jesus nicht auch für die Menschen ... was?«

      »Es muss so sein, dass der Herr Jesus ein gleiches Stück auf alle hält,« entgegnete sie ernst.

      Das Leben kam jetzt Tomek freundlicher vor, denn für einige Tage war Essen im Haus und der Frost hatte beträchtlich nachgelassen, zu Mittag kam selbst ein leichtes Tauwetter auf. Nach und nach bemächtigte sich aber wieder eine Unruhe seiner Seele, denn die Sonne fing an sich zu verstecken und ein Haufen grauer Schleierwolken begann sich am Himmelsrand zusammenzuziehen.

      »Der Schnee wächst, aber das macht nichts, denn der Herr Jesus braucht nur darauf zu blasen, dann weht alles auseinander,« sagte er zu den Kindern und begab sich in den Wald, Holz zu hacken. Bis zum Abend war es ihm gelungen, ein Viertelklafter zurechtzuschlagen und fertig aufzuschichten, obgleich er sich dabei tödlich abgemüht hatte. Er ging froh zu Bett, denn die Kinder waren satt und er selbst fühlte sich wieder im alten Lebensgeleise – er arbeitete.

      Am nächsten Morgen wachte er auf, sah hinaus nach dem Wetter und wurde sehr besorgt.

      Es schneite in so dichten Flocken, dass man die Welt schon gar nicht mehr sehen konnte, dazu war ein pfeifender Wind aufgesprungen. Es schien ein Schneesturm im Anzug zu sein, man konnte nicht daran denken, im Wald Holz zu hauen.

      Und als die Schneemassen endlos zu rieseln begannen, die Winde ihre wilden Tänze über den Feldern ausführten, Schneewirbel die ganze Welt verdunkelten, wurde es ihm selbst nicht mehr möglich, auch nur aus seinem Hause ins Freie zu gelangen.

      Man konnte jetzt Tag und Nacht nicht auseinanderscheiden, eine eisige, düstere, graue, sturmentfesselte Raserei wälzte sich über die Felder durch den Raum dahin, brandete unermüdlich in gewaltigen Flutanstürmen gegen Barans armselige Hütte und gegen den Forst an, der sich tief niederbeugte in diesem Ringen mit dem Unwetter, immer wieder aber sich unbesiegt und drohend aufrichtete. Der Kampf machte ihn furchtbar, ein Rauschen, Beben und Krachen ging durch seine Äste, er heulte so wild und so durchdringend und tobte so drohend, dass die Kinder in den Nächten nicht schlafen konnten und die Waldvögel aus ihren Verstecken hinaus in die Felder flohen. Tomek bewachte besorgt das Haus, das einzustürzen drohte, bis es der Sturm zuletzt ganz in Schnee vergraben hatte – so dass es wie ein Schneehügel aussah.

      Die Lebensmittel gingen nun abermals zur Neige, es war kein Geld da, neue zu kaufen, und dann war es auch ganz unmöglich, zum Dorf hindurchzugelangen, dermassen hatte der Schnee die Wege und die Felder verschüttet. Am zweiten Tag, an dem der Schneesturm nur noch stärker raste, blieben die Züge im Schnee stecken und jeglicher Verkehr stockte, die Menschen machten den Elementen Platz und verkrochen sich ängstlich. Erst morgens am dritten Tag hörte das Schneegestöber etwas auf, aber die gewaltigen Schneewehen ringsum liessen ganze Wolken zerstäubten Schnees unaufhörlich aufsteigen und hatten das Aussehen feuerspeiender Berge.

      Tomek zog seinen Schafspelz an, holte den Spaten hervor und wandte sich dem Eisenbahndamm zu. Der Aufseher, dem die Strecke unterstand, seine Gehilfen, der Distanzingenieur, und ganze Haufen Bauern, die man aus den Dörfern zusammengetrieben hatte, alles machte sich an dem in einer Schlucht eingeschneiten Eisenbahnzug zu schaffen. Man verteilte Schnaps und Wurst unter die Leute, damit sie so schnell wie möglich den Fahrdamm von den Schneemassen säuberten.

      In den weissen Wolken des fliegenden Schneestaues sah Tomek hunderte von Menschengestalten, die frisch drauflos arbeiteten, hörte das Stimmengemurmel ihrer Unterhaltungen, ihr Gelächter und das Knirschen ihrer fleissigen Spaten – gierig horchte er auf diese Stimmen, sein Gesicht jedoch verfinsterte sich dabei immer mehr, denn für ihn war da weder Platz noch Arbeit vorhanden. Niemand rief ihn. Er stand einige Stunden lang, durchfroren, hungrig und verzweifelt am Bahndamm, bis schliesslich ein Gendarmeriewachtmeister erschien; Tomek neigte sich ihm zu Füssen und bat ganz demütig um Arbeit.

      »Baran weiss doch, dass man in einem Zirkular auf der ganzen Strecke unter Verwahrung angekündigt hat, ihn zu keiner Arbeit an der Bahn anzunehmen, weil er wegen Diebstahl entlassen worden ist. Was kann ich Euch helfen, mein Lieber ...?«

      Tomek antwortete nichts, liess nur den Kopf traurig hängen und schleppte sich nach Hause.

      »Ah, diese Äser! diese Äser! Aasvolk!« fing er mit einemmal an zu schreien und eine solche Wut hatte ihn gepackt, dass er seinen Spaten in Stücke schlug, die Maryscha verprügelte, dem Jungen einen Fusstritt versetzte und schliesslich wie besessen in der Stube tobte und sich die Haare raufte, es half ihm aber nichts, er erschöpfte sich bald, wurde ruhiger und verlegte sich wieder aufs Warten.

      Vom Pfarrer war immer noch keine Nachricht da, die Tage schlichen langsam dahin und waren voll Entsetzen und endloser Hungerqual. Eines Abends, nach einem den ganzen Tag dauernden


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