Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


Скачать книгу
haufenweise an der Drehkrankheit, die Knechte schleppten sie, nachdem sie den Kadavern die Haut abgezogen hatten, aufs Feld und vergruben sie im Schnee. Von allen Seiten kamen die Hunde jetzt zu diesem Festschmaus herangeschlichen und taten sich bei Tag und bei Nacht an dem Überflusse gütlich, sie bissen sich dabei wütend um die Beute.

      Tomek umging die Stätte im weiten Bogen und wandte sich querfeldein dem Dorfe zu, das an den Abhängen einer Anhöhe zerstreut lag, deren Scheitel von einer Holzkirche und einer Schar mächtiger Linden gekrönt wurde, welche sich wie ein Haufen ehrwürdiger Greise rings um sie herumgesetzt hatten und mit ihren gewaltig ausladenden Leibern das Kirchlein vor Winden und allem Ungemach beschützten, leise miteinander in stillen Mondnächten plaudernd.

      Der Pfarrhof lag etwas tiefer, inmitten eines Gartens, der den Abhang eines an die Dorfanhöhe stossenden Hügels bedeckte. Tomek blieb vor der Hauslaube stehen, die so gross war wie manch ein ganzes Bauernhäuschen, nahm die Schafspelzmütze ab und trat von einem Fuss auf den anderen, denn der Mut hatte ihn ganz verlassen; er sah in die erleuchteten, mit grünen Rollvorhängen verhangenen Fenster, kratzte sich über den Schädel, spie aus und bekreuzigte sich des öfteren, um sich Mut zu machen, aber einzutreten wagte er nicht.

      Die Kirche stand so nahe, sah so geheimnisvoll schwarz aus und ihre Fenster gleissten so seltsam im Mondlicht, die Linden hatten heute ein so drohendes Aussehen und die Kreuze der uralten Gräber auf dem Kirchhof waren so riesig gross und zeichneten sich so scharf vom Hintergrund der Schneelandschaft ab, dass Tomek eine abergläubische Furcht gepackt hatte. Er fing an zu beben, stand aber immer noch wie festgewachsen an derselben Stelle.

      Manchmal schob sich eine düstere Wolke zwischen Mond und Erde und warf einen durchsichtigen Fächerschatten auf den Schnee, dann wieder knackte etwas seltsam geheimnisvoll in den Büschen des Gartens; ab und zu barsten die Dachschindeln mit lautem Knall oder die Latten im Zaun, in die sich der Frost einbiss; Krähen flatterten auf und liessen ihr schrilles Krächzen von der Landstrasse her vernehmen, wo sie sich schweren Fluges auf hier und da aufgeworfene Dreckhaufen niederzulassen versuchten. Von irgendwo, aus einem Stall, wieherte ein Pferd auf, Schafblöken liess sich vernehmen und von den Schweineställen des Pfarrhofs drang das Aufquieken der am Trog sich drängenden Schweine herüber, bis die Stille sich wieder über alles ausbreitete und alles begrub.

      Tomek stand noch immer da und starrte geistesabwesend auf die weissen Dünste, die sich von den Mooren erhoben, und auf die vereinzelt blitzenden Lichter des Dorfes. Es kamen ihm seine Kinder in den Sinn ... »Die armen Lieben ...« murmelte er, überwand seine Schüchternheit und trat, ohne länger zu zögern, in die Pfarrkanzlei ein.

      Der Pfarrer erhob sich bei dem Geräusch der geöffneten Tür und versuchte schnell seine Brille aufzusetzen. Tomek warf seine Pelzmütze von sich und schlug, so lang er war, zu Füssen des Priesters hin.

      »Vater! Geliebter Vater! Hochwürden!« murmelte er durch Tränen und umfasste seine Knie.

      »Was ist das? Wer ist das? Was bist du für einer? Was willst du?« warf der Pfarrer erschrocken hin, durch die Leidenschaftlichkeit Tomeks beängstigt.

      »Um Erbarmen zu flehen bin ich zu Hochwürden gekommen.«

      Der Priester hatte endlich seine Brille aufgesetzt, sah sich den Knienden an und sagte schon mit ruhigerer Stimme:

      »Ah! Tomek Baran! Steh auf, mein Kind, steh auf!«

      Er setzte sich, wischte mit dem buntbewürfelten Taschentuch seine Brille ab und warf es sodann wie unabsichtlich über einige Häuflein Kupfermünzen, die in regelmässigen Abständen auf dem Tisch lagen.

      Tomek erhob sich und trocknete mit dem Ärmel seine tränennassen Augen.

      »Was hast du mir zu sagen? hast du eine Angelegenheit, ist dir vielleicht jemand Nahes gestorben?«

      »Schlimmer noch, geliebter Vater, denn alle sterben wir so bei kleinem Hungers,« entgegnete er und begann ziemlich ruhig von seiner Entlassung, von dem Mangel an Verdienst und der Not, die ihn und seine Kinder frass, zu erzählen; er hatte Tränen in den Augen und eine stille, grenzenlose Verzweiflung sprach aus seiner Stimme, während er voll Vertrauen mit dem Priester redete, so dass dieser ihm wenigstens zum Teil wohl Glauben schenken musste, denn über sein wie in Güte erstarrtes, blasses Gesicht, das einer Maske aus gebleichtem Wachs glich, huschte ein Schatten von Traurigkeit und Mitleid.

      Tomek verstummte, der Priester schnupfte aus seiner silbernen Tabakdose und schwieg eine lange Weile. Er hatte ein sehr mitleidiges Herz, war aber schon so viele Male durch lügnerische Tränenergüsse und geheuchelte Offenherzigkeit getäuscht worden, dass er jetzt fürchtete, seinem Gefühl nachzugeben, darum legte er sein Gesicht in strenge Falten, warf seine Lippen drohend auf und suchte, so gut es ging, die Rührung, die von ihm Besitz ergriffen hatte, zu verbergen.

      »Das sechste Gebot lautet: du sollst nicht stehlen!« sagte er mit einer harten Stimme. »Muss man euch das in einem fort von der Kanzel predigen, ihr Lumpen, he! Der liebe Gott straft euch, weil ihr nicht auf seine heiligen Gebote achtet!«

      »Ich habe nicht gestohlen, geistlicher Vater, wie auf der heiligen Beichte sag' ich es: ich habe nichts genommen, nur aus Bosheit, dass ich keine Festgaben und keine Geschenke hab' geben können, haben sie sich zusammen verabredet und mich dann davongejagt.«

      »Denk' an das achte Gebot: du sollst nicht falsches Zeugnis gegen deinen Nächsten ablegen! Betest du keine Gebete, Baran? Weisst du das nicht, he?«

      »Ich habe die Wahrheit gesagt, geistlicher Vater, die reinste Wahrheit, der Aufseher hat immerzu auf mich eingeschimpft, ob er einen Grund dazu hatte oder ob er keinen hatte, weil ich ihm nichts habe schenken können; für diese neun Papierrubel, die sie mir den Monat zahlten, könnt' ich doch uns selber kaum durchbringen.«

      »Die Zehnten und die Pflichten richtig abgeben, heisst es! Soll ich dich in einem fort daran erinnern, was der Herr Jesus und die heilige katholische Kirche lehrt, he!«

      »Liebster Vater! Ein Christ bin ich, zur Beichte gehe ich, Messen lasse ich lesen, aber ich bin gekommen, mir Erbarmen zu erflehen, denn die Kinder sterben mir Hungers und mir selbst wird es schon im Kopf ganz verkehrt davon; schlafen kann ich nicht vor lauter Sorge und weiss mir keinen Rat mehr. Ich hab' mich bei den Juden und bei den Leuten ganz verschuldet, habe die letzten Lumpen verkauft, habe das Schwein verkauft, das ich noch als Letztes hatte, und jetzt bin ich ganz blank geworden, nur die Knochenfrau hat noch bei mir was zu holen! Mein Gott! Mein Gott!«, stöhnte er schwer auf, »länger halt' ich es nicht mehr aus; wenn mir der gute Vater nicht zu helfen wissen, dann wird es wohl schon nur noch ans Sterben gehen müssen.«

      Tomek fiel dem Priester wieder zu Füssen und heulte unaufhaltsam, er bebte am ganzen Leibe und schluchzte so kläglich, dass der Pfarrer sich etwas wegwenden musste, um sich heimlich einige Tränen wegzuwischen, und sehr leise, mit bebenden Lippen zu reden begann:

      »Mein Kind ... Unser Herr Jesus Christus hat für uns unwürdige Menschen gelitten, für uns, seine undankbaren Kinder, hat er sich kreuzigen und von dem niedrigen Pöbel verhöhnen lassen und hat kein Wort gesagt, obgleich sie ihm mit scharfen Nägeln die Hände und die Füsse durchbohrt haben, obgleich ihm das Blut über die Augen herunterfloss und ihn seine Wunden schmerzten; er klagte nicht, sondern sagte nur: Herr! Dein Wille geschehe! Mein Bruder ... Tomek Baran ...« er unterbrach seine Rede, denn Tränen der Rührung verschleierten ihm die Augen, er wischte sie eilig ab und murmelte nur noch: »Arm bist du, Baran, arm bist du ... arme Waise ... Armer ...«

      Ein schweres Schweigen breitete sich aus, erfüllt von krampfhaften Zuckungen, unterdrückten Schluchzern und den Klagen Tomeks.

      »Übermorgen werde ich für dich eine Messe lesen und Gott um eine gute Wendung bitten, vielleicht fügt er alles noch zu deinem Besten! Denn Gott ist grenzenlos in seiner Güte, vertraue nur auf ihn, bete und glaube,« redete der Pfarrer mit eindringlichem Ernst.

      »Im


Скачать книгу