BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr. Lee Murray

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paar Meißel hervor. Nicht eine einzige Haarsträhne entkam ihrem engen Pferdeschwanz. Laut Taines Dossier hatte sie einmal die nationale Meisterschaft im Eier-Rudern gewonnen. Allem Anschein nach war sie im Training geblieben, zumindest was ihre Schultern und ihren schlanken Körperbau anbelangte.

      Taine lächelte, als er Miller, den Neuzugang seiner Einheit, auf sie zuschlendern sah, offenbar in der Annahme, dass der Werbespruch Wir haben das Zeug dazu der neuseeländischen Streitkräfte ganz besonders auf ihn zutraf. Für Taine aber war klar, dass Louise auch ohne den Altersunterschied von zehn Jahren einige Nummern zu groß für ihn war. Glücklicherweise wurde der Private davor bewahrt, es auf die harte Tour herausfinden zu müssen, denn sein Annäherungsversuch wurde von einer Frau unterbrochen, die mit leichten, fliegenden Schritten den Parkplatz überquerte.

      Jules Asher.

      Taine erkannte die Biologin von dem Foto in ihrer Akte. Zierlich und dunkelhäutig wirkte sie sportlich genug, trotz ihrer mangelnden Felderfahrung.

      »Louise?«, erkundigte sich die Biologin. Taine bemerkte eine Spur von Nervosität in ihrer Stimme. Nur die Aufregung, neue Leute kennenzulernen? Er schob den Rucksack tiefer in den Lastwagen hinein und spitzte die Ohren.

      »Ja?«

      »Jules Asher. Wir teilen uns ein Zelt. Ich dachte, ich stelle mich kurz vor und lasse sie wissen, dass, wann immer Sie jemanden schnarchen hören, es ganz gewiss nicht von mir kommt.« Taine spähte zu ihr hinüber und sah, wie sich Asher eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, während sie Louise die andere Hand entgegenstreckte.

      Lächelnd schüttelte Louise Jules Hand, eine schnelle, effiziente Bewegung. »Gut zu wissen. Wie sieht’s mit Zähneknirschen aus?«

      »Nur tagsüber.«

      »Teilen wir uns eine Zahnbürste?«

      »Urks.« Jules verzog das Gesicht, ihre Augen aber strahlten.

      »Ich denke, dann kommen wir gut miteinander aus.«

      Eine Pause.

      »Ich bin froh, nicht die Einzige zu sein, die ihre Ausrüstung noch sortieren muss«, sagte Jules und deutete auf die Tasche.

      »Ja, wir hatten nicht viel Zeit, und Dr. de Haas ist gern auf alles vorbereitet.« Louise deutete auf ihren Boss. Der untersetzte Geologe hatte am hinteren Ende des zweiten Lastwagens Miller abgefangen und bellte soeben den Private an, sofort alles stehen und liegen zu lassen und ihm beim Einladen seines Gepäcks zu helfen.

      »Arbeiten Sie schon lange mit ihm zusammen?«, erkundigte sich Jules.

      »Etwa ein Jahr.«

      »Und ist er immer so … so …«

      De Haas‘ Schimpftirade hallte mittlerweile so laut über den Parkplatz, dass Coolie sich veranlasst sah, hinzuzutreten und nachzusehen, was das ganze Trara zu bedeuten hatte.

      »Fordernd?«, meinte Louise. »Ja, das ist er.«

      Jules schien die Wortwahl ihrer künftigen Zeltgenossin nicht zu überraschen.

      »Kann ich Sie etwas fragen?«, erkundigte sich Louise, ohne ihren Blick von Miller und Coolie zu nehmen.

      »Klar.«

      »Wozu die ganzen Kraftmeier? Wieso eine Militäreskorte, wenn wir doch schon einen Führer haben?«

      Jules warf einen Blick über ihre Schulter, in Taines Richtung. Der lehnte an dem Lastwagen und verbarg sein Gesicht.

      »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat die Armee nicht genügend für sie zu tun? Sie wissen ja, wie das mit diesen Jungs ist. Zu viel Testosteron und die bringen sich in Schwierigkeiten. Mit uns bekommen sie wenigstens was zu tun.«

      Taine richtete sich auf und sah, wie sie auf die auf dem Asphalt aufgereihten Gepäckstücke deutete.

      »Sie haben recht«, stimmte Louise zu. »Ich will es anders formulieren. Was ich meinte, war: Ist es nicht toll, all diese Muskelberge mit ihrem ungezügelten Testosteron um uns zu haben, die unser Gepäck tragen werden?«

      »Na bitte«, antwortete Jules lachend, und Louise stimmte mit ein.

      ***

      Christian de Haas wusch seine Hände im Waschbecken und ließ das kalte Wasser über seine Handgelenke laufen. Ein Trick, den er bei seiner Mutter gesehen hatte, wenn diese ihre Nerven zu beruhigen versuchte. Kein Wunder, dass er aufgebracht war. Dieser dumme Soldat war nicht einmal imstande gewesen, die einfachsten Befehle auszuführen. »Ich quetsche sie hier einfach mit rein«, hatte der Idiot gesagt. In der Tasche war ein Mikroskop gewesen! De Haas schüttelte den Kopf. Keinerlei Feingefühl. Aber was wollte man von diesen Kiwis auch erwarten, die Muskelkraft stets mehr verehrten als Gehirnschmalz. Herrgott nochmal, der jährlich in Neuseeland stattfindende Wettbewerb zur Wahl des besten Farmers – bei dem tumbe Kerle auf Traktoren herumfuhren – bekam mehr Presse als jede wissenschaftliche Errungenschaft!

      Seufzend trocknete er sich seine Hände unter dem Gebläse ab und strich sich die Haare hinter die Ohren. Dann, und mit einem Blick auf die Uhr, hielt er inne. Kein Grund zur Eile. Im Gegenteil, es würde wahrscheinlich nicht schaden, ein paar Dinge grundlegend klarzustellen und angemessen zu spät zum Briefing zu erscheinen. Schließlich konnten sie schlecht ohne den Leiter der Spezialeinheit aufbrechen, nicht wahr? De Haas lächelte dem Mann im Spiegel zu. Wie aufgeregt er gewesen war, als ihn der Berater des Ministers wegen dieser Anstellung anrief. »Der Minister würde Sie gern zum Leiter einer Spezialeinheit auf einer wichtigen Mission von nationalem Interesse ernennen«, hatte der Berater gesagt. Wichtig genug, um eine Armeeeskorte zu rechtfertigen. Die Regierung wollte kein Risiko eingehen. Die Region war ein politischer Brennpunkt, und außerdem ging es um Gold.

      De Haas trat einen Schritt zurück und richtete seinen Kragen. Eine ganze Expedition, Zivilisten und Soldaten, alle unter seiner Führung.

       Leiter der Spezialeinheit.

      Wie sich das anhörte! Nicht, dass der Titel seinen alten Herrn überzeugt hätte. Einzig das Kapitänsamt der Springbok Rugby-Mannschaft hätte ihm imponiert. Aber auch Christian hatte seine Momente gehabt. Von der New Zealand Petroleum and Minerals abgeworben zu werden und seine Kündigung selbst in der Firma seines Vaters abzugeben, zum Beispiel. Die Genugtuung, sein Heimatland in nur einer Woche verlassen zu können und den alten Bastard endlich los zu sein. Er hatte gehofft, von da an in Windeseile die Karriereleiter erklimmen zu können, aber wie so oft war er enttäuscht worden und verbrachte zehn Jahre mit langweiligem Papierkram. Aber nicht nach dieser Sache. Nicht, nachdem ihm eine bedeutsame Entdeckung in den Ureweras zu Ruhm verhelfen würde. Sollte sein Vater doch versuchen, das zu ignorieren.

       Eine bedeutsame Entdeckung …

      De Haas war fest entschlossen, genau das eintreten zu lassen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel und einem letzten Ruck an seinem Jackett verließ er die Toilette.

      ***

      Nachdem ihr Gepäck in einem der Lastwagen verstaut worden war, gesellte sich Jules für das Briefing zu den anderen am Rand des Parkplatzes. Der Sergeant in grüner Uniform wartete, bis die Gruppe sich niedergelassen hatte.

      »Guten Morgen miteinander. Mein Name ist Sergeant Taine McKenna«, begann er, und seine feste, vertrauensvoll wirkende Stimme erinnerte Jules an einen bekannten Nachrichtensprecher. »Ich wurde mit der Leitung der Armeeeskorte betraut, die Sie in den Urewera-Urwald begleiten wird. Wie es aussieht, lässt der Leiter der Spezialeinheit noch auf sich warten, weshalb ich einfacherweise mit einer kleinen logistischen Einweisung beginnen möchte. Wir werden um 0800 aufbrechen und unsere Armeefahrzeuge werden uns bis an den Ausgangspunkt des Wanderweges bringen. Dafür werden …« Er pausierte, als der Mann, der sich kurz vorher noch einmal von der Gruppe entfernt hatte, wieder zu ihnen stieß. Keuchend hob der Mann entschuldigend seinen Kaffeebecher und nickte dem Sergeant zu.

       Ein letzter Kaffee.

      Verdammt, so einen hätte Jules auch gebrauchen können. Das hätte vielleicht ihre Nerven ein wenig


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