BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr. Lee Murray

BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr - Lee Murray


Скачать книгу
Geschichte positiv aus: Dreiundzwanzig Zivilisten konnten gerettet werden, mit nur einem Todesopfer. Ausnahmsweise spielten die westlichen Medien den Vorfall herunter, wahrscheinlich aus Respekt vor der Familie des Mädchens, hauptsächlich aber, weil man vermeiden wollte, dass die Taliban die Sache für sich nutzten. Es gab eine Nachbesprechung. Berichte wurden geschrieben und abgeheftet. Das Leben ging weiter. Aber Taine hatte es nie vergessen können, genauso wenig wie Trigger – auch wenn der große Mann nur wenig über diesen Tag sprach. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Taine trug genug Schuld für sie beide auf seinen Schultern …

      »McKenna«, rief Coolie und riss Taine aus seinem Albtraum. »Bevor Read mit den anderen zurückkommt, solltest du noch etwas wissen.«

      Taines Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich höre.«

      »Lefty und Eriksen streiten sich mal wieder.«

      Taine verschränkte die Arme vor seiner Brust und seufzte. Als erfahrene Kämpfer waren die meisten von ihnen befreundet, aber die beiden hatten sich gerade in der letzten Zeit wie Hund und Katze benommen.

      »Worum geht es denn dieses Mal?«

      Coolie zuckte mit den Schultern. »Sagen sie nicht, aber es wird immer brenzliger.«

      McKenna nickte und konnte sich gut vorstellen, wie die beiden sich gegenseitig finster anblickten. »Wir behalten sie im Auge. Hat sonst noch jemand ein Problem? Miller? Winters?«

      »Nicht, dass ich wüsste.«

      »Ausgezeichnet.«

      Taine setzte sich seine ballistische Sonnenbrille auf die Nase und trat ins Sonnenlicht, um seine Einheit zu treffen.

      Kapitel 5

       Die Kleinstadt Rotorua, Montagabend

      Nathan Kerei schob sich das letzte Stück des panierten Schnitzels in den Mund. Noch kauend legte er Messer und Gabel ordentlich neben seinem Teller ab, dann schlang er den Bissen hinunter. »Ich hab heute einen Anruf bekommen. Morgen früh muss ich weg, Liebes.«

      Aus ihrem Sessel vor dem Fenster und mit einem Auge auf die Wiederholungen von Downtown Abbey fragte ihn Paula: »Noch eine Gruppe? Es ist ziemlich spät für Touristen.«

      »Es sind keine Touristen. Die Armee will mich haben.«

      »Wieso? Sind wir im Krieg?«, wollte Nathans Enkel wissen. Der Teenager saß neben Nathan. Vor ihm auf dem Küchentisch lagen seine Geographie-Hausaufgaben – sein Lehrbuch, ein paar Buntstifte und ein zerfledderter Schulblock.

      Brandon lebte nun schon seit ein paar Monaten bei ihnen, seit Nathans Tochter einen neuen Mann anschleppte und mit ihm ein Baby bekam, Kimbra. Mary war glücklich, doch der arme Brandon kam nie wirklich mit seinem Stiefvater aus. Als die Spannungen zwischen ihnen zu viel für Mary wurden, schalteten sich Nathan und seine Frau ein und boten an, Brandon so lange bei sich aufzunehmen, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten.

      »Sie wollen mich als Fremdenführer haben.«

      »Wieso benutzen sie keine Karte?«

      »Weil sie jemanden suchen, der sich besonders gut in der Gegend von Maungapōhatu auskennt.«

      Brandon blätterte in seinem Buch herum und zeigte Nathan dann eine Seite darin. »Sie brauchen eine topografische Karte, so wie diese.«

      »Das ist nicht das Gleiche, als wenn man den Ort wirklich kennt, Sohn.«

      »Aber wieso müssen sie ihn denn kennen?« Brandon blieb beharrlich.

      Nathan schob den Anflug von Verärgerung beiseite, den Brandons unablässige Fragen auslösten. Die Teenager von heute stellten eine Menge Fragen. Das brachten sie ihnen in der Schule bei. Anscheinend lernten sie auf diese Weise besser. »Ich bin nicht sicher«, antwortete Nathan. »Es sind wohl auch ein paar Wissenschaftler unter ihnen.«

      »Ich wette, das ist nur ein Vorwand für etwas anderes.«

      »Und ich wette, es ist nur ein ganz normaler Forschungstrip.«

      »Wieso schicken sie dann die Armee?«

      Nathan zuckte mit den Schultern. »Um ihnen zu helfen. Die Armee half auch aus, als die Rena vor der Küste von Tauranga Schiffbruch erlitt, erinnerst du dich? Sie säuberten den Strand von Öl und diesen verfaulenden Fleischpasteten. Das gehört zu ihrem Job.«

      »Aber haben sie denn dazu überhaupt die Erlaubnis?«, blieb Brandon hartnäckig. »Der Strand gehörte allen, aber Te Urewera gehört uns Tūhoe.«

      Nathan trug seinen Teller zur Spüle und schob mit der Rückseite seines Messers ein Stück Fett in den Mülleimer. »Ich nehme an, sie haben um Erlaubnis gebeten, sonst würden wir nicht aufbrechen.« Er spülte seinen Teller ab und stellte ihn auf das Abtropfbrett.

      »Aber wen würden sie fragen, Koro? Es gibt mehr als eine Gruppe, die glaubt, für den gesamten Stamm sprechen zu dürfen.«

      Da musste er dem Jungen recht geben. Vielleicht waren die ständigen Fragen gar nicht so schlecht für den Jungen.

      »Wirst du lange weg sein?«, fragte Paula und unterbrach die Diskussion. Sie streckte einen Arm aus und rollte noch etwas mehr von der rosafarbenen Wolle ab.

      »Ein paar Tage, eine Woche vielleicht. Mehr nicht.«

      »Dann lege ich dir besser ein paar warme Sachen raus«, sagte sie und stand auf. Sie wickelte den Rest der Wolle auf, beugte sich nach vorn, um ihre Strickarbeit in ihren Handarbeitsbeutel zurückzustecken, schaltete den Fernseher aus und verschwand im Flur. Ein paar Minuten später huschte Nathan in die Garage, um seine Wanderschuhe zu holen.

      ***

      Brandon rechnete sich aus, dass ihm etwa fünfzehn Minuten für einen Anruf blieben, während sein Koro – sein Großvater – auf der Rückseite eine rauchte. Als er hörte, wie seine Großmutter die Schubladen im Schlafzimmer öffnete und wieder schloss, schnappte er sich das Telefon.

      »Die schicken die Armee in den Park«, berichtete er dem Jungen am anderen Ende mit leiser Stimme. »Mein Koro wird mit ihnen mitgehen.«

      »Die Armee? Das ist verdammt mutig.«

      »Denke ich mir auch.«

      »Was wollen sie da?«

      »Das hat Koro mir nicht verraten.«

      »Suchen sie wieder nach diesen Separatisten?«

      »Wie ich schon sagte, Koro hat nichts verraten. Außer, dass sie einen Führer brauchen.«

      »Mein Dad wird es wissen. Und wenn nicht, wird er es herausfinden.«

      »Was wird er unternehmen?«

      »Ich weiß nicht. Irgendwas. Die Armee hat hier nichts zu suchen. Der Park gehört dem Volk der Tūhoe.«

      Brandon schnitt ihm das Wort ab – diese Alle-Macht-dem-Volke-Ansprache hatte er schon oft genug gehört. »Vergiss nur nicht, deinem Vater zu erzählen, dass Nathan bei ihnen sein wird.«

      »Ja, okay, ich sag’s ihm. Mach dir keine Sorgen, deinem Großvater wird nichts passieren. Ich sollte auflegen. Danke für den Tipp.«

      »Keine Ursache.«

       Central Business District, Sydney, Australien

      Die Bedienung des Collar & Thai führte Caren an einen Tisch in einer Nische, wo dicht gewebte Wandteppiche im schwachen Licht schimmerten. Es war noch sehr früh für ein Mittagessen, gerade erst kurz nach 11 Uhr, aber es saßen bereits erste Grüppchen an den Tischen verteilt, ihre Einkaufstaschen übereinandergestapelt gegen die schwarz lackierten Tischbeine gelehnt.

      Caren schlüpfte auf die Bank und ärgerte sich, nicht selbst in einer der Boutiquen Halt gemacht zu haben, um nun auch eine Einkaufstasche zwischen ihre Beine klemmen zu können. Damit wäre sie zwischen den anderen


Скачать книгу