Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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einerseits in solcher Reinheit der Darstellungsform, daß diese zum bloßen Ausdruck der Selbstbegrenzung der Reflexion geläutert und von den profanen Darstellungsformen257 unterschieden wird, andererseits in der (formalen) Ironie, in der sich die Reflexion ins Absolute erhebt. Die Kunstkritik stellt diese symbolische Form in ihrer Reinheit dar; sie löst sie von allen wesensfremden Momenten, an die sie im Werk gebunden sein mag, ab und endigt mit der Auflösung des Werkes. Daß trotz aller begrifflichen Prägungen es im Rahmen der romantischen Theorien niemals zu völliger Klarheit in der Unterscheidung von profaner und symbolischer Form, von symbolischer Form und Kritik kommen kann, drängt sich der Betrachtung auf. Nur um den Preis solcher unscharfen Abgrenzungen können alle Begriffe der Kunsttheorie, wie die Romantiker es zuletzt erstrebten, in den Bereich des Absolutums einbezogen werden.

      Unter allen Darstellungsformen gibt es eine, in welcher die Romantiker die reflexive Selbstbegrenzung sowohl, als auch Selbsterweiterung aufs entschiedenste ausgebildet und auf diesem Gipfel unterschiedslos in einander übergehend finden. Diese höchst symbolische Form ist der Roman. Was vorerst an dieser Form in die Augen fällt, ist ihre äußerliche Ungebundenheit und Regellosigkeit. Der Roman kann in der Tat beliebig über sich reflektieren, in immer neuen Betrachtungen jede gegebene Bewußtseinsstufe von einem höheren Standort zurückspiegeln. Daß er aus der Natur seiner Form dies erreicht, was anderen nur durch den Gewaltstreich der Ironie möglich ist, neutralisiert in ihm die Ironie. Aber eben weil der Roman niemals seine Form überschreitet, kann jede seiner Reflexionen andererseits wieder als durch sich selbst begrenzt angesehen werden, denn keine regelartige Darstellungsform ist es, welche sie eingrenzt. Dies neutralisiert in ihm die Darstellungsform, die allein in ihrer Reinheit, nicht in ihrer Strenge in ihm waltet. Während jene äußerliche Ungebundenheit, da sie auf der Hand liegt, keiner Betonung bedurfte, ist die Gesetztheit und reine Sammlung in der Romanform wieder und wieder von den Romantikern betont worden. Daß »der Geist der Betrachtung und der Rückkehr in sich selbst … eine gemeinsame Eigentümlichkeit aller sehr geistigen Poesie« sei258, spricht Schlegel bei Gelegenheit der Meisterrezension aus. Die geistigste Poesie ist der Roman; sein retardierender Charakter ist der Ausdruck der ihm eigenen Reflexion: »Durch seine retardierende Natur kann das Stück dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, … verwandt scheinen«259, heißt es an der gleichen Stelle vom »Hamlet«. Novalis: »Die retardierende Natur des Romans260 zeigt sich vorzüglich im Stil«261. Aus der Erwägung heraus, daß die reflexiv in sich geschlossenen Komplexe den Roman bilden, sagt er: »Die Schreibart des Romans muß kein Kontinuum, es muß ein in jedem Perioden gegliederter Bau sein. Jedes kleine Stück muß etwas Abgeschnittenes, Begrenztes, ein eigenes Ganze sein«262. Gerade diese Schreibart rühmt Schlegel am »Wilhelm Meister«: »Durch … die Verschiedenheit der einzelnen Massen … wird jeder notwendige Teil des einen und unteilbaren Romans ein System für sich«263. Die Darstellung der Reflexion gilt Schlegel für die höchste Legitimation der Goetheschen Meisterschaft in diesem Roman: »Die Darstellung einer sich wie ins Unendliche immer wieder selbst anschauenden Natur war der schönste Beweis, den ein Künstler von der unergründlichen Tiefe seines Vermögens geben konnte«264. Der Roman ist die höchste unter allen symbolischen Formen, die romantische Poesie die Idee der Poesie selbst. – Die Zweideutigkeit, welche in der Bezeichnung »romantisch« liegt, hat Schlegel sicherlich gern in Kauf genommen, wenn nicht aufgesucht. Bekanntlich bedeutet »romantisch« im damaligen Sprachgebrauch »ritterlich«, »mittelalterlich«, und hinter dieser Bedeutung hat Schlegel, wie er es liebte, seine eigentliche Meinung, die man aus der Etymologie des Wortes lesen muß, versteckt. Man hat also, wie Haym, den Ausdruck »romantisch« in seiner wesentlichen Bedeutung durchaus als »romangemäß« zu verstehen. Dieser sagt, Schlegel vertrete die Lehre, »daß der echte Roman ein Non plus ultra, eine Summe alles Poetischen sei, und er bezeichnet folgerecht dieses poetische Ideal mit dem Namen der ›romantischen‹ Dichtung«.265 Als diese Summe alles Poetischen, wie die Schlegelsche Kunsttheorie es verstand, ist der Roman also eine Bezeichnung des poetischen Absolutums: »Eine Philosophie des Romans … wäre der Schlußstein«266 einer Philosophie der Poesie überhaupt. Oft wird es betont, daß der Roman nicht eine Gattung neben anderen, die romantische Dichtart nicht eine unter vielen, sondern daß sie Ideen sind. Dieses »Buch … nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengesetzten und entstandenen Gattungsbegriff beurteilen: das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in sein Schächtelchen packen will«,267 heißt es vom »Wilhelm Meister«.

      Die Frühromantik hat den Roman nicht allein als die höchste Form der Reflexion in der Poesie ihrer Kunsttheorie eingeordnet, sondern in ihm deren außerordentliche transzendente Bestätigung gefunden, indem sie ihn in eine weitere unmittelbare Beziehung zu ihrer Grundkonzeption der Idee der Kunst setzte. Nach dieser ist die Kunst das Kontinuum der Formen, und der Roman ist nach der Auffassung der Frühromantiker die faßbare Erscheinung dieses Kontinuums. Er ist dies durch die Prosa. Die Idee der Poesie hat ihre Individualität, nach der Schlegel suchte, in der Gestalt der Prosa gefunden; die Frühromantiker kennen keine tiefere und treffendere Bestimmung für sie, als Prosa. In dieser scheinbar paradoxen, in Wahrheit aber sehr tiefsinnigen Anschauung finden sie einen völlig neuen Grund der Kunstphilosophie. Auf diesem Grunde beruht, wie die gesamte Kunstphilosophie der Frühromantik, so besonders ihr Begriff der Kritik, um dessentwillen die Untersuchung über scheinbare Abwege bis hierher geführt werden mußte. – Die Idee der Poesie ist die Prosa. Dies ist die abschließende Bestimmung der Idee der Kunst, auch der eigentliche Sinn der Romantheorie, die erst so in ihrer tiefen Absicht verstanden und von der ausschließlich empirischen Beziehung auf den »Wilhelm Meister« abgelöst wird. Was die Romantiker unter der Prosa als der Idee der Poesie verstanden haben, ist aus folgender Stelle des Briefes zu entnehmen, den Novalis am 12. Januar 1798 an A. W. Schlegel richtete: »Wenn die Poesie sich erweitern will, so kann sie es nur, indem sie sich beschränkt; indem sie sich zusammenzieht, ihren Feuerstoff gleichsam fahren läßt und gerinnt. Sie erhält einen prosaischen Schein, ihre Bestandteile stehen in keiner so innigen Gemeinschaft – mithin nicht unter so strengen rhythmischen Gesetzen – sie wird fähiger zur Darstellung des Beschränkten. Aber sie bleibt Poesie – mithin den wesentlichen Gesetzen ihrer Natur getreu; sie wird gleichsam ein organisches Wesen, dessen ganzer Bau seine Entstehung aus dem Flüssigen, seine ursprünglich elastische Natur, seine Unbeschränktheit, seine Allfähigkeit verrät. Nur die Mischung ihrer Glieder ist regellos, die Ordnung derselben, ihr Verhältnis zum Ganzen ist noch dasselbe. Ein jeder Reiz verbreitet sich darin nach allen Seiten. Auch hier bewegen sich nur die Glieder um das ewig ruhende, eine Ganze … Je einfacher, gleichförmiger, ruhiger auch hier die Bewegungen der Sätze, je übereinstimmender ihre Mischungen im Ganzen sind, je lockerer der Zusammenhang, je durchsichtiger und farbloser der Ausdruck – desto vollkommener diese im Gegensatz zu der geschmückten Prosa268 – nachlässige, von den Gegenständen abhängig scheinende Poesie. – Die Poesie scheint von der Strenge ihrer Forderungen hier nachzulassen, williger und gefügiger zu werden. Aber dem, der den Versuch mit der Poesie in dieser Form wagt, wird es bald offenbar werden, wie schwer sie in dieser Gestalt vollkommen zu realisieren ist. Diese erweiterte Poesie ist gerade das höchste Problem des poetischen Dichters – ein Problem, was nur durch Annäherung gelöst werden kann und was zu der höheren Poesie eigentlich gehört … Hier ist noch ein unermeßliches Feld, ein im eigentlichsten Sinne unendliches Gebiet. Man könnte jene höhere Poesie die Poesie des Unendlichen nennen«.269 Das Reflexionsmedium der poetischen Formen erscheint in der Prosa, darum darf sie die Idee der Poesie genannt werden. Sie ist der schöpferische Boden der dichterischen Formen, diese alle sind in ihr vermittelt und aufgelöst als in ihren kanonischen Schöpfungsgrund. In der Prosa gehen sämtliche gebundene Rhythmen in einander über, sie verbinden sich zu einer neuen Einheit, der prosaischen, welche bei Novalis der »romantische Rhythmus«270 ist.271 – »Die Poesie ist die Prosa unter den Künsten.«272 Erst unter diesem Gesichtspunkt läßt die Romantheorie sich in ihrer tiefsten Absicht verstehen und von der empirischen Beziehung auf den »Wilhelm Meister« ablösen. Weil die Einheit der ganzen Poesie als eines Werkes ein Gedicht in Prosa darstellt, ist der Roman die höchste poetische Form. Vermutlich ist es in Anspielung auf die vereinende Funktion der Prosa gemeint, wenn Novalis sagt: »Sollte nicht der Roman alle Gattungen des Stils in einer durch den gemeinsamen Geist verschiedentlich gebundenen


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