Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Meinung von einem romantischen Subjektivismus sans phrase210 begünstigt hat, weil die vollständige Verschiedenheit dieser Ironisierung der Kunstform von der des Stoffes nicht mit genügender Klarheit erkannt worden ist. Diese beruht auf einem Verhalten des Subjekts, jene stellt ein objektives Moment am Werke dar. Wie an den meisten Unklarheiten, welche über ihre Lehren bestehen, tragen auch an dieser die Romantiker ihren Anteil. Sie selber haben die sachlich deutliche Scheidung als eine solche niemals zum Ausdruck gebracht. – Die Ironisierung der Form besteht in ihrer freiwilligen Zerstörung, wie sie unter den romantischen Produktionen, und wohl in der ganzen Literatur überhaupt, Tiecks Komödien in der extremsten Form zeigen. Die dramatische Form läßt sich im höchsten Maße und am eindrucksvollsten unter allen ironisieren, weil sie das höchste Maß von Illusionskraft enthält und dadurch die Ironie in hohem Grade in sich aufnehmen kann, ohne sich völlig aufzulösen. Von der Zerstörung der Illusion in der aristophanischen Komödie sagt Schlegel: »Diese Verletzung ist nicht Ungeschicklichkeit, sondern besonnener Mutwille, überschäumende Lebensfülle und tut oft gar keine üble Wirkung, erhöht sie vielmehr, denn vernichten kann sie die Täuschung doch nicht. Die höchste Regsamkeit des Lebens … verletzt …, um zu reizen, ohne zu zerstören«.211 Denselben Gedanken gibt Pulver wieder, wenn er schreibt: »Fassen wir zusammen, was Friedrich Schlegel zur höchsten Wertschätzung einer vollkommen gedachten Komödie bewog, so ist es« ihr »schöpferisches Spiel mit sich selbst, ihr rein ästhetischer Staat, den keine Durchbrechung und Verletzung der Illusion zu zerstören vermag«.212 Die Ironisierung der Form greift also nach diesen Äußerungen dieselbe an, ohne sie doch zu zerstören, und auf diese Irritation soll die Illusionsstörung in der Komödie es absehen. Dieses Verhältnis zeigt eine auffallende Verwandtschaft mit der Kritik, welche unwiderruflich und ernsthaft die Form auflöst, um das einzelne Werk ins absolute Kunstwerk zu verwandeln, zu romantisieren.

      Ja, auch das Werk, das teuer erkaufte, es bleibe Dir köstlich;

      Aber so Du es liebst, gib ihm Du selber den Tod,

      Haltend im Auge das Werk, das der Sterblichen keiner wohl endet:

      Denn von des Einzelnen Tod blüht ja des Ganzen Gebild.213

      »Wir müssen uns über unsre eigne Liebe erheben und, was wir anbeten, in Gedanken vernichten können, sonst fehlt uns … der Sinn für das Unendliche«.214 In diesen Äußerungen hat Schlegel sich über das Zerstörende in der Kritik, über ihre Zersetzung der Kunstform deutlich ausgesprochen. Weit entfernt, eine subjektive Velleität des Autors darzustellen, ist also diese Zerstörung der Form die Aufgabe der objektiven Instanz in der Kunst, der Kritik. Und andererseits macht Schlegel genau das gleiche zum Wesen der ironischen Äußerung des Dichters, wenn er die Ironie als eine Stimmung bezeichnet, »welche alles übersieht und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend oder Genialität«215. Es ist also bei dieser Art der Ironie, welche aus der Beziehung auf das Unbedingte entspringt, nicht die Rede von Subjektivismus und Spiel, sondern von der Angleichung des begrenzten Werkes an das Absolute, von seiner völligen Objektivierung um den Preis seines Untergangs. Diese Form der Ironie stammt aus dem Geiste der Kunst, nicht aus dem Willen des Künstlers. Es versteht sich von selbst, daß sie, wie die Kritik, sich nur in der Reflexion darstellen kann.216 Reflexiv ist auch die Ironisierung des Stoffes, doch beruht diese auf einer subjektiven, spielerischen Reflexion des Autors. Die Ironie des Stoffes vernichtet diesen; sie ist negativ und subjektiv, positiv und objektiv dagegen die der Form. Die eigentümliche Positivität dieser Ironie ist zugleich ihr unterscheidendes Merkmal von der ebenfalls objektiv gerichteten Kritik. Wie verhält sich die Zerstörung der Illusion in der Kunstform durch die Ironie zur Zerstörung des Werkes durch die Kritik? Die Kritik opfert um des Einen Zusammenhanges willen das Werk gänzlich. Dasjenige Verfahren dagegen, welches unter Erhaltung des Werkes selbst dennoch seine völlige Bezogenheit auf die Idee der Kunst zu veranschaulichen vermag, ist die (formale) Ironie. Sie zerstört nicht allein das Werk nicht, das sie angreift, sondern sie nähert es selbst der Unzerstörbarkeit. Durch die Zerstörung der bestimmten Darstellungsform des Werkes in der Ironie wird die relative Einheit des Einzelwerkes tiefer in die der Kunst als des Universalwerkes zurückgestoßen, sie wird, ohne verloren zu gehen, völlig auf diese bezogen. Denn nur graduell ist die Einheit des Einzelwerkes von der der Kunst, in welche sie sich jederzeit in Ironie und Kritik verschiebt, unterschieden. Die Romantiker selbst hätten die Ironie nicht als künstlerisch empfinden können, wenn sie in ihr die absolute Zersetzung des Werkes gesehen hätten. Daher betont Schlegel in der genannten Bemerkung (s. o. p.84) die Unzerstörbarkeit des Werkes. – Um dieses Verhältnis abschließend deutlich zu machen, ist ein doppelter Formbegriff einzuführen. Die bestimmte Form des einzelnen Werkes, die man als Darstellungsform bezeichnen möge, wird das Opfer ironischer Zersetzung. Über ihr aber reißt die Ironie einen Himmel ewiger Form, die Idee der Formen, auf, die man die absolute Form nennen mag, und sie erweist das Überleben des Werkes, das aus dieser Sphäre sein unzerstörbares Bestehen schöpft, nachdem die empirische Form, der Ausdruck seiner isolierten Reflexion, von ihr verzehrt wurde. Die Ironisierung der Darstellungsform ist gleichsam der Sturm, der den Vorhang vor der transzendentalen Ordnung der Kunst aufhebt und diese und in ihr das unmittelbare Bestehen des Werkes als eines Mysteriums enthüllt. Das Werk ist nicht, wie es Herder betrachtete, wesentlich eine Offenbarung und ein Mysterium schöpferischer Genialität, die man wohl ein Mysterium der Substanz nennen dürfte, es ist ein Mysterium der Ordnung, Offenbarung seiner absoluten Abhängigkeit von der Idee der Kunst, seines ewigen unzerstörbaren Aufgehobenseins in derselben. In diesem Sinne kennt Schlegel »Grenzen des sichtbaren Werkes«,217 jenseits deren der Bereich des unsichtbaren Werkes, der Idee der Kunst sich öffnet. Der Glaube an die Unzerstörbarkeit des Werkes, wie er in Tiecks ironischen Dramen, in Jean Pauls zerfetzten Romanen sich ausspricht, war eine mystische Grundüberzeugung der Frühromantik. Nur aus ihr wird es verständlich, warum die Romantiker sich nicht mit der Forderung der Ironie als einer Gesinnung des Künstlers begnügten, sondern sie im Werke dargestellt zu sehen verlangten. Sie hat eine andere Funktion als Gesinnungen, die, so wünschenswert sie sein mögen, eben weil sie nur in Hinsicht auf den Künstler zu fordern sind, im Werk nicht selbständig hervortreten dürfen. Die formale Ironie ist nicht, wie Fleiß oder Aufrichtigkeit, ein intentionales Verhalten des Autors. Sie kann nicht, wie es üblich ist, als Index einer subjektiven Schrankenlosigkeit verstanden, sondern muß als objektives Moment im Werke selbst gewürdigt werden. Sie stellt den paradoxen Versuch dar, am Gebilde noch durch Abbruch zu bauen: im Werke selbst seine Beziehung auf die Idee zu demonstrieren.

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      Die romantische Kunsttheorie gipfelt im Begriff der Idee der Kunst, in dessen Analysis die Bestätigung aller übrigen Lehren und der Aufschluß über deren letzte Intentionen zu suchen ist. Weit entfernt, lediglich ein schematischer Beziehungspunkt der einzelnen Theoreme über die Kritik, das Werk, die Ironie usw. zu sein, ist dieser Begriff sachlich auf das bedeutendste ausgestaltet. Erst in ihm ist Das zu finden, was als innerste Eingebung die Romantiker in ihrem Denken über das Wesen der Kunst geleitet hat. Methodisch beruht die gesamte romantische Kunsttheorie auf der Bestimmung des absoluten Reflexionsmediums als Kunst, genauer gesagt als der Idee der Kunst. Da das Organ der künstlerischen Reflexion die Form ist, so ist die Idee der Kunst definiert als das Reflexionsmedium der Formen. In diesem hängen alle Darstellungsformen stetig zusammen, gehen in einander über und vereinigen sich zur absoluten Kunstform, welche mit der Idee der Kunst identisch ist. Die romantische Idee der Einheit der Kunst liegt also in der Idee eines Kontinuums der Formen. Beispielsweise würde also die Tragödie für den Schauenden kontinuierlich mit dem Sonett zusammenhängen. Ein Unterschied zwischen dem Kantischen Begriff der Urteilskraft und dem romantischen der Reflexion läßt sich in diesem Zusammenhang unschwer andeuten: die Reflexion ist nicht, wie die Urteilskraft, ein subjektiv reflektierendes Verhalten, sondern sie liegt in der Darstellungsform des Werkes eingeschlossen, entfaltet sich in der Kritik, um sich endlich im gesetzmäßigen Kontinuum der Formen zu erfüllen. – Im »Herkules Musagetes« heißt es mit Hindeutung auf jenen Unterschied, der in den Termini Darstellungsform und absolute Form oben bezeichnet wurde, vom Dichter: »Ihm wird jegliche Form … sein eigen, | Sinnreich kann er … | Höher die Formen verbinden zur Form in leichtem Gewebe«218.


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