Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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drei sind identisch. In diesem Sinne hängt gerade die Platonische Theorie des Schönen mit dem noch älteren Problem des Scheins darin zusammen, daß sie, nach dem Symposion, zunächst auf die leiblich lebendige Schönheit sich richtet. Wenn dennoch dieses Problem in der Platonischen Spekulation latent bleibt, so liegt es daran, daß dem Platon als Griechen die Schönheit mindestens ebenso wesentlich im Jüngling sich darstellt als im Mädchen, die Fülle des Lebens aber im Weiblichen größer ist als im Männlichen. Ein Moment des Scheins jedoch bleibt noch im Unlebendigsten erhalten, für den Fall, daß es wesentlich schön ist. Und dies ist der Fall aller Kunstwerke – unter ihnen am mindesten der Musik. Demnach bleibt in aller Schönheit der Kunst jener Schein, will sagen jenes Streifen und Grenzen ans Leben noch wohnen und sie ist ohne diesen nicht möglich. Nicht aber umfaßt derselbe ihr Wesen. Dieses weist vielmehr tiefer hinab auf dasjenige, was am Kunstwerk im Gegensatze zum Schein als das Ausdruckslose bezeichnet werden darf, außerhalb dieses Gegensatzes aber in der Kunst weder vorkommt, noch eindeutig benannt werden kann. Zum Schein nämlich steht das Ausdruckslose, wiewohl im Gegensatz, doch in derart notwendigem Verhältnis, daß eben das Schöne, ob auch selber nicht Schein, aufhört ein wesentlich Schönes zu sein, wenn der Schein von ihm schwindet. Denn dieser gehört ihm zu als die Hülle und als das Wesensgesetz der Schönheit zeigt sich somit, daß sie als solche nur im Verhüllten erscheint. Nicht also ist, wie banale Philosopheme lehren, die Schönheit selbst Schein. Vielmehr enthält die berühmte Formel, wie sie zuletzt in äußerster Verflachung Solger entwickelte, es sei Schönheit die sichtbar gewordene Wahrheit, die grundsätzlichste Entstellung dieses großen Gegenstandes. Auch hätte Simmel dies Theorem nicht so läßlich aus Goetheschen Sätzen, die sich dem Philosophen oft durch alles andere empfehlen als ihren Wortlaut, entnehmen dürfen. Diese Formel, die, da Wahrheit doch an sich nicht sichtbar ist und nur auf einem ihr nicht eigenen Zuge ihr Sichtbarwerden beruhen könnte, die Schönheit zu einem Schein macht, läuft zuletzt, ganz abgesehen von ihrem Mangel an Methodik und Vernunft, auf philosophisches Barbarentum hinaus. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Gedanke, es ließe sich die Wahrheit des Schönen enthüllen, in ihr genährt wird. Nicht Schein, nicht Hülle für ein anderes ist die Schönheit. Sie selbst ist nicht Erscheinung, sondern durchaus Wesen, ein solches freilich, welches wesenhaft sich selbst gleich nur unter der Verhüllung bleibt. Mag daher Schein sonst überall Trug sein – der schöne Schein ist die Hülle vor dem notwendig Verhülltesten. Denn weder die Hülle noch der verhüllte Gegenstand ist das Schöne, sondern dies ist der Gegenstand in seiner Hülle. Enthüllt aber würde er unendlich unscheinbar sich erweisen. Hier gründet die uralte Anschauung, daß in der Enthüllung das Verhüllte sich verwandelt, daß es »sich selbst gleich« nur unter der Verhüllung bleiben wird. Also wird allem Schönen gegenüber die Idee der Enthüllung zu der der Unenthüllbarkeit. Sie ist die Idee der Kunstkritik. Die Kunstkritik hat nicht die Hülle zu heben, vielmehr durch deren genaueste Erkenntnis als Hülle erst zur wahren Anschauung des Schönen sich zu erheben. Zu der Anschauung, die der sogenannten Einfühlung niemals und nur unvollkommen einer reineren Betrachtung des Naiven sich eröffnen wird: zur Anschauung des Schönen als Geheimnis. Niemals noch wurde ein wahres Kunstwerk erfaßt, denn wo es unausweichlich als Geheimnis sich darstellte. Nicht anders nämlich ist jener Gegenstand zu bezeichnen, dem im letzten die Hülle wesentlich ist. Weil nur das Schöne und außer ihm nichts verhüllend und verhüllt wesentlich zu sein vermag, liegt im Geheimnis der göttliche Seinsgrund der Schönheit. So ist denn der Schein in ihr eben dies: nicht die überflüssige Verhüllung der Dinge an sich, sondern die notwendige von Dingen für uns. Göttlich notwendig ist solche Verhüllung zu Zeiten, wie denn göttlich bedingt ist, daß, zur Unzeit enthüllt, in nichts jenes Unscheinbare sich verflüchtigt, womit Offenbarung die Geheimnisse ablöst. Kants Lehre, daß ein Relationscharakter die Grundlage der Schönheit sei, setzt demnach in einer sehr viel höheren Sphäre als der psychologischen siegreich ihre methodischen Tendenzen durch. Alle Schönheit hält wie die Offenbarung geschichtsphilosophische Ordnungen in sich. Denn sie macht nicht die Idee sichtbar, sondern deren Geheimnis.

      Um jener Einheit willen, die Hülle und Verhülltes in ihr bilden, kann sie wesentlich da allein gelten, wo die Zweiheit von Nacktheit und Verhüllung noch nicht besteht: in der Kunst und in den Erscheinungen der bloßen Natur. Je deutlicher hingegen diese Zweiheit sich ausspricht, um zuletzt im Menschen sich aufs höchste zu bekräftigen, desto mehr wird es klar: in der hüllenlosen Nacktheit ist das wesentlich Schöne gewichen und im nackten Körper des Menschen ist ein Sein über aller Schönheit erreicht – das Erhabene, und ein Werk über allen Gebilden – das des Schöpfers. Damit erschließt sich die letzte jener rettenden Korrespondenzen, in denen mit unvergleichlich strenger Genauigkeit die zart gebildete Novelle dem Roman entspricht. Wenn dort der Jüngling die Geliebte entblößt, so ist es nicht um der Lust, es ist um des Lebens willen. Er betrachtet nicht ihren nackten Körper und gerade darum nimmt er seine Hoheit wahr. Der Dichter wählt nicht müßige Worte, wenn er sagt: »Hier überwand die Begierde zu retten jede andere Betrachtung«. Denn in der Liebe vermag nicht Betrachtung zu herrschen. Nicht dem Willen zum Glück, wie es ungebrochen nur flüchtig in den seltensten Akten der Kontemplation, in der »halkyonischen« Stille der Seele verweilt, ist die Liebe entsprungen. Ihr Ursprung ist die Ahnung des seligen Lebens. Wie aber die Liebe als bitterste Leidenschaft sich selbst vereitelt, wo in ihr die vita contemplativa dennoch die mächtigste, die Anschauung der Herrlichsten ersehnter als die Vereinigung mit der Geliebten ist, das stellen die Wahlverwandtschaften im Schicksal Eduards und der Ottilie dar. Dergestalt ist kein Zug der Novelle vergeblich. Sie ist der Freiheit und Notwendigkeit nach, die sie dem Roman gegenüber zeigt, dem Bild im Dunkel eines Münsters vergleichbar; das dies selber darstellt und so mitten im Innern eine Anschauung vom Orte mitteilt, die sich sonst versagt. Sie bringt damit zugleich den Abglanz des hellen, ja des nüchternen Tages hinein. Und wenn diese Nüchternheit heilig scheint, so ist das Wunderlichste, daß sie es vielleicht nur Goethe nicht ist. Denn seine Dichtung bleibt dem Innenraum im verschleierten Lichte zugewendet, das in bunten Scheiben sich bricht. Kurz nach ihrer Vollendung schreibt er an Zelter: »Wo Ihnen auch mein neuer Roman begegnet, nehmen Sie ihn freundlich auf. Ich bin überzeugt, daß Sie der durchsichtige und undurchsichtige Schleier nicht verhindern wird, bis auf die eigentlich intentionierte Gestalt hineinzusehen«. Dies Wort vom Schleier war ihm mehr als Bild – es ist die Hülle, welche immer wieder ihn bewegen mußte, wo er um Einsicht in die Schönheit rang. Drei Gestalten seines Lebenswerks sind diesem Ringen, das wie kein anderes ihn erschütterte, entwachsen: Mignon, Ottilie, Helena. »So laßt mich scheinen bis ich werde | Zieht mir das weiße Kleid nicht aus! I Ich eile von der schönen Erde I Hinab in jenes feste Haus. I Dort ruh ich eine kleine Stille I Dann öffnet sich der frische Blick | Ich lasse dann die reine Hülle | Den Gürtel und den Kranz zurück.« Und auch Helena läßt sie zurück: »Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen«. Goethe kennt, was über den Trug dieses Scheins gefabelt wurde. Er läßt den Faust mahnen: »Halte fest, was dir von allem übrig blieb. | Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon | Dämonen an den Zipfeln, möchten gern | Zur Unterwelt es reißen. Halte fest! | Die Göttin ist’s nicht mehr, die du verlorst | Doch göttlich ist’s«. Unterschieden von diesen aber bleibt die Hülle von Ottilie als ihr lebendiger Leib. Nur mit ihr spricht sich klar das Gesetz aus, das gebrochner an den andern sich kundgibt: Je mehr das Leben entweicht, desto mehr alle scheinhafte Schönheit, die ja am Lebendigen einzig zu haften vermag, bis im gänzlichen Ende des einen auch die andere vergehn muß. Unenthüllbar ist also nichts Sterbliches. Wenn daher den äußersten Grad solcher Unenthüllbarkeit wahrheitsgemäß die Maximen und Reflektionen mit dem tiefen Worte bezeichnen: »Die Schönheit kann nie über sich selbst deutlich werden« so bleibt doch Gott, vor dem kein Geheimnis und alles Leben ist. Als Leiche erscheint uns der Mensch und als Liebe sein Leben, wenn sie vor Gott sind. Daher hat der Tod Macht zu entblößen wie die Liebe. Unenthüllbar ist nur die Natur; die ein Geheimnis verwahrt, so lange Gott sie bestehn läßt. Entdeckt wird die Wahrheit im Wesen der Sprache. Es entblößt sich der menschliche Körper, ein Zeichen, daß der Mensch selbst vor Gott tritt. – Dem Tod muß die Schönheit verfallen, die nicht in der Liebe sich preisgibt. Ottilie kennt ihren Todesweg. Weil sie im Innersten ihres jungen Lebens ihn vorgezeichnet erkennt, ist sie – nicht im Tun sondern im Wesen – die jugendhafteste aller Gestalten, die Goethe geschaffen. Wohl verleiht das Alter die Bereitschaft zum Sterben, Jugend aber ist Todesbereitschaft. Wie verborgen hat doch Goethe von Charlotte es ausgesagt, daß sie »gern leben mochte«. Nie hat in einem Werk er der Jugend gegeben, was er in


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