Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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reine Wort, die gegenrhythmische Unterbrechung notwendig, um nemlich dem reißenden Wechsel der Vorstellungen, auf seinem Summum, so zu begegnen, daß alsdann nicht mehr der Wechsel der Vorstellung, sondern die Vorstellung selber erscheint«. Die »abendländische Junonische Nüchternheit«, die Hölderlin einige Jahre bevor er dies schrieb als fast unerreichbares Ziel aller deutschen Kunstübung vorstellte, ist nur eine andere Bezeichnung jener Cäsur, in der mit der Harmonie zugleich jeder Ausdruck sich legt, um einer innerhalb aller Kunstmittel ausdruckslosen Gewalt Raum zu geben. Solche Gewalt ist kaum je deutlicher geworden als in der griechischen Tragödie einer-, der Hölderlinschen Hymnik andrerseits. In der Tragödie als Verstummen des Helden, in der Hymne als Einspruch im Rhythmus vernehmbar. Ja, man könnte jenen Rhythmus nicht genauer bezeichnen als mit der Aussage, daß etwas jenseits des Dichters der Dichtung ins Wort fällt. Hier liegt der Grund »warum eine Hymne selten (und mit ganzem Recht vielleicht niemals) ›schön‹ genannt werden wird«. Tritt in jener Lyrik das Ausdruckslose, so in Goethescher die Schönheit bis zur Grenze dessen hervor, was im Kunstwerk sich fassen läßt. Was jenseits dieser Grenze sich bewegt ist Ausgeburt des Wahnsinns in der einen, ist beschworene Erscheinung in der andern Richtung. Und in dieser darf die deutsche Dichtung keinen Schritt über Goethe hinaus wagen, ohne gnadenlos einer Scheinwelt anheimzufallen, deren lockendste Bilder Rudolf Borchardt hervorrief. Fehlen doch selbst im Werk seines Meisters nicht Zeugnisse, daß es nicht immer der seinem Genius nächsten Versuchung entging, den Schein zu beschwören.

      So gedenkt er der Arbeit am Roman denn gelegentlich mit den Worten: »Man findet sich schon glücklich genug, wenn man sich in dieser bewegten Zeit in die Tiefe der stillen Leidenschaften flüchten kann«. Wenn hier der Gegensatz bewegter Fläche und der stillen Tiefe nur flüchtig an ein Wasser gemahnen mag, so findet ausgesprochner solch Vergleich bei Zelter sich. In einem Briefe vom Romane handelnd schreibt er Goethe: »Dazu eignet sich endlich noch eine Schreibart, welche wie das klare Element beschaffen ist, dessen flinke Bewohner durcheinanderschwimmen, blinkelnd oder dunkelnd auf und ab fahren, ohne sich zu verirren oder zu verlieren«. Was so in Zelters nie genug geschätzter Weise ausgesprochen, verdeutlicht wie der formelhaft gebannte Stil des Dichters verwandt dem bannenden Reflex im Wasser ist. Und über die Stilistik hinaus weist es auf die Bedeutung jenes »Lustsees« und endlich auf den Sinngehalt des ganzen Werks. Wie nämlich zweideutig die scheinhafte Seele sich darin zeigt, mit unschuldiger Klarheit verlockend und in tiefste Dunkelheit hinunterführend, so ist auch das Wasser dieser sonderbaren Magie teilhaftig. Denn einerseits ist es das Schwarze, Dunkle, Unergründliche, andrerseits aber das Spiegelnde, Klare und Klärende. Die Macht dieser Zweideutigkeit, die schon ein Thema des »Fischers« gewesen war, ist im Wesen der Leidenschaft in den Wahlverwandtschaften herrschend geworden. Wenn sie so in ihr Zentrum hineinführt, weist sie andrerseits wieder zurück auf den mythischen Ursprung ihres Bildes vom schönen Leben und erlaubt mit vollendeter Klarheit es zu erkennen. »In dem Elemente, dem die Göttin« – Aphrodite – »entstieg, scheint die Schönheit recht eigentlich heimisch zu sein. An strömenden Flüssen und Quellen wird sie gepriesen; Schönfließ heißt eine der Okeaniden; unter den Nereiden tritt die schöne Gestalt der Galatea hervor und zahlreich entstammen den Göttern des Meeres schönfüßige Töchter. Das bewegliche Element, wie es zunächst den Fuß der Schreitenden umspült, benetzt Schönheit spendend die Füße der Göttinnen, und die silberfüßige Thetis bleibt für alle Zeiten das Vorbild, nach welchem die dichterische Phantasie der Griechen diesen Körperteil ihrer Gebilde zeichnet … Keinem Manne oder mannhaft gedachten Gotte legt Hesiod Schönheit bei; auch bezeichnet sie hier noch keinerlei inneren Wert. Sie erscheint ganz vorwiegend an die äußere Gestalt des Weibes, an Aphrodite und die okeanischen Lebensformen gebunden.« Wenn so – nach Walters »Ästhetik im Altertum« – der Ursprung eines bloßen schönen Lebens gemäß den Weisungen des Mythos in der Welt harmonisch-chaoshaften Wogens liegt, so hat ein tiefes Gefühl die Herkunft der Ottilie dort gesucht. Wo Hengstenberg gehässig eines »nymphenartigen Essens« der Ottilie, Werner tastend seiner »gräßlich zarten Meernixe« gedenkt, da hat Bettina unvergleichlich sicher den innersten Zusammenhang berührt: »Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon lange geahnt; jene Venus ist dem brausenden Meer Deiner Leidenschaft entstiegen, und nachdem sie eine Saat von Tränenperlen ausgesäet, da verschwindet sie wieder in überirdischem Glanz«.

      Mit der Scheinhaftigkeit, die Ottiliens Schönheit bestimmt, bedroht Wesenlosigkeit noch die Rettung, die die Freunde aus ihren Kämpfen gewinnen. Denn ist die Schönheit scheinhaft, so ist es auch die Versöhnung, die sie mythisch in Leben und Sterben verheißt. Ihre Opferung wäre umsonst wie ihr Blühen, ihr Versöhnen ein Schein der Versöhnung. Wahre Versöhnung gibt es in der Tat nur mit Gott. Während in ihr der Einzelne mit ihm sich versöhnt und nur dadurch mit den Menschen sich aussöhnt, ist es der scheinhaften Versöhnung eigen, jene untereinander aussöhnen und nur dadurch mit Gott versöhnen zu wollen. Von neuem trifft dies Verhältnis scheinhafter Versöhnung zur wahren auf den Gegensatz von Roman und Novelle. Denn darauf will ja zuletzt der wunderliche Streit hinaus, der die Liebenden in ihrer Jugend befängt, daß ihre Liebe, weil sie um wahrer Versöhnung willen das Leben wagt, sie erlangt und mit ihr den Frieden, in dem ihr Liebesbund dauert. Weil nämlich wahre Versöhnung mit Gott keinem gelingt, der nicht in ihr – soviel an ihm ist – alles vernichtet, um erst vor Gottes versöhntem Antlitz es wieder erstanden zu finden, darum bezeichnet ein todesmutiger Sprung jenen Augenblick, da sie – ein jeder ganz für sich allein vor Gott – um der Versöhnung willen sich einsetzen. Und in solcher Versöhnungsbereitschaft erst ausgesöhnt gewinnen sie sich. Denn die Versöhnung, die ganz überweltlich und kaum fürs Kunstwerk gegenständlich ist, hat in der Aussöhnung der Mitmenschen ihre weltliche Spiegelung. Wie sehr bleibt gegen sie die adlige Nachsicht, jene Duldung und Zartheit zurück, die doch zuletzt den Abstand nur wachsen macht, in dem die Romangestalten sich wissen. Denn weil sie den offenen Streit, dessen Übermaß selbst in der Gewalttat eines Mädchens Goethe darzustellen sich nicht scheute, stets vermeiden, muß die Aussöhnung ihnen fern bleiben. So viel Leiden, so wenig Kampf. Daher das Schweigen aller Affekte. Sie treten niemals als Feindschaft, Rachsucht, Neid nach außen, aber sie leben auch nicht als Klage, Scham und Verzweiflung im Innern. Denn wie ließe mit dem verzweifelten Handeln der Verschmähten sich das Opfer der Ottilie vergleichen, welches in Gottes Hand nicht das teuerste Gut, sondern die schwerste Bürde legt und seinen Ratschluß vorwegnimmt. So fehlt alles Vernichtende wahrer Versöhnung durchaus ihrem Schein, wie denn selbst, soweit möglich, von der Todesart der Ottilie alles Schmerzhafte und Gewaltsame fernbleibt. Und nicht hiermit allein verhängt eine unfromme Vorsicht die drohende Friedlosigkeit über die allzu Friedfertigen. Denn was hundertfach der Dichter verschweigt, geht doch einfach genug aus dem Gange des Ganzen hervor: daß nach sittlichen Gesetzen die Leidenschaft all ihr Recht und ihr Glück verliert, wo sie den Pakt mit dem bürgerlichen, dem reichlichen, dem gesicherten Leben sucht. Dies ist die Kluft, über die vergebens der Dichter auf dem schmalen Stege reiner menschlicher Gesittung mit nachtwandlerischer Sicherheit seine Gestalten schreiten lassen will. Jene edle Bändigung und Beherrschung vermag nicht die Klarheit zu ersetzen, die der Dichter gewiß so von sich selber zu entfernen wußte wie von ihnen. (Hier ist Stifter sein vollendeter Epigone.) In der stummen Befangenheit, welche diese Menschen in dem Umkreis menschlicher, ja bürgerlicher Sitte einschließt und dort das Leben der Leidenschaft für sie zu retten hofft, liegt das dunkle Vergehen, welches seine dunkle Sühne fordert. Sie flüchten im Grunde vor dem Spruche des Rechts, das über sie noch Gewalt hat. Sind sie dem Anschein nach ihm durch adliges Wesen enthoben, so vermag sie in Wirklichkeit nur das Opfer zu retten. Daher wird nicht der Friede ihnen zuteil, den die Harmonie ihnen leihen soll; ihre Lebenskunst Goethescher Schule macht die Schwüle nur dumpfer. Denn hier regiert die Stille vor dem Sturm, in der Novelle aber das Gewitter und der Friede. Während Liebe die Versöhnten geleitet, bleibt als Schein der Versöhnung nur die Schönheit bei den andern zurück.

      Den wahrhaft Liebenden ist Schönheit des Geliebten nicht entscheidend. Wenn sie es war, die erstmals sie zueinander hinzog, werden über größern Herrlichkeiten sie ihrer immer wieder vergessen, um bis ans Ende freilich im Gedanken immer wieder ihrer inne zu werden. Anders als die Leidenschaft. Jedes, auch das flüchtigste Schwinden der Schönheit macht sie verzweifeln. Denn nur der Liebe heißt die Schöne das teuerste Gut, für die Leidenschaft ist dies die Schönste. Leidenschaftlich ist denn auch die Mißbilligung, mit der die Freunde von der Novelle sich abwenden. Ist ihnen die Preisgabe der Schönheit doch unerträglich. Jene Wildheit, die


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